Marc Gené: Portrait und Kurzinterview
Erfahren Sie, warum Testfahrer Marc Gené zu den bemerkenswertesten Formel-1-Piloten überhaupt gehört
(Motorsport-Total.com) - Bei der BMW-Motorsport-Party Ende 2002 in Kitzbühel eroberte er die Herzen der Gäste im Sturm: Trotz rund 100 Testtagen mit 17.426 Kilometern von Januar bis November und Anwesenheit bei den meisten Grands Prix hat Marc Gené noch Zeit und Ehrgeiz mobilisiert, die deutsche Sprache zu erlernen. Er hat monatsweise Intensivkurse in München belegt und kann inzwischen Interviews in seiner neuen Fremdsprache geben.

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Marc Gené: Intelligent, wissbegierig, charmant und schnell
"Es hat mich unheimlich gefreut und auch überrascht, dafür so viel Applaus zu ernten", gibt er voller Stolz zu. Neben seinen Muttersprachen Spanisch und Katalanisch beherrscht er außerdem Englisch, Italienisch und Französisch. Lernen ist seine Passion. Sein unstillbarer Wissensdurst, Akribie und rasches Aufnahmevermögen machen ihn als Testfahrer so wertvoll.
"Die sorgfältige Arbeit von Marc Gené hat großen Anteil an den Fortschritten des BMW-Williams-Teams", bestätigt Teamchef Frank Williams. "Wir sind glücklich, dass wir ihn für ein drittes Jahr als Testpiloten gewinnen konnten."
Kein Rennfahrer fühlt sich zum Testfahrer geboren. Gené kam als Stammpilot in die Formel 1. 1999 und 2000 startete er für das Minardi-Team und erzielte auch einen WM-Punkt. Angesichts des ihm zur Verfügung stehenden Materials eine sehr beachtliche Leistung. Den Racing Spirit hat er keineswegs verloren. Für 2003 hat er die Freigabe erhalten, so oft es seine Zeit zulässt, in der "Telefonica World Series by Nissan" zu starten. Das sind etwa 450 PS starke Monoposto, die etwas schneller sind als die Formel-3000-Fahrzeuge.
"Ich bin froh, dass ich das darf", betont der Mann aus Barcelona. "Die Testarbeit für das BMW-Williams-Team wird weiterhin ganz klar Priorität haben, aber frische Rennerfahrung kann dabei nur nützlich sein. Es ist schwer, aus einem Formel 1 in irgendein anderes Fahrzeug umzusteigen, und die Erwartungen an mich werden hoch sein. Aber das Risiko gehe ich ein."
Dazu gehört ein selbstbewusster Mut zur Lücke. Marc Gené hat keine Starallüren, kein Machogehabe. Er strahlt Offenheit aus, hört seinen Mitmenschen interessiert und konzentriert zu ? ob Fahrerkollege, Techniker oder Paddock-Club-Gast. Besuche im Areal dieser Gäste gehören im BMW-Williams-Team ebenso zu seinen Aufgaben wie zahlreiche andere Marketing-Auftritte. Und jedes Mal erobert er die Herzen im Sturm.
Nicht zuletzt, weil seine Interessen so vielfältig sind. Er verschlingt Bücher regaleweise, bevorzugt Biografien und Fachliteratur aus den Bereichen Geschichte und Psychologie. In der Tageszeitung genießt der Wirtschaftsteil seine besondere Aufmerksamkeit. Der Spanier ist studierter Ökonom, hat 1995 seinen Abschluss an der University of Buckingham gemacht.
Das erste Kart für gute Schulnoten
Akademiker sind rar unter Spitzensportlern, meist lässt das Training für die Profilaufbahn keine weitere Berufsausbildung zu, schon die Schule wird leicht zum ungeliebten Zeitaufwand. Marc dagegen war ein Musterschüler. Gute Noten waren der Grundstein für seine Rennfahrerkarriere. "Mit zehn Jahren hatte ich wirklich sehr gute Zensuren", erzählt er, "ich durfte mir zur Belohnung etwas wünschen." Er musste nicht lang überlegen: Für sein Hobby, das er mit Jordi, einem seiner zwei älteren Brüder, betrieb, bekam er sein erstes eigenes Kart.
