Michael Schumacher und das Korn der Hoffnung

Der siebenfache Weltmeister erklärt, warum er die Ursachen der Krise nicht bei ihm als Rennfahrer sieht, und freut sich auf Hockenheim

(Motorsport-Total.com) - Mit 43 WM-Punkten auf dem Konto und einem Rückstand von 34 Zählern auf Spitzenreiter Fernando Alonso im Renault kommt Michael Schumacher dieses Jahr zu seinem Heimspiel in Hockenheim. Zum Vergleich: 2004 hatte er zu diesem Zeitpunkt der Saison zehn Siege und 100 Punkte zu Buche stehen, während der Vorsprung auf seine nächsten Verfolger Rubens Barrichello und Jenson Button sagenhafte 26 beziehungsweise 57 Punkte betrug. In dieser Rechnung noch nicht einmal berücksichtigt: der geschenkte Sieg von Indianapolis...

Titel-Bild zur News: Michael Schumacher

Michael Schumacher trägt wohl am wenigsten Schuld an der Krise bei Ferrari

Vor dem Grand Prix von Deutschland betreibt der 36-Jährige daher Ursachenforschung. Der WM-Zug ist - realistisch betrachtet - schon längst ohne ihn abgefahren, doch wenn Ferrari bald die Wende gelingt, könnte wenigstens noch der eine oder andere Einzelsieg herausspringen. Schon in Hockenheim werden dem F2005 im wahrsten Sinne des Wortes Flügel wachsen, weil die Helfer um den reaktivierten Notfallleiter Rory Byrne in Maranello ein neues Aerodynamikpaket entwickelt haben.#w1#

"Es muss alles miteinander harmonieren"

Ob Ferrari damit den Stein der Weisen ausgegraben hat, wird erst das bevorstehende Rennwochenende beantworten, fest steht für Schumacher aber unabhängig davon eines: "Ich will nicht Bridgestone für unseren Misserfolg verantwortlich machen, genauso wenig wie Bridgestone für unsere Erfolge der vergangenen Jahre hauptverantwortlich war", sagte er gegenüber 'RTL'. "Es muss alles miteinander harmonieren, aber das ist momentan nicht der Fall."

Als Kernursache für die durchschnittlichen Resultate in der laufenden Saison sieht der 84-fache Grand-Prix-Sieger die Schwäche im Qualifying, die sicher zum Teil mit den Reifen zusammenhängt, zum Teil aber auch ein hausgemachtes Problem sein könnte, denn: "Wenn man die Vergangenheit Revue passieren lässt, dann wird man feststellen, dass das im Verhältnis schon immer so war - nur hatten wir in der Vergangenheit oftmals ein so starkes Auto, dass wir dieses Manko kompensieren konnten", so Schumacher.

"Dennoch hatten wir im Rennen so viel Konstanz, dass wir die Konkurrenz in Grund und Boden gefahren haben. Konstanz haben wir oftmals auch in diesem Jahr, aber auf die eine Runde sind wir nicht schnell genug. Uns fehlt dieser Vorteil aus den vergangenen Jahren. Dadurch fallen wir im Qualifying zurück, hängen hinten dran - und bis wir an den langsameren Fahrzeugen endlich vorbei sind, ist vorne meistens schon der Zug abgefahren", seufzte er.

Ferrari wird nicht alles für 2006 in die Waagschale werfen

Natürlich kommen angesichts der derzeitigen Aussichtslosigkeit Ideen auf, wonach Ferrari 2005 zu den Akten legen und stattdessen alle Ressourcen auf die Vorbereitungen für 2006 kanalisieren sollte, doch davon hält Schumacher nichts. Als positives Beispiel kann man Renault heranziehen, wo Teamchef Flavio Briatore mit seiner radikalen Strategie zwar den zweiten Platz in der Konstrukteurs-WM 2004 opferte, dafür aber jetzt die Früchte ernten kann.

Aber: "Wir haben im letzten Jahr auch schon sehr früh mit der Arbeit am neuen Auto begonnen, weil wir sehr früh die Meisterschaft in der Tasche hatten", meinte Schumacher. "Also kann es nicht nur daran liegen, wie viel Zeit man zur Verfügung hat. Man muss allerdings sagen, dass es letztes Jahr etwas komplexer war als sonst, weil es neue Regeln gab, die erst relativ spät bekannt wurden. Da haben wir einen schlechteren Job gemacht. Ich glaube nicht, dass das an der Zeit liegt, die einem zur Verfügung steht, sondern wir müssen qualitativ bessere Arbeit leisten."

