• 01.08.2010 09:19

  • von Dieter Rencken

Interview: Projekt Neuanfang bei Renault

Teamchef Eric Boullier erklärt, wie Fernando Alonso zum Abstieg von Renault beigetragen hat und was er für die Zukunft von Renault plant

(Motorsport-Total.com) - In Hockenheim wurde bekannt, dass Renault wegen eines "vorübergehenden finanziellen Engpasses" bei Bernie Ecclestone um einen Vorschuss gebeten hat. Doch obwohl dieser im Endeffekt nicht gewährt wurde, ist Teamchef Eric Boullier davon überzeugt, dass er das sinkende Schiff nach der Ära Briatore/Alonso wieder auf den richtigen Weg gebracht hat.

Titel-Bild zur News: Vitaly Petrov, Eric Boullier, Robert Kubica

Eric Boullier mit seinen beiden Fahrern Vitaly Petrov und Robert Kubica

Im Interview mit 'Motorsport-Total.com' erklärt der Franzose, welches Vermächtnis ihm und Genii Capital überlassen wurde, wem er die Schuld an der Misere gibt und wie er glaubt, dass sich Renault wieder auf Vordermann bringen lassen wird. Außerdem spricht er über die Fahrersituation, in der sich der schon totgeglaubte Russe Vitaly Petrov im gestrigen Qualifying auf dem Hungaroring zurückgemeldet hat.#w1#

"Unser Budget für 2010 und 2011 steht." Eric Boullier

Frage: "Wie ist die allgemeine Situation bei Renault? Sind die Zutaten vorhanden, damit ihr wieder um WM-Titel kämpfen könnt?"
Eric Boullier: "Die Situation ist ganz klar. Unser Budget für 2010 und 2011 steht. Genii und Renault sind erst seit diesem Januar Partner. In diesen sechs Monaten haben wir das Team aufgefrischt und es neu strukturiert, neue Sponsoren gewonnen, dazu auch einen neuen Finanzierungsplan ausgearbeitet. Es ist alles komplett neu, abgesehen von der Basisfirma und den Angestellten."

"Aufgrund der Resultate in diesem Jahr würden wie gerne Mercedes schlagen. Wir wollen die Entwicklung für 2011 mit voller Kraft vorantreiben, aber parallel dazu verbessern wir auch noch einige Dinge am aktuellen Fahrzeug, zum Beispiel den F-Schacht."

"Deswegen habe ich meine Aktionäre, wie es jede andere Firma auch tut, nach einem Geldvorschuss gefragt. Deshalb haben wir mit Bernie (Ecclestone; Anm. d. Red.) gesprochen, denn das Geld steht uns zu. Es hätte als Vorschuss zur Überbrückung des Sommers gedient, denn die nächsten Sponsorenzahlungen kommen Anfang September. That's it."

"Auf dem Papier wussten wir, dass dieses Team fähig ist, zwei Weltmeisterschaften zu gewinnen." Eric Boullier

Frage: "Wie sehen die langfristigen Ziele aus?"
Boullier: "Zuerst müssen wir ein klares Zeichen setzten, wozu dieses Team fähig ist. Auf dem Papier wussten wir, dass dieses Team fähig ist, zwei Weltmeisterschaften zu gewinnen. Aber sie waren im vergangenen Jahr Achter. Es ist also das Beste und das Schlechteste vorhanden."

"Wir müssen wissen, was falsch gelaufen ist. Wir haben angefangen, einige Bereiche zu verstehen, in denen wir das Team wieder auf den richtigen Weg bringen können, zumindest unter die Top 4. Das tun wir im Moment. Mein Job ist es, an das nächste und die folgenden Jahre zu denken. Dabei geht es um Umstrukturierungen und wie man das Niveau wieder erhöhen kann. Das betrifft den technischen Bereich und alle Ressourcen sowie das Budget."

Frage: "Welche Stärken hast du bei der Analyse im Team gefunden?"
Boullier: "Die größten Stärken sind die Kompetenz, die Hingabe und der Teamgeist der Mitarbeiter - sowohl in England, als auch in Frankreich. Diese drei Elemente sind sehr wichtig, denn man bekommt dabei das Beste aus den Leuten heraus. Damit kann man diese Mischung zusammenbringen."

"Ich möchte niemanden kritisieren, aber die Situation um Fernando Alonso war nicht ideal." Eric Boullier

Frage: "Und wo liegen die Schwächen?"
Boullier: "Ich denke, ein Mangel an Management und Führung des Topmanagements vor uns. Es fehlte an klaren Zielen. Ich möchte niemanden kritisieren, aber die Situation um Fernando Alonso war nicht ideal. Er kam von McLaren und hat dann bei Ferrari unterschrieben. Das war ein Schlüsselelement, denn das Auto braucht ja einen Fahrer."

