• 06.07.2007 23:09

  • von Britta Weddige

Horner: "Kein Wechsel nur des Wechsels Willen"

Der Teamchef von Red Bull Racing erklärt, warum man an David Coulthard festhält, und beschreibt detailliert die aktuellen Entwicklungen im Rennstall

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Wieso habt ihr euch entschieden, David Coulthard auch ein weiteres Jahr im Cockpit zu behalten?"
Christian Horner: "Der Fahrermarkt ist momentan nicht sonderlich interessant, denn 2008 sind die beiden großen Teams besetzt mit Kimi (Räikkönen), Lewis (Hamilton), Fernando (Alonso) und Felipe (Massa). Auch bei BMW werden die Fahrer wohl bleiben. Jarno (Trulli) wird bei Toyota auch bleiben und ich wäre überrascht, wenn Renault die Fahrer wechselt. Es wäre schon mutig, (Nelson) Piquet Jun. anstatt (Giancarlo) Fisichella in das Cockpit zu setzen. Der Markt ist für 2008 ziemlich abgeflacht. Und David und Mark haben bei uns ihre Sache gut gemacht. Sie arbeiten vor allem als Team gut zusammen. Wir sind momentan nicht in der Lage, einen Fernando oder einen Lewis zu bekommen. Für uns gibt es daher keine bessere Kombination, die auch verfügbar gewesen wäre. Daher sind wir mit unserer Fahrerpaarung sehr zufrieden."

Titel-Bild zur News: Christian Horner (Teamchef)

Teamchef Christian Horner sieht Red Bull Racing auf dem richtigen Weg

Frage: "Wie wichtig ist es für andere Bereiche des Teams, dass es keine Veränderungen bei den Fahrern gibt?"
Horner: "Das ist sehr wichtig, denn sie geben uns eine Entwicklungsrichtung vor. Sie fahren die Autos ähnlich, sie sind ähnlich groß. Ein Auto um sie herum zu konstruieren, ist recht einfach. Als Paarung sind sie gut, denn sie treiben sich gegenseitig an. Die Probleme in diesem Jahr lagen hauptsächlich in der Zuverlässigkeit begründet. Aber wir verstehen nun, warum es die Probleme in Magny-Cours gab."#w1#

Frage: "Was genau ist denn passiert?"
Horner: "Wir haben neue Aerodynamikteile gebracht, die den Vorderwagen etwas zu sensibel machten. Am Freitag waren wir noch schnell, doch dann fielen wir zurück. Unsere Analysen in der Woche haben gezeigt, dass die Teile auf der Strecke nicht das gebracht haben, was wir uns erhofft hatten."

Kaum Alternativen

Frage: "Konntet ihr bei den Fahrern entscheiden, ohne Red-Bull-Chef Dietrich Mateschitz zu konsultieren?"
Horner: "Das ist eine gemeinsame Entscheidung. Das Team gehört Herrn Mateschitz, er muss mit den Entscheidungen also einverstanden sein. Aber die Diskussionen verliefen sehr geradlinig. Aber er hat das letzte Wort bei den Fahrern."

Frage: "Gab es denn Gespräche mit Ralf Schumacher?"
Horner: "Es gab einige Gespräche, ja. Wir haben uns unsere Meinung über verfügbare Fahrer gemacht, kamen aber zu der Entscheidung, dass es keinen Sinn ergibt, nur einen Fahrer auszutauschen, um überhaupt einen Wechsel zu haben. Die Fahrer sind momentan nicht unser großes Problem."

Frage: "Gelten die Verträge von Mark und David nur für Red Bull Racing, oder könnten sie auch zu Toro Rosso geschoben werden?"
Horner: "Nein, die Verträge gelten nur für Red Bull Racing."

Frage: "Stand hinter Mark Webber ein Fragezeichen?"
Horner: "Marks Verpflichtung ging ohnehin über zwei Jahre, daher ist das keine Überraschung."

Veränderungen bei Toro Rosso

Frage: "Bedeutet das für Toro Rosso nicht automatisch, dass sie auf jüngere Fahrer setzen müssen, um das Förderprogramm von Red Bull zu unterstützen?"
Horner: "Bei Toro Rosso waren sie in diesem Jahr nicht bei allen Rennen mit den Leistungen ihrer Fahrer zufrieden. Wir haben nie zu Toro Rosso geschaut, wir sind mit unseren Fahrern zufrieden. Ein Tausch hätte keinen Sinn ergeben. Was Gerhard Berger in seinem Team macht, ist aber seine Sache. Ich glaube aber nicht, dass er vor Saisonende eine Entscheidung treffen wird."