Mit zwölf Jahren fuhr Marc die ersten Rennen. Mit 14 war er katalanischer und spanischer Kartmeister. 1993, mittlerweile 19-jährig, fiel er erstmals im internationalen Formelsport auf. Wer beim Formel-Ford-Festival im englischen Brands Hatch aufscheinen will, muss sich Rennen für Rennen im K.O.-System gegen die besten Nachwuchsfahrer aus aller Welt durchsetzen. Gené wurde in diesem Welt-Cup Zweiter und erzielte den gleichen Platz auch in der Formel-Ford-Europameisterschaft.
Nach zwei Jahren in der britischen Formel-3-Meisterschaft folgten 1996 der Gewinn der Fisa Golden Cup Superformula in Italien und 1997 der Aufstieg in die internationale Formel-3000-Meisterschaft. Dort fiel er Giancarlo Minardi auf. Der Italiener gab ihm die Chance zum Formel-1-Test und verpflichtete ihn prompt für 1999 und 2000. "Damals fuhr ich rund 12 000 Kilometer im Jahr ? Rennen und Tests zusammen genommen. In den Jahren von 2001 und 2002 als Testfahrer im BMW-Williams-Team waren es jeweils anderthalb mal so viele. Dabei habe ich viel gelernt, und ich will noch viel mehr lernen."
Fragen an Marc Gené:
Frage: "Was halten Sie von der neuen Option, auf Testtage zu verzichten und dafür am Freitag vor den GP zwei Trainingsstunden extra zu erhalten?"
Gené: "Das ist eine sehr gute Regel, sie kann die Leistungsdichte zwischen den kleinen und den Top-Teams erhöhen. Die kleineren Teams können sich ohnehin nur etwa zehn Testtage leisten, für sie bedeuten die zusätzlichen Stunden eine gute Möglichkeit, sich bezüglich der Bremsen, Reifen und Abstimmung vorzubereiten. Richtige Weiterentwicklung kann man in dieser Zeit aber nicht durchführen. Deshalb haben wir uns dagegen entschieden."
Frage: "Welche ist die beste Teststrecke?"
Gené: "Für mich ganz klar Barcelona. Einerseits natürlich, weil es meine Heimstrecke ist und ich in meinem eigenen Bett schlafen und zu Hause frühstücken kann. Andererseits aber, weil der Circuit de Catalunya alle Arten von Kurven bietet, gut ausgestattet ist und eine hervorragende Logistik bietet"
Frage: "Welches Testprogramm ist Ihnen am liebsten?"
Gené: "Am liebsten fahre ich Reifentests, und am allerliebsten probiere ich weiche Mischungen, weil ich dann auch mal richtig schnelle Runden fahren darf. Platz zwei auf meinem Wunschzettel sind Forschungsprojekte, Innovationen, von denen zunächst niemand weiß, ob sie je zum Tragen kommen. Das bedeutet sehr enge und intensive Arbeit mit den Ingenieuren."
Frage: "Wie funktioniert der Informationsaustausch mit den Stammpiloten?"
Gené: "Wenn ich etwas für sehr wichtig halte, dann rufe ich sie an. Aber meistens tauschen wir uns beim GP donnerstags oder freitags aus. Dann erzähle ich ihnen etwa, welcher Reifen in welcher Kurve besonders gut oder kritisch war."
Frage: "Wer ist Ihrem Fahrstil näher ? Montoya oder Schumacher?"
Gené: "Da gibt es keinen großen Unterschied. Jeder Fahrer strebt bei der Abstimmung ein neutrales Verhalten an, will weder Unter- noch Übersteuern. Wir kommen immer zu sehr ähnlichen Ergebnissen. Vielleicht kann Juan, der einen aggressiveren Stil hat, etwas besser mit leichtem Übersteuern leben."