"Es ist wie eine Kette, an deren Ende der Pilot steht. Wenn der Fahrer das Team nicht fordert, weil er weiß, dass er weggeht, ist das für mich ein Schlüsselmoment. Robert Kubica hat einen frischen Wind und neue Motivation in das Team gebracht. Er kam zum richtigen Moment, denn die schlechten Ergebnisse haben das Team runtergezogen. Keine Resultate sind für eine hingebungsvolle Mannschaft sehr demotivierend."

Vitaly Petrov

Boullier weiß, dass der Fahrer unheimlich hoch- aber auch runterziehen kann Zoom

"Da es kein Management gab, das die Richtung vorgab, war das Team auf sich alleine gestellt. Dazu gab es einem Fahrer, der schwierig im Umgang und arrogant war, das Team nicht auf die richtige Art und Weise gepusht hat. Das sind für mich die zwei Hauptgründe, warum es falsch lief."

Frage: "Wie hat 'Crashgate' das Team belastet?"
Broullier: "Um ehrlich zu sein: Das Team wurde getroffen, weil etwas Schlechtes vor sich ging. Eine der wichtigsten Personen des Teams, Pat Symonds, war involviert. Ich denke, das hat die Mitarbeiter mehr getroffen als die Rolle von Flavio Briatore dabei."

"Das zweite Auto ist noch offen." Eric Boullier

Frage: "Wie sehen die Ingredienzien aus, um wieder auf die Straße des Erfolgs zu kommen?
Boullier: "Man muss wieder alle Elemente zusammenfügen. Robert hat ein Cockpit sicher. Das zweite Auto ist noch offen. Vitaly Petrov fängt an, einen guten Job zu erledigen. Wir werden später in der Saison sehen, ob wir glauben, dass er für die Zukunft gut genug ist. Es ist natürlich wichtig, dass auch das zweite Auto in jedem Rennen Punkte holt."

"Um ehrlich zu sein, wünsche ich mir einen Fahrer, der Robert herausfordert - so, wie es bei Sebastian Vettel und Mark Webber ist, die den gleichen Speed haben. Das wäre das beste Szenario, um das Team voranzubringen. Ich muss klarstellen, dass ich nicht Business vor den Sport stelle."

"Ich möchte Fahrer, die sich dem Team voll und ganz verschreiben. Ich werde einen Fahrer nie um etwas bitten. Wenn er Geld mitbringt, umso besser, aber: Wenn ein Pilot das Team antreibt, weil er gewinnen will, ändert das gleich das ganze Szenario. Für mich war das die größte Schwäche des Teams im vergangenen Jahr."

Frage: "Meinst du damit, dass Renault einen starken und einen schwachen Fahrer hatte?"
Boullier: "Nein! Ein Pilot war einfach nicht engagiert. Das macht für mich einen großen Unterschied aus. Es ist für mich der Schlüssel, dass man zwei starke Fahrer hat, die alles geben, um mit dem Team Erfolge zu feiern."

Frage: "Es kann für ein Team manchmal schon ein Vorteil sein, wenn es einen starken und einen schlechteren Fahrer hat. Auf lange Sicht gesehen könnte der schnellere Fahrer aber an Biss verlieren. Siehst du das auch so?"
Boullier: "Nein, das denke ich nicht. Das Problem ist, dass man sich bei so einem Szenario selbst in der Entwicklung hemmt, denn man kann sich nur auf ein Auto verlassen."

"Fahrer sind Egoisten und denken nur an sich selbst, nicht an das Team." Eric Boullier

"Wenn man dem guten Fahrer aber ein Auto hinstellt, mit dem er die WM gewinnen kann, wird er glücklich sein. Fahrer sind Egoisten und denken nur an sich selbst, nicht an das Team. Meine Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass jeder für das Team arbeitet."

Frage: "Vitaly war auf dem Hungaroring das erste Mal im Qualifying schneller als Robert. Wie hat Robert das aufgenommen? Er ist ja sehr ehrgeizig..."
Boullier: "Wir haben in Q3 einen kleinen Fehler gemacht, weil wir geglaubt haben, dass die Reifen gut genug für zwei Runden sind. Das waren sie nicht. Manchmal passiert so etwas eben. Das ist Racing. Vitaly war heute eben zum ersten Mal schneller, aber unter Rennbedingungen kann wieder die normale Situation eintreten. Für Vitaly ist das gut, denn er kann jetzt fast mithalten. Er macht einen guten Job, denn er schließt die Lücke immer mehr."

Frage: "Welche Gefahren könnten auf Renault zukommen? Könnte Renault aussteigen, könnte Genii Capital sein Engagement beenden?"
Boullier: "Das kann man nicht sagen, denn wenn morgen Terroristen den Paddock bombardieren, ist auch alles anders. Das ist aber keine konkrete Bedrohung. Wenn Genii oder Renault aussteigen wollen, bedeutet das das Ende des Teams. Vielleicht würde das Team verkauft werden, aber darüber zu sprechen, ist sinnlos, denn wir sind hier mit einem langfristigen Plan."

