• 01.08.2010 00:09

  • von Michael Noir Trawniczek

Tost: "Ein ganz eigenes Konzept"

Toro-Rosso-Teamchef Franz Tost im Interview über die Entwicklung des Teams, die Abnabelung von Red Bull und die Chancen der Piloten

(Motorsport-Total.com) - Toro Rosso muss um sein Ziel kämpfen. Die Italiener wollen auf Platz acht in der Teamwertung. Derzeit liegt man mit fünf Punkten Rückstand auf Rang neun hinter Sauber. Während die Schweizer vorankommen, steht man bei Toro Rosso mit der Entwicklung des Fahrzeuges nahezu still. Der Schritt vom Red-Bull-Zögling zum selbstständigen Konstrukteur ist nicht leicht. Über die Entwicklung der Mannschaft aus Faenza spricht Teamchef Franz Tost im Interview.

Titel-Bild zur News: Franz Tost (Teamchef)

Franz Tost will Toro Rosso Schritt für Schritt voranbringen

Frage: "Franz, man spricht immer über neue Teams und neue Konstrukteure und vergisst dabei, dass auch Toro Rosso seit diesem Jahr Konstrukteur ist. Stört sie das?"
Franz Tost: "Nein, das stört mich gar nicht. Wir sind dabei, die Infrakstruktur aufzubauen. Das ist ein Prozess, der einige Jahre in Anspruch nehmen wird, denn ein Formel-1-Team baut man nicht von heute auf morgen auf. Wir sind auf dem richtigen Weg. Es passt alles."#w1#

Frage: "Das Auto erinnert immer noch sehr an Red Bull. Ist es schwer, eine Evolution einer Konstruktion zu bewerkstelligen, die von anderen erschaffen wurde?"
Tost: "Nein. Das Konzept von diesem Auto ist im Vergleich zum letztjährigen ganz anders. Das hängt damit zusammen, dass sich das Reglement geändert hat. Man hat im Vorjahr nachtanken dürfen, jetzt nicht mehr. Der Tankinhalt ist ganz anders und der Radstand ist verändert. Es ist ein völlig neues Konzept und hat mit dem letztjährigen nichts zu tun. Man darf sich irreführen lassen, weil das Monocoque vorne vielleicht ähnlich ist."

Frage: "Also haben die Ingenieure dies als den besten Weg empfunden?"
Tost: "Ja. Das letztjährige Auto war ein sehr gutes Auto. Wenn man einmal ein gutes Auto hat, dann baut man auf diesem Konzept auf."

Frage: "Im kommenden Jahr kommt ein ganz neuer Reifen, von dem man noch gar nichts weiß. Könnte durch so etwas die Schere zwischen großen und kleinen Teams wieder weiter aufgehen?"
Tost: "Das wird man sehen. Klar ist, dass es eine enorme technische Herausforderung ist. Nicht die reichen, sondern die erfahrenen Teams mit der entsprechenden Infrastruktur sind flexibler. Die können viel schneller reagieren, das ist ganz natürlich."

"Jammern nach dem Motto, dass für reiche Teams alles einfacher ist, bringt doch nichts." Franz Tost

"Aber es ist unsere Aufgabe als Toro Rosso, diese Lücke zu schließen. Da werden wir uns mit voller Energie reinhängen. Jammern nach dem Motto, dass für reiche Teams alles einfacher ist, bringt doch nichts. Wir müssen die Herausforderung annehmen und aus den bestehenden Mitteln das Beste machen. Ich bin zuversichtlich, dass wir das gut schaffen werden."

Frage: "Ist es auch eine Chance?"
Tost: "Ja. Es ist nicht einfach, die Reifen zu verstehen und sie richtig einzusetzen. Das ist für jede Strecke eine neue Herausforderung, weil es immer verschiedene Kriterien gibt: Asphaltbeschaffenheit, Temperaturen und so weiter. Das ist keine Konstante. Es ist eine Variable, die für jede Rennstrecke neu berechnet werden muss. Wir sind da zuversichtlich und optimistisch."

Frage: "Arbeitet man viel Simulationen?"
Tost: "Man kann nicht alles simulieren. Auf der einen Seite Gott sei Dank, auf der anderen Seite ist es schade. Man kann nicht simulieren, wie der Reifenabrieb auf der Strecke ist, wie die Sonneneinstrahlung ist, wie die Temperaturen sind, oder ob es Seiten- oder Gegenwind gibt. Das sind die Variablen, die uns die Natur da hinein mischt. Da müssen wir dann jeweils das Beste daraus machen."

Frage: "Der neue verstellbare Heckflügel soll kommen. Angeblich gibt es Gespräche, dass auch der Vordermann den Flügel flacher stellen darf. Wird es dann nicht sinnlos?"
Tost: "Nein, nein. Das regelt das Reglement: Nur der Hintermann darf den Flügel flacher stellen und auch nur dann, wenn er sich innerhalb eines gewissen Zeitfensters bewegt. Der Vordermann darf den Flügel dann nicht flacher stellen."

"Ich bin wirklich überrascht, wie spannend die Rennen in dieser Saison bisher sind." Franz Tost

Frage: "Kommt dieser Flügel, um den F-Schacht loszuwerden?"
Tost: "Nein, der Hintergedanke war, dass man mehr Überholmanöver sehen will. Ich bin wirklich überrascht, wie spannend die Rennen in dieser Saison bisher sind. Wir haben bisher bei fast jedem Rennen sehr viele Überholmanöver gesehen, auch sehr interessante Zweikämpfe. Seit Beginn der Saison war der Ruf nach vielen Überholmanövern laut."

