• 04.11.2010 20:55

  • von Dieter Rencken

Kubica: "Wer gewinnt, der hat es auch verdient"

Renault-Fahrer Robert Kubica über den Titelkampf 2010, die Chancen von Renault in Brasilien und die Aussichten für die kommende Rennsaison

(Motorsport-Total.com) - Bereits beim vorletzten Wochenende des Jahres könnte eine Entscheidung im Titelkampf der Formel 1 fallen, doch Robert Kubica ist nicht mehr im Rennen um die Topplätze im Gesamtklassement. Der polnische Rennfahrer hat es allerdings geschafft, das Renault-Team wieder in die vordere Region des Starterfeldes zu führen und ist als aktueller WM-Siebter bester Vertreter eines Rennstalls, der nicht um die Titel kämpft. In seiner Medienrunde spricht Kubica über das vor ihm liegende Szenario.

Titel-Bild zur News: Robert Kubica

Robert Kubica und das Renault-Team wollen sich über den Winter weiter steigern

Frage: "Robert, wie gefallen dir Brasilien und die Strecke von Interlagos?"
Robert Kubica: "Wie üblich sehe ich nicht sehr viel von der Stadt. Bei der Strecke handelt es sich um einen Kurs der alten Schule. In diesem Jahr hatten wir viele Rennbahnen mit asphaltierten Auslaufzonen. Diese Strecken sind nicht ganz so anspruchsvoll."

"Oder sagen wir es so: Machst du einen Fehler, hast du es leichter, wieder zurück auf den Kurs zu gelangen. Interlagos ist eine ziemlich schwierige Strecke, auf der man nicht so einfach die richtige Balance findet. Es gibt hier nämlich sehr viele langsame Kurven, aber eben auch eine lange Gerade. Das Wetter kann auch stets eine große Rolle spielen. Es sieht also ganz nach einem recht interessanten Wochenende aus."

Frage: "Wie schätzt du die Chancen von Renault in Interlagos ein?"
Kubica: "Das ist schwer zu sagen, denke ich. Wir könnten Probleme damit bekommen, in die Riege der Top-3-Teams vorzustoßen. Diese Rennställe machen logischerweise verstärkt Druck, weil sie sich allesamt noch im Titelkampf befinden."

"Wir könnten Probleme damit bekommen, in die Riege der Top-3-Teams vorzustoßen." Robert Kubica

"Dennoch: Alles kann passieren, was wir zuletzt ja in Japan gesehen haben. Wir hoffen, ein konkurrenzfähiges Auto zu haben. Wir wollen das Maximum aus dem Fahrzeug herausholen. Im Vergleich zu den Top-3-Teams müssen wir aber realistisch anerkennen, dass unser Maximum ein gewisses Limit hat."

Frage: "Handelt es sich beim Autodromo Jose Carlos Pace um eine Strecke, auf die man als Fahrer hinfiebert? Kannst du hier als Pilot den Unterschied ausmachen?"
Kubica: "Nicht wirklich. Ich mag es, hier zu fahren. Dieser Kurs ist aber keine Strecke wie Suzuka oder Spa, wo man das Fahren zu einhundert Prozent genießt."

"In der Vergangenheit gab es hier viele Bodenwellen, doch 2009 war es schon viel besser. Warten wir einmal ab, wie es in diesem Jahr aussieht. Ich denke, es wird noch besser sein. Interlagos ist eine schöne Strecke. Man tut sich hier schwer, das Auto abzustimmen."

"Hast du eine gute Balance im Rennwagen, hast du viel Spaß auf dem Kurs. Musst du kämpfen, hast du weniger viel Freude am Fahren. Niemand im Fahrerlager hat viel Spaß dabei, ein schwieriges Auto auf der Strecke zu bewegen. Wenn das Fahrzeug schnell ist und sich genau so verhält, wie du dir das vorstellst, dann ist das klasse."¿pbvin|512|3250|inside|0|1pb¿

Kann sich Fernando Alonso in Brasilien durchsetzen?

Frage: "Erwartest du, dass dein Freund Fernando Alonso an diesem Wochenende den Titel holt?"
Kubica: "An diesem Wochenende? Ich denke, es wir ziemlich schwierig werden, schon hier einen mathematischen Weltmeister zu haben. Noch haben schließlich fünf Fahrer einige Chancen auf den Titel. Es wird also sehr knifflig für einen Piloten werden, eine Lücke von 26 Punkten zu einem anderen Fahrer aufzubauen."

