• 05.06.2025 12:22

  • von Stuart Codling, Übersetzung: Stefan Ehlen

Horner kritisiert FIA-Rennleitung - aber Wheatley widerspricht

Red-Bull-Teamchef Christian Horner übt Kritik an den Formel-1-Schiedsrichtern und fordert mehr direkten Austausch, um strittige Situationen zu beurteilen

(Motorsport-Total.com) - Auf der Strecke hat sich der Staub gelegt, und Max Verstappen hat die Verantwortung für die Kollision mit George Russell übernommen. In einem Statement räumte er ein, das Manöver sei "nicht richtig" gewesen. Doch eine Frage bleibt: Wie kam es überhaupt dazu? Besonders im Fokus steht dabei die Kommunikation zwischen Red Bull und der FIA-Rennleitung - oder vielmehr das Fehlen derselben.

Titel-Bild zur News: Formel-1-Teamchef Christian Horner mit einem FIA-Logo (Fotomontage)

Formel-1-Teamchef Christian Horner mit einem FIA-Logo (Fotomontage) Zoom

Denn nach dem Restart war Verstappen verärgert, da das Team ihn auf die wenig beliebten Hard-Reifen der Mischung C1 gesetzt hatte. Er fühlte sich von Charles Leclerc touchiert und anschließend von Russell von der Strecke gedrängt.

Als das FIA-System Verstappen als "untersucht wegen Verlassens der Strecke und Gewinns eines Vorteils" anzeigte - er war über die Auslaufzone vor Russell wieder auf die Strecke zurückgekehrt -, entschied Red Bull, Verstappen anzuweisen, die Position zurückzugeben.

Verstappen erklärte später: "Diese Abfolge von Ereignissen hat meine Frustration angeheizt und zu einem Manöver geführt, das nicht richtig war und nicht hätte passieren dürfen."

Horner beklagt fehlende Rückmeldung

Red-Bull-Teamchef Christian Horner machte seinem Ärger nach dem Rennen Luft. Es habe keinerlei Rückmeldung von der Rennleitung gegeben, als das Team nachfragte, ob Verstappen die Position zurückgeben solle. Man habe also selbst entscheiden müssen, wie zu verfahren sei.

"Du bittest die FIA - also den Schiedsrichter - um eine Einschätzung", sagte Horner. "Aber es kommt einfach nichts zurück. Du siehst, dass der Vorfall gemeldet ist. Er geht an die Sportkommissare. Es sah ganz danach aus, als würde es eine Strafe geben. Also haben wir Max angewiesen, die Position zurückzugeben."

Im offiziellen Dokument der Rennkommissare, das die nachträgliche Zeitstrafe von zehn Sekunden sowie drei Strafpunkte für die Kollision in Kurve 5 begründet, heißt es jedoch klar, dass Verstappen keine Strafe dafür erhalten hätte, dass er vor Russell wieder auf die Strecke kam.

In einem weiteren Dokument zum Geschehen in Kurve 1 wurde festgehalten, dass Russell beim Überholversuch kurz die Kontrolle über sein Fahrzeug verlor, dabei aber weit genug vorn war, um Anspruch auf die Kurve zu haben - was letztlich Verstappens Abkürzen verursachte.

Im Nachhinein ist man immer schlauer

Als Horner später gefragt wurde, ob es rückblickend ein Fehler gewesen sei, Verstappen zum Positionsrücktausch aufzufordern, obwohl die Kommissare später entschieden, dass kein Vergehen vorlag, antwortete er mit einem Verweis auf den sogenannten Historikerfehlschluss - also das Urteilen über Entscheidungen mit dem Wissen des späteren Ausgangs.

"Aber genau da wäre es hilfreich, wenn der Rennleiter - also der Schiedsrichter - sagen würde: 'Weiterfahren' oder 'Position zurückgeben'", erklärte Horner.

"Für das Team ist es unglaublich schwierig, so etwas subjektiv zu beurteilen. Man versucht sich an früheren Fällen zu orientieren, sieht, was gerade passiert, und versucht dann, vorherzusagen, wie die Sportkommissare oder der Rennleiter entscheiden könnten."

