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  • 26.11.2011 10:49

  • von Dieter Rencken

Hembery: "Wir schlagen innovative Ideen vor"

Motorsportchef Paul Hembery blickt auf die Comeback-Saison zurück und gibt Auskunft über die zukünftige Entwicklung - Pirelli will aggressivere Mischungen bringen

(Motorsport-Total.com) - Die erste Saison des Pirelli-Comebacks ist fast vorüber. Nach den Bedenken im Winter haben sich die Reifen über die Saison gut präsentiert und sind von den Teams und Fahrern immer besser angenommen worden. Es gab auch keine konstruktionsbedingten Schäden. Pirelli ist auf Wunsch der Teams und der FIA anders and die Sache herangegangen und sieht die Reifen als Teil des Spektakels. Tatsächlich haben die Reifen die Action auf der Strecke gefördert. Die Weichen für die kommende Saison sind längst gestellt. Mit Pneus der neuen Generation wurde bereits getestet. Motorsportchef Paul Hembery zieht ein Fazit und blickt auf die kommenden Aufgaben voraus.

Titel-Bild zur News:

Pirelli-Motorsportchef Paul Hembery spricht offen über die Formel 1

Frage: "Wie ist das Verhältnis zwischen den beiden Reifen in Interlagos?"
Paul Hembery: "Ich habe mir noch nicht die Daten angesehen. Es hat recht balanciert ausgesehen. Die Strecke ist aus Reifensicht sehr gut, weil sie ständig benutzt wird. In den Kurven herrschen fast 4g. Das stellt die Reifen vor eine Herausforderung. Ich habe mit Fahrern der Stockcar-Serie gesprochen, und sie haben bestätigt, dass es für die Reifen eine anspruchsvolle Strecke ist."

Frage: "Gab es am Freitag Blasenbildung?"
Hembery: "Ja, ein wenig."

Frage: "Wie viele Boxenstopps werde wir im Trockenen sehen?"
Hembery: "Wahrscheinlich zwei. Wir haben ein Simulationstool, mit dem wir verschiedene Rennsituationen durchspielen können. Das basiert auf den Daten der unterschiedlichen Teams. Es ist oft sehr interessant, weil es meistens vier, fünf verschiedene Strategien gibt, mit denen man innerhalb von vier, fünf Sekunden das Ziel erreicht."

"Oft warten die Teams auf einen Gegner, der an die Box fährt und kopiert dann die Strategie. Es würde aber noch drei oder vier andere Strategien geben, die man verwenden könnte. Wenn sie mutig genug wären, könnten sie also ein besseres Resultat erzielen. Wir nehmen die gesammelten Daten und versuchen die Überkreuzungspunkte der Mischungen für das kommende Jahr auszuarbeiten. Jetzt wissen wir, wo wir am Limit, oder zu konservativ waren."

Frage: "Wie sieht das Verschleißlevel bei den verschiedenen Mischungen im kommenden Jahr aus?"
Hembery: "Es wird Strecken geben, wo man hart und medium einsetzt. Das sind Strecken wie Sepang, wo wir nicht viel tun können, weil diese Kurse solche Reifen verlangen. Auf anderen Strecken kann man mehr mit den Mischungen soft und supersoft spielen. Das hängt von der Aggressivität der Strecke ab. Wir wollen einen Unterschied von 1,8 Sekunden haben. Wir werden sicher den supersoft Reifen öfter verwenden. In diesem Jahr haben wir ihn hauptsächlich auf Straßenkursen eingesetzt."

"In Südkorea haben wir ihn erstmals nicht auf einer geplanten Strecke verwendet. Wir haben dort gesehen, dass er zehn Runden gehalten hat. Generell wollen wir, dass die weiche Mischung 15 Runden hält und die härtere 20 bis 25. Das wäre ideal. Im Februar werden wir bei fünf Grad testen und nichts erfahren. Wir müssen abwarten, bis wir nach Australien und Malaysia kommen. Dann haben wir ein gutes Verständnis."