"Südkorea hat die Situation an der Tabellenspitze komplett verändert." Robert Kubica

"Südkorea hat die Situation an der Tabellenspitze aber komplett verändert. Ferrari und Fernando haben jedenfalls genug Erfahrung. Sie werden es Red Bull nicht leicht machen. Red Bull hatte in diesem Jahr aber bislang klar das schnellste Auto. Es scheint also ein sehr interessantes Duell zu werden."

Frage: "Würdest du Fernando gerne siegen sehen?"
Kubica: "Wer gewinnt, der hat es auch verdient. Sollten Fernando und Ferrari am Ende die Nase vorne haben, dann hätten sie es sich verdient."

"Ich bin etwas überrascht, dass sie vorne liegen, denn eigentlich hatte Red Bull 2010 stets das deutlich schnellere Auto. Aus unterschiedlichen Gründen steht nun aber Ferrari an der Spitze. Das bedeutet: Sie haben insgesamt den besseren Job gemacht. Die Saison ist allerdings noch nicht zu Ende."

Frage: "Zwei Rennen vor Schluss haben noch mehrere Fahrer Chancen auf den Titel. Wie erklärst du dir das?"
Kubica: "Ich denke, die Punkte sprechen für sich."

Frage: "Meinst du damit das neue Punktesystem?"
Kubica: "Nein. Beim alten Punktesystem wäre es genau gleich."

Frage: "Gibt es einen Grund dafür, dass noch immer fünf Fahrer im Titelrennen sind?"
Kubica: "Keine Ahnung. Die Saison hat sich eben in diese Richtung entwickelt. Ich denke, das ist gut für die Formel 1 und gut für alle Beteiligten. Für die Jungs im schnellsten Auto ist es vielleicht weniger gut."

"Dass jetzt noch immer einige Fahrer Weltmeister werden können, ist toll für die Formel 1 und die Fans." Robert Kubica

"Eigentlich hätten sie die Meisterschaft schon viel eher für sich entscheiden können. Wenn man für die Platzierungen in der Qualifikation Punkte verteilen würde, wäre bereits in Spa eine Entscheidung gefallen. So ist es aber nicht. Dass jetzt noch immer einige Fahrer Weltmeister werden können, ist toll für die Formel 1 und die Fans."

Frage: "Wie wichtig ist es in dieser Phase der Saison, an der Spitze der Tabelle zu stehen? Was bringt das im Hinblick auf den Endspurt im Titelkampf?"
Kubica: "Keine Ahnung. In dieser Position habe ich mich noch nicht befunden. Ich halte es aber für einen komfortablen Vorteil. Du kannst gewissermaßen schauen, wie sich die Dinge entwickeln."

"Diejenigen, die hinter dir liegen, haben den härteren Job erwischt. Sie müssen schließlich vor dem WM-Spitzenreiter ins Ziel kommen. Der Führende muss hingegen nicht zwangsweise vor seinen Rivalen ins Ziel fahren. Jeder würde es meiner Meinung nach vorziehen, an Rang eins und nicht auf Position zwei oder drei zu liegen."

Renault ist noch immer auf dem Sprung

Frage: "Was sagst du rückblickend zum Wochenende in Südkorea? In den Freien Trainings warst du toll unterwegs, doch in der Qualifikation und im Rennen schienst du nicht mehr ganz so viel Geschwindigkeit zu haben..."
Kubica: "Das zeigt doch, dass das Freie Training nicht immer die Wahrheit wiedergibt. Wir hatten uns für die Qualifikation aber durchaus etwas mehr ausgerechnet. Die Balance war allerdings deutlich schlechter als im dritten Freien Training - und just in dieser Session waren wir am besten unterwegs."

"Ich hatte Probleme damit, die Rundenzeit aus dem Auto zu quetschen." Robert Kubica

"Am Freitag waren wir nicht zufrieden mit der Balance und auch nicht sonderlich konkurrenzfähig. Leider waren wir in der Qualifikation wieder mit der Balance vom Freitag unterwegs, was meine Möglichkeiten einschränkte. Ich hatte Probleme damit, die Rundenzeit aus dem Auto zu quetschen. Wir hatten also ein schwieriges Zeittraining. Wir müssen sicherstellen, die Balance besser hinzukriegen."

"Das ist aber nicht gar so einfach, denn man muss die Streckenentwicklung vorhersehen. Das spielte in Südkorea eine große Rolle, denn der Kurs hat sich im Verlauf des Wochenendes doch dramatisch verändert. In Japan waren wir von unserem Tempo in der Qualifikation allerdings überrascht. Insgesamt ist es also schwer zu sagen."