"Ich bin kein großer Fans davon, nun zu sagen, dass man mit Gewalt so etwas nun einführen muss, damit wir überholen können. Man hat das jetzt mit den verstellbaren Flügeln beschlossen. Ob es gut ist oder nicht, das werden wir nächstes Jahr sehen. Es sollte nach wie vor interessante und harte Zweikämpfe gegen können. Es sollte nicht an jeder Ecke überholt werden, weil dann die Zweikämpfe nicht mehr so im Vordergrund sein können. Wir werden sehen, wie es wird. Lassen wir uns überraschen."

Frage: "Wird das Überholen inflationär?"
Tost: "Ich glaube nicht, dass es zu einer Inflation von Überholmanövern kommt. Das glaube ich deshalb nicht, weil der Vordermann beispielsweise dann KERS nutzen kann. So kann er einen Geschwindigkeitsüberschuss des Nachfolgenden wieder kompensieren, wenn er es aktiviert. Wir werden es sehen."

"Wir werden mit KERS fahren." Franz Tost

Frage: "Wird Toro Rosso denn KERS an Bord haben?"
Tost: "Ja, wir werden mit KERS fahren. Vor allem, weil Ferrari mit KERS fährt. Dadurch gibt es Veränderungen am Motor, vor allem an der Vorderseite des Motors. Da bringt es nichts, wenn man ohne KERS fährt, weil es gibt von den Spezifikationen keinen alternativen Weg."

Frage: "Wird Toro Rossi in Italien als eine Art blauer Ferrari wahrgenommen?"
Tost: "Wir haben in Italien sehr viel Fans. Der Name Toro Rosso hat eine sehr positive Affinität hervorgerufen. Ich bin selbst immer wieder überrascht, wie viele Italiener es gibt, die als Toro-Rosso-Fans zu bezeichnen sind."

Frage: "Dietrich Mateschitz hat mehrfach in den vergangenen Jahren gesagt, dass das Team verkauft werden soll. Davon hört man seit Monaten nichts mehr..."
Tost: "Ich habe von Dietrich Mateschitz nie gehört, dass das Team verkauft werden soll. Es hat immer wieder mal Gerüchte gegeben, aber wie man sieht, ist bisher nichts davon wahr geworden."

Frage: "Also hat das Team eine tolle Zukunft mit Besitzer Red Bull?"
Tost: "Das wollen wir mal so hoffen."


Fotos: Toro Rosso, Großer Preis von Ungarn


Frage: "Wo wollen sie in der kommenden Saison stehen?"
Tost: "Das Ziel in dieser Saison war der achte Platz. Man will sich immer verbessern. Wir müssen schauen, dass wir uns jedes Jahr steigern und besser werden. Klar - das ist eine langfristige Planung. Aber ich möchte uns im kommenden Jahr schon gern auf dem siebenten Platz sehen. Es muss einfach sichtbar sein, dass das Team besser wird und Fortschritte macht."

Frage: "Wie viele Mitarbeiter hat das Team derzeit?"
Tost: "Insgesamt mit allen Aushilfskräften liegen wir bei 294 Leuten. Jetzt kommt das neue Reglement, das die Zahl der Mitarbeiter beschränkt. Unsere Philosophie war es immer, langsam zu wachsen. Es bringt ja nichts, viele Leute reinzubringen, sondern die müssen alle auch zusammenarbeiten. Das nimmt Zeit in Anspruch."

"Wir machen das in kleinen Schritten. Wir haben eine gesunde Basis geschaffen im Verlauf des vergangenen Jahres. Nun werden wir hier und dort noch weiter aufstocken, aber ganz gezielt. Es ist uns sehr wichtig, dass die Basis bei der Kommunikation vorhanden ist und das es Zusammenarbeit gibt. Je mehr Leute, umso schwieriger ist das."

"Bei der Logistik arbeiten wir eher mit Ferrari zusammen." Franz Tost

Frage: "Zuerst haben Red Bull und Toro Rosso gemeinsame Sache gemacht, nun ist man getrennt. Wie funktioniert dieser Abnabelungsprozess?"
Tost: "Von der Technik her dürfen wir gar nichts mehr nutzen. Organisatorisch sind die Teams auch getrennt. Red Bull ist in England, wir in Italien. Bei der Logistik arbeiten wir eher mit Ferrari zusammen. Zu allen Europarennen chartern wir gemeinsam ein Flugzeug und fliegen am Donnerstagmorgen weg, am Sonntagabend zurück. Wir arbeiten also enger mit denen zusammen als mit Red Bull. Aber das hat nur geografische Gründe."

Frage: "Es gab zwischenzeitlich etwas Verwirrung um die Fahrer für 2011. Bleiben beide noch ein Jahr?"
Tost: "So wie es aussieht werden die Fahrer bleiben. Ich hoffe, dass sie sich in der zweiten Saison noch etwas steigern können. Wir haben uns zu diesem Programm entschieden. Dann muss man den Fahrern auch die Chance geben, dass sie entsprechend lange fahren und Erfahrungen sammeln können. Solch ein Programm dauert für mich zwei bis drei Jahre. Dann kann man besser abschätzen, ob einer weiterkommt oder nicht."

Frage: "Wie bei Scott Speed?"
Tost: "Es ist immer eine Frage, ob sich einer auch weiterentwickelt. Ich bin zuversichtlich, dass es mit unseren beiden Fahrern funktionieren wird."