Frage: "Aber das gesamte Nachwuchsprogramm, auch in den USA, wäre ja sonst hinfällig. Also muss man bei Toro Rosso ja eben diese Fahrer verpflichten."
Horner: "Dazu kann ich schwer etwas sagen, aber bei uns spielte nur die Leistung eine Rolle. Was Toro Rosso angeht, so wäre ich überrascht, wenn die Fahrerpaarung gleich bleiben würde, aber das ist die Entscheidung von Gerhard. Es gibt ja einige gute Leute aus dem Nachwuchsprogramm. Michael Ammermüller hatte bisher ein schwieriges GP2-Jahr, Buemi sieht in der Formel 3 Euro Serie stark aus, auch Adrian Zaugg. Aber es gibt keinen, der sich nun direkt für den Schritt aufdrängen würde. Vielleicht müssen sie sich außerhalb umsehen. Sie haben ja Sébastien Bourdais bereits testen lassen - und das passierte sicher nicht aus Spaß."

Frage: "Was ist mit Sebastian Vettel?"
Horner: "Seine Vertragsituation ist interessant. Wenn BMW sich entschieden hat, wird es klarer werden."

Getriebe nun nahezu standfest

Frage: "Warum hat es so lange gedauert, bis eure Zuverlässigkeitsprobleme aussortiert waren? Vor allem euer Getriebe ist ja betroffen, in Magny-Cours traten in diesem Bereich in den Freien Trainings auch zwei Probleme auf."
Horner: "Das Getriebe, das wir eingeführt haben, ist ähnlich dem System, das McLaren einsetzt. Es ist unheimlich stark von der Elektronik abhängig. Mit der späten Entscheidung, welchen Motor wir in diesem Jahr fahren, konnten wir von September bis Januar nicht die Software umstellen, also mussten wir eine Schnittstelle für die Magneti-Marelli-Software bauen. Damit haben wir zwei Elektroniksysteme im Auto, die miteinander arbeiten. Auf der Chassisseite von PI Systems und auf der Motorenseite von Magneti Marelli. Es gab zu viele Zwischenfälle, in denen das Timing bei der Software nicht gestimmt hat. Mechanisch ist das System sehr gut ausgereift, es geht nur dann kaputt, wenn das Timing beim Schalten falsch ist."

Frage: "Konntet ihr die Schnittstelle mittlerweile loswerden?"
Horner: "Nein, die ist noch im Auto, aber verfeinert. Es kommen immer neue Parameter hinzu. In Monaco hat David beispielsweise lupfen müssen, gerade in diesem Moment schaltete er rauf. Die Software war völlig durcheinander. Oder Mark kam in Magny-Cours im Begrenzer auf einen Randstein. Die Vibrationen führten dann dazu, dass ein Gang brach. Es hätte den Gangwechsel nicht zulassen dürfen, doch es ließ ihn zu. Diese Parameter lassen sich am Prüfstand aber nur schwierig simulieren. Wir hoffen, dass wir von den möglichen Problemen nun 95 Prozent abgedeckt haben. Wir sollten eine wesentlich zuverlässigere zweite Saisonhälfte haben."

Frage: "Und wie wird das im nächsten Jahr?"
Horner: "Da kommt die Standard-ECU, da wird es für alle gleich. Die Schnittstelle wird dann viel einfacher ausfallen, weil alles an einer Kontrolleinheit hängt. Für uns ist das toll."

Frage: "Wie viele Getriebe konntet ihr im Laufe der Probleme denn schon abschreiben?"
Horner: "(überlegt lange; Anm. d. Red.) Bei Tests und Rennen gesamt so 20 Stück. Aber dabei wurde nicht immer das Gehäuse auch zerstört. Wir hätten auch zum alten System zurückkehren können. Aber wir kämpfen nicht um die WM, also gingen wir das Risiko ein."

Vom Kopieren und Entlehnen

Frage: "Ist es in heutigen Zeiten nicht gefährlich zu sagen, dass das eigene Getriebe dem von McLaren sehr ähnlich ist?"
Horner: "Es geht nur um das Konzept. Die Frage ist aber interessant. Adrian Newey kam nicht mit einem Stapel von McLaren-Zeichnungen zu uns. Und das war mit allen Designern so, auch wenn sie von Renault kamen. Aber sie kamen mit aerodynamischen oder mechanischen Konzepten. Der Renault-Designer, der zu uns kam, hatte die Schwingungstilger entworfen. Er hat keine Zeichnung mitgebracht, wir haben unsere eigene Interpretation entwickelt. Das Know-how änderte sich von Team zu Team, wenn die Leute wechseln. Man nimmt aber keine Zeichnungen oder technische Informationen mit."