Horner: In Saudi-Arabien ging es noch durch

Als jüngstes Beispiel nannte Horner das Rennen in Saudi-Arabien. Auch dort war Verstappen wegen des Verlassens der Strecke untersucht worden, hatte dabei jedoch keinen Kontakt mit einem anderen Fahrer - und die FIA entschied auf "keine weiteren Maßnahmen".

"Ich denke, es wäre für die Teams viel klarer, wenn die Rennleitung in solchen Fällen eine eindeutige Entscheidung trifft und sagt: 'Gib die Position zurück oder du bekommst eine Strafe'", so Horner weiter. "Dann weiß man, woran man ist - und muss nicht raten, was die Sportkommissare später vielleicht denken."

"Früher habe ich noch Rückmeldung bekommen. Heute ist es reine Auslegungssache."

"Wir haben uns alle Zeitlupen angesehen. Es war wirklich eine 50:50-Situation: Hatte George sein Auto unter Kontrolle? Hätte er die Kurve geschafft? Es sah so aus, also haben wir entschieden, die Position zurückzugeben."

"Es wäre wirklich hilfreich, wenn der Rennleiter in solchen Fällen Verantwortung übernimmt und klar sagt: 'Weiterfahren' oder 'Vorteil verschafft - Position zurückgeben'. Dann hat das Team eine Entscheidungsgrundlage. Aber mitten im Rennen zu erraten, was die Sportkommissare vielleicht denken könnten, ist verdammt schwierig."

Jonathan Wheatley widerspricht Horner

Anders sah das Jonathan Wheatley, Teamchef von Sauber - und bemerkenswert ist das vor allem deshalb, weil Wheatley bis vor wenigen Monaten noch Sportdirektor bei Red Bull war und in dieser Rolle den direkten Draht zur Rennleitung pflegte. Auch einer seiner Fahrer, Nico Hülkenberg, wurde in Spanien untersucht, weil er möglicherweise durch Verlassen der Strecke einen Vorteil erlangt hatte.

Bild aus gemeinsamen Red-Bull-Tagen: Jonathan Wheatley und Christian Horner

Bild aus gemeinsamen Red-Bull-Tagen: Jonathan Wheatley und Christian Horner Zoom

Hülkenberg war vom 16. Startplatz aus auf Rang elf vorgefahren und überholte anschließend Fernando Alonso, ehe er als Sechster die Ziellinie überquerte (nach Verstappens Strafe wurde er Fünfter). Den Großteil der Positionen hatte er durch einen starken Start gutgemacht. In Kurve 2 versuchte er, Liam Lawson außen zu überholen, wurde jedoch abgedrängt.

"Die Teams haben die Möglichkeit, die Situation selbst zu analysieren und entsprechende Entscheidungen zu treffen", sagte Wheatley. "Wir haben uns genau angesehen, was in Kurve 1 passiert ist. Hätten wir Zweifel gehabt, hätten wir anders gehandelt. Aber wir waren sehr sicher in unserer Einschätzung."

"Ich habe es schon früher gesagt: Die Arbeit der Sportkommissare hat sich in letzter Zeit stark verbessert. Die FIA macht da wirklich einen guten Job. Aber es ist ein laufender Prozess. Ich habe in all den Jahren noch nie zwei identische Überholmanöver gesehen."

"Ich habe in meinen 19 Jahren als Sportdirektor viel Zeit damit verbracht, die Arbeitsweise und den Druck der Rennleitung zu verstehen. Man sollte sich auch mal in deren Lage versetzen. Das ist nicht immer der einzige Vorfall, den sie gerade untersuchen - gerade nach der ersten Runde ist oft sehr viel los."

"Ich weiß nicht genau, worauf Christian sich bezogen hat. Ich habe sein Rennen nicht so genau verfolgt wie unseres. Aber wie gesagt: Ich habe viel Zeit damit verbracht zu verstehen, wann ich mit einer Antwort rechnen kann - und wann eben nicht."