Wie groß ist die Verantwortung Schumachers?

Bleibt noch eine Frage zu klären: Als der Deutsche von Sieg zu Sieg eilte und zwischen 2000 und 2004 fünf Weltmeisterschaften en suite einfuhr, betonte er immer, dass er als Teil des Teams nur einen bestimmten Anteil an allen Erfolgen hatte. Im Umkehrschluss würde dies bedeutet, dass er jetzt auch eine gewisse - wenn auch geringe - Verantwortung auf seine Schultern laden muss.

Das überzeugende Gegenargument: "Auch in der Vergangenheit, als wir erfolgreich waren, habe ich mich nie in den Vordergrund gestellt und gesagt: 'Das liegt jetzt an mir, weil ich ein so supertoller Fahrer bin!' Genauso wenig liegt es jetzt an mir, sondern der Punkt ist, dass man ein Auto, welches einen gewissen Speed mit sich bringt, zur Verfügung hat. Daraus muss man das Beste machen", philosophierte Schumacher. "In diesem Jahr ist das für uns eben etwas schwieriger."

Dennoch will er von Rücktrittsgerüchten und Spekulationen um seine angeblich mangelhafte Motivation weiterhin nichts wissen: "Es gibt immer wieder Leute, die sagen, dass ich jetzt alt und langsamer werde, aber erstens fühle ich mich nicht so und zweitens passt das Kräfteverhältnis zu meinem Teamkollegen nach wie vor. Da ist alles so, wie es immer war, aber unser Auto ist im Verhältnis zur Konkurrenz ganz einfach unterlegen", erklärte der Ferrari-Pilot achselzuckend.

"Es macht wenig Sinn, die Flinte ins Korn zu werfen"

Jetzt mal ehrlich, Michael: Hast du noch genauso viel Spaß wie in den erfolgreichen Jahren? "Das sind tiefsinnige Fragen, die man am Ende eines Jahres sehr gut beantworten kann", wich er einer konkreten Antwort aus, "aber wenn man mitten in einer Saison ist, in der mathematisch noch alle Chancen da sind, macht es wenig Sinn, die Flinte schon ins Korn zu werfen. Natürlich macht es zwischendurch immer wieder weniger Spaß, aber hauptsächlich schon."

Es gehört inzwischen auch schon zum guten Ton, einen Michael Schumacher danach zu fragen, ob er in der Fahrer-WM noch Chancen für sich sieht - und die Antwort fällt meistens gleich oder ähnlich aus: "Man bekommt immer wieder ein Korn der Hoffnung zugeworfen, von dem man sich ernähren kann. Wir bekamen in Indianapolis sogar ein ziemlich großes Korn", spielte er auf den geschenkten Sieg in den USA an, als er nur seinen Teamkollegen und vier Nachzügler schlagen musste.

Schumacher "mit Extra-Motivation" nach Hockenheim

Ungeachtet dessen geht es nun "mit einem Schuss Extra-Motivation" zum Heimspiel vor 120.000 begeisterten Rotkäppchen in Hockenheim. Die Vorfreude ist groß: "Man freut sich einfach ein kleines Stückchen mehr auf dieses Rennen, selbst wenn man sich selbst einredet, dass es nicht so ist. Aber Fakt ist nun mal, dass die Stimmung dort immer fantastisch ist", ließ der Lokalmatador im Vorfeld des Rennens über seine Internetsite ausrichten.

"Seit der Kurs umgebaut wurde, kommt zur Vorfreude noch der sportliche Reiz", fügte er an. "Gerade die letzten zwei Kurven sind technisch sehr anspruchsvoll, denn es ist für die nachfolgende Gerade sehr wichtig, mit wie viel Geschwindigkeit du aus ihnen herauskommst. Ich fand schlichtweg die alte Streckenführung mit ihren langen Geraden nicht so spannend, ich bin nun mal nicht so ein Freund von Stop-and-Go-Kursen."

"Jetzt aber bietet der Kurs eigentlich alles: flüssige Passagen, interessante Kombinationen, Überholmöglichkeiten und einfach viel mehr Action für die Zuschauer", so Schumacher. "Hockenheim bietet ihnen durch das Motodrom sowieso einen unvergleichlich guten Überblick. Hoffentlich können wir unseren Fans dann auch einen guten Kampf bieten. Die Konkurrenz wird mit Sicherheit stark sein, aber wir werden auf jeden Fall alles aufbieten - und dann wird man schauen müssen, was für uns zu holen sein wird."