Frage: "Ihr habt auch einen Fahrsimulator entwickelt. Ist der schon einsatzfähig?"
Horner: "Er wird gerade in Betrieb genommen. Er befindet sich gerade in Phase 1. Aber es ist ein sehr leistungsfähiges Werkzeug, es geht dabei nicht nur um ein Trainingswerkzeug für die Fahrer. Es geht um Chassis- und Aerodynamiksimulationen. McLaren hat es viel gebracht. Als Adrian zu uns kam, hat er drei Dinge angestoßen. Eine umfangreiche Entwicklung mit CFD (Computational Fluid Dynamics), einen Getriebeprüfstand und eben den Simulator. Das Projekt ist nun 18 Monate alt."

Frage: "Glaubst du, dass Lewis ohne diesen Simulator auch die Meisterschaft anführen würde?"
Horner: "Es hilft schon, aber es ist nicht die ultimative Antwort. Wenn man seine erste Runde in Indy betrachtet, am Freitag nach 20 Minuten, dann fuhr er sofort in allen Sektoren Bestzeit. Aber er hat den Kurs vorher nie gesehen. Da hat der Simulator geholfen. Montoya hat ihn auch sehr genutzt, Räikkönen gar nicht. Es ist eben nur ein Werkzeug."

Frage: "Ist der Erfolg, den Lewis jetzt hat, auch ein weiteres Zeichen dafür, dass Formel-1-Fahrer heute ein Vollzeitjob ist, da er ja sehr viel Zeit in der Teambasis verbringt? Ist das auch der Weg für andere Fahrer in der Formel 1?"
Horner: "Lewis kam sehr gut vorbereitet in die Formel 1, aber es lag an ihm, letztlich auch die Rennen zu gewinnen. Er muss seine Fähigkeit unter Beweis stellen. Er ist gerade in der Formel 1, aber erweckt den Anschein, als würde er gerade seinen 80. bis 200. Grand Prix fahren, nicht seinen 8. oder 9. Das ist beeindruckend. Das zeigt, welche Talente in den unteren Serien fahren und Red Bull hat sich mit dem Nachwuchsprogramm massiv darum gekümmert, diese Leute vom Kart bis zu einem Grand-Prix-Cockpit zu begleiten."

Frage: "Als Alonso zum ersten Mal im Simulator saß, sagte er, dass der von Renault dagegen wir ein 'Game Boy' sei."
Horner: "Bei McLaren halten sie sich mit Äußerungen auch zurück. Und da die Testfahrten eingeschränkt sind, wird die Simulation immer wichtiger."

Frage: "Was wird an eurem System besser sein?"
Horner: "Ich habe das von McLaren nie gesehen, aber einige von uns, die von McLaren kommen, kennen es. Unsere Variante wird noch beweglicher sein. Aber ich kann wenig über das von McLaren sagen, denn ich kenne es ja nicht."

Querelen hinter den Kulissen

Frage: "Ein kleinen Spionagefall gab es ja auch bei euch. Irgendjemand muss Spyker ja eure Konstruktionszeichnungen geschickt haben, denn sie argumentieren ja damit im Kundenautostreit. Wisst ihr, wer das war?"
Horner: "Das Problem betrifft wohl eher Toro Rosso."

Frage: "Adrian Newey hat zu Saisonbeginn gesagt, dass er ein sehr kompliziertes Auto gebaut hätte und er nicht wisse, ob das Team bereit dafür wäre. Ist das Team nun in einer besseren Situation dafür?"
Horner: "Ja, absolut. Dieses Auto ist verglichen mit dem aus dem Vorjahr wie etwas vom Mond. Alle mussten lernen, damit zu arbeiten. Aber in den vergangenen neun Monaten ist das passiert, die Entwicklung geschieht nun auch das ganze Jahr hindurch."

Frage: "Als Toro Rosso zur Familie von Red Bull hinzukam, war davon die Rede, dass es nur eine technische Basis für beide Teams geben soll. Steht das noch auf dem Plan?"
Horner: "Nicht in diesem Jahr. Es gibt eine zentrale Designeinheit, aber Toro Rosso stellt die Teile selbst her und hat auch eigene Zulieferer. Ob sich das ändert, hängt vom neuen Concorde Agreement ab."

Frage: "Ich habe gehört, Toro Rosso wäre dann nur das Team, ihr aber der Hersteller. Das würde dann mehr Geld für euch bedeuten."
Horner: "Ja, diese Debatte läuft und das ist eine Variante. Das Schiedsgericht wird da eine entscheidende Rolle spielen. Aber es finden derzeit sehr viele Diskussionen statt, eine richtige Lösung gibt es aber noch nicht."

Frage: "Aber es wird 2008 Kundenautos geben."
Horner: "Ja, die wird es geben. Es steht aber noch die Frage im Raum, ob man mit Kundenautos auch die Gelder aus den TV-Einnahmen bekommen sollte, die jetzt an die Hersteller fließen."

Frage: "Wäre es dann möglich, dass sich alle Teams mit einem McLaren-Chassis ausstatten, wenn das gerade das beste ist?"
Horner: "Nein, sie würden es wohl auf nur ein Kundenteam beschränken."