Frage: "Die Partnerschaft zwischen Genii und Renault läuft bis 2012. Gibt es danach weitere Optionen?"
Boullier: "Diese Firma gehört Genii und Renault. Es kann also für immer laufen - oder auch vorbei sein, wenn einer aussteigen will. So wie jede andere Firma der Welt auch."

"Das Team macht mehr für das Image der Marke als der Motor alleine." Eric Boullier

Frage: "Könnte es zum Beispiel so sein, dass Renault nicht mehr als Motorenpartner auftreten will, aber trotzdem Genii unterstützen will? Wäre das eine Möglichkeit?"
Boullier: "Ich weiß es nicht. Alles ist möglich. Renault hat ein klares Interesse, als Motorenpartner aufzutreten und ein Formel-1-Team zu besitzen oder Teil davon zu sein. Das Team macht mehr für das Image der Marke als der Motor alleine."

Frage: :"Steht Renault hinter dem Formel-1-Einsatz?"
Boullier: "Ja. Renault steht ganz klar hinter dem Formel-1-Engagement."

Frage: "Gehört Genii die Mehrheit des Rennstalls?"
Boullier: "Ja, was Enstone betrifft."

Frage: "Liegen die Besitzverhältnisse zu zwei Dritteln bei Genii und einem Drittel bei Renault?"
Boullier: "Darüber kann ich keine Auskunft geben."

Frage: "Kann man das mit der Situation bei McLaren-Mercedes bis zu Beginn dieses Jahres vergleichen? Mercedes war Teilhaber bei McLaren, aber die Motorenabteilung gehörte ihnen."
Boullier: "Nein, das ist nicht wirklich ähnlich. Auf der einen Seite schon, denn Mercedes war auch Teilhaber. Aber es ist auch ganz anders. Unser Team heißt Renault und nicht Genii-Renault. Wir tragen alle die Farben von Renault und bei McLaren-Mercedes wurde McLaren repräsentiert."

Frage: "Wem ist zum Beispiel Motorenchef Rob White direkt unterstellt?"
Boullier: "Jean-François Caubet und Bernard Rey (aus dem Renault-Konzern; Anm. d. Red.)."

Frage: "Habt ihr auf der Motorenseite Einfluss?"
Boullier: "Das liegt nicht außerhalb unserer Kontrolle. Auf der einen Seite liegt es außerhalb unseres Bereichs, denn Genii ist nicht in die Fabrik in Frankreich involviert. Logischerweise haben wir als Teilhaber gemeinsame Interessen. Sie hören auf unsere Strategie und wir auf ihre."

Robert Kubica

Robert Kubica beim Großen Preis von Ungarn auf dem Hungaroring Zoom

Frage: "Der Renault-Motor belegt die komplette erste Startreihe im Red Bull. Ihre Autos sind beide in den Top-8. Trotzdem sagt Rob White, dass dem Aggregat an Leistung im Vergleich mit der Konkurrenz fehlt."
Boullier: "Ja, wir sehen das so, denn wir haben einige Daten, die das belegen. Laut unseren Berechnungen gibt es da einen Unterschied."

Frage: "Wie kann man das beziffern? Habt ihr fünf Prozent weniger Leistung, zehn?"
Boullier: "Weniger als das."

Frage: "Bei einem Motor mit ungefähr 700 PS wären fünf Prozent ungefähr 35 PS."
Boullier: "Es ist weniger als das."

Frage: "Kannst du uns genauere Daten sagen?"
Boullier: "Wir wissen sie nicht. Die Analysen geben keine genauen Daten und Mercedes rückt die ja klarerweise nicht raus. Wir wissen, was wir haben, und laut unseren Simulationen können wir sagen, dass es einen Unterschied gibt. Wir kennen Daten und es sind weniger als fünf Prozent."

Frage: "Ab 2013 wird es ein neues Motorenreglement geben. Welchen Einfluss habt Ihr darauf?"
Boullier: "Genauso so viel, wie uns das als Team betrifft. Wir sind auch Kunden."

"Wenn unser Motor etwas weniger Leistung hat, ist er vielleicht fahrbarer und verbraucht weniger Sprit." Eric Boullier

Frage: "Ist der Renault-Motor fahrbarer und im Verbrauch günstiger? Red Bull ist sehr stark und es kann nicht nur am Auto liegen."
Boullier: "Wenn unser Motor etwas weniger Leistung hat, ist er vielleicht fahrbarer und verbraucht weniger Sprit. Es geht da aber nicht um viel. Der Unterschied ist so wie bei der PS-Leistung. Glücklicherweise hat unser Motor auch Vorteile."

Frage: "Die Zukunft der Formel 1 hängt vom neuen Concorde-Agreement ab, das ab 2013 Gültigkeit haben wird. Werden diesbezüglich bereits Gespräche geführt?"
Boullier: "Es ist noch zu früh, um darüber zu sprechen. Wir haben gerade erst angefangen, darüber nachzudenken."