Frage: "Die Saison 2010 markierte einen wesentlichen Fortschritt bei Renault. Glaubst du, in einem Jahr ebenfalls eine Chance auf den Titel zu haben, wenn es sich weiterhin derart gut bei Renault entwickelt?"
Kubica: "Das kann man in meinen Augen nur schwer vorhersagen. Das kann man unmöglich absehen. Im Vergleich zu 2009 haben wir wesentliche Fortschritte gemacht."

"Wir hatten im Jahresverlauf zwar nicht viele größere Updates, doch die Teile aus der Fabrik haben richtig gut funktioniert. Wenn wir diese Entwicklungs-Geschwindigkeit durch das Anfertigen weiterer Verbesserungen halten können, sollte uns das definitiv eine Hilfe sein. Das Team hat sich aus einer sehr schwierigen Situation im vergangenen Winter in eine viel bessere Lage manövriert."

"Man kann sich nun darauf konzentrieren, das neue Auto zu entwickeln und zu bauen." Robert Kubica

"Ich rechne damit, dass der vor uns liegende Winter einfacher sein wird für die Leute in der Fabrik. Man kann sich nun darauf konzentrieren, das neue Auto zu entwickeln und zu bauen und muss nicht mehr an das reine Überleben denken. Es ist aber sehr schwierig, das Tempo und die Leistung einzuschätzen. Hätte man mir vor zwölf Monaten gesagt, dass ich jetzt mit Mercedes kämpfen würde, so hätte ich das nicht geglaubt."


Fotos: Renault, Großer Preis von Südkorea


"Brawn-Mercedes lag einfach deutlich vor Renault, doch die Dinge haben sich sehr rasch verändert. Das zeigt, dass du in der Formel 1 niemals sicher sein kannst, was passiert. Du weißt nicht einmal, was in einer Woche sein wird. Wie soll man sich da ausmalen, was in einem Jahr geschehen wird? Sollte es klappen wären das eine nette Überraschung und ein gutes Gefühl. Wir werden sehen."

Die Formel 1 hat sich massiv verändert

Frage: "Wie schätzt du das Kräfteverhältnis an der Spitze ein? In den vergangenen Jahren kämpften zumeist die gleichen Teams um den Titel. Es gab eine Williams-Ära, es gab eine Ferrari-Ära..."
Kubica: "Ich denke, die Formel 1 hat sich in den vergangenen zwei bis drei Jahren wesentlich verändert."

Frage: "Wie genau äußert sich deiner Meinung nach diese Veränderung?"
Kubica: "Die Abstände zwischen den Teams sind nun viel geringer. Im vergangenen Jahr stand jedes Team - abgesehen von Toro Rosso - auf dem Podium."

"Meiner Meinung nach gab es nicht viele Saisons, in denen gleich neun von zehn Teams unter die Top 3 fahren konnten. Ich bin zwar erst seit 2006 dabei, doch 2006 und 2007 waren eine vollkommen andere Geschichte als 2008 und 2009. 2007 waren wir mit dem BMW Sauber F1 Team die dritte Kraft."

"Wenn du heute zwei Zehntel in der Qualifikation liegen lässt, kann dich das vier bis fünf Positionen kosten." Robert Kubica

"Was auch immer wir an den Freitagen und Samstagen anstellten, wir waren immer auf Rang fünf oder Platz sechs zu finden. Wir hatten eine halbe Sekunde Rückstand auf Ferrari und McLaren und ebenfalls 0,5 Sekunden Luft nach hinten. Wir waren bei der Musik dabei. Wenn du heute zwei Zehntel in der Qualifikation liegen lässt, kann dich das vier bis fünf Positionen kosten."

"Aus diesem Grund kann man nur schwer eine Vorhersage anstellen. So sehe ich das. Niemand hätte sich im vergangenen Jahr träumen lassen, dass Brawn gewinnen würde. Die Formel 1 hat sich eben speziell in den jüngsten beiden Jahren sehr verändert. Die Teams liegen nun viel enger beisammen. Abgesehen von den drei neuen Rennställen gibt es keinen wirklich schwachen Rennstall."

Frage: "Haben die Regeländerungen zu dieser Entwicklung beigetragen?"
Kubica: "Das ist möglich, ja. Ich denke, das ist gut für die Formel 1. Die Teams liegen aufgrund der Regeln viel enger zusammen, aber auch wegen der angeglichenen Budgets. Im Gegensatz zu den vergangenen zehn bis 15 Jahren dominieren nun nicht mehr ein bis zwei Teams."