"Wir können im Laufe der Saison Änderungen vornehmen und können das auch tun, wenn es zu langweilig wird. Ich habe mit einigen Fahrern darüber gesprochen. Zu Saisonbeginn waren wir zu skeptisch, aber jetzt finden sie, dass wir noch aggressiver sein sollen. Sie haben verstanden, dass es stark auf den Fahrer ankommt, weil sie die Reifen kontrollieren."

¿pbvin|512|4271||0|1pb¿"Es ist ein technisches Element im Rennen, speziell wenn sich die Balance durch die Benzinmenge verändert. Das hat man in keiner anderen Formel. Jede Runde ist aufgrund der sich ändernden Balance anders. Die Teams wollen, dass wir unseren Weg weiterverfolgen und aggressiv an die Sache herangehen."

Frage: "War diese Saison aufgrund dieser Umstände ein richtiger Test der Fahrer?"
Hembery: "Ich glaube schon. Die Fahrer mussten sich an viele Dinge einstellen, die Reifen, KERS, DRS und so weiter. Wenn man sich an den Saisonstart erinnert, haben wir viele blockierende Reifen gesehen. Das ist jetzt weniger der Fall."

Pirelli will ein neues Testauto

Frage: "Ihr habt jetzt kein Testauto mehr. Ist das ein Nachteil, oder braucht ihr eine andere Lösung?"
Hembery: "Es gibt Überlegungen, ob wir am Freitag mehr tun könnten. Das ist okay, wenn man ein neues Produkt einführt, das bereits entwickelt ist. Das haben wir in diesem Jahr bereits mit neuen Mischungen getan. Zuerst wurde am Freitag damit getestet und später wurde es im Rennen eingesetzt. Man kann aber keinen Entwicklungstest machen, denn es ist unmöglich, 24 verschiedene Mischungen mit zwölf verschiedenen Teams am Freitag ausprobieren."

"Mein Traum wäre, drei Topautos zu haben und einige Testfahrten über das Jahr gesehen zu bestreiten. Wir machen viel im Simulator. Dann bräuchte man noch drei Tests mit jeweils zwei oder drei Tagen auf einer vernünftigen Strecke, wie Spa, Monza oder Barcelona. Das wäre ideal, um die Reifen zu entwickeln. Die Autos verändern sich. Sie sind um zwei Sekunden schneller als beim Saisonstart. Die Belastungen für die Reifen ändern sich dadurch. Wir sehen, dass die Teams mit den Pneus viel besser umgehen können."

"Mit der gewonnen Erfahrung könnten wir in Zukunft während der Saison aggressivere Mischungen bringen, wenn wir diesen Trend sehen. Das wäre für die Teams eine Unbekannte. Solange es für alle Teams gleich ist, ist es okay. Wir haben viele Kämpfe im Mittelfeld gesehen. Das war sicher ein Highlight der Saison. Man redet zwar immer nur über die Spitze, aber die Kämpfe im Mittelfeld waren wunderbar. Es geht sehr eng zu. Dort waren die Reifenstrategien sehr interessant, weil es am Ende um mehrere Positionen ging."

Pedro de la Rosa

Pedro de la Rosa hat im Vorjahr den Toyota-Testträger von Pirelli gesteuert Zoom

Frage: "Also braucht ihr kein Testauto?"
Hembery: Doch, wir brauchen definitiv eines. Wir haben aber keine Antwort darauf. Das wird noch einige Monate dauern. Wir lassen die Teams die Saison zu Ende fahren und warten ab, wie die Gespräche laufen. Es ist eine Situation wie bei der Henne und dem Ei. Wir brauchen ein Auto, aber niemand will den Gegnern einen Vorteil verschaffen, deshalb fällt niemand eine Entscheidung."

"Man kann dann natürlich leicht Pirelli kritisieren, aber wir haben nicht die Möglichkeiten, das Produkt fertig zu entwickeln. Wir haben uns schon viele Lösungen überlegt, aber es liegt an den Teams. Wir brauchen drei Tests in der kommenden Saison. Wir schlagen innovative Ideen vor. Wir sind Partner, aber die Teams müssen entscheiden, was sie wollen. Was wir wollen und was der Sport will, kann anders sein."

¿pbvin|512|3728|pirelli|0|1pb¿Frage: "In den vergangenen Rennen waren die Strategien fast immer gleich. Wird sich das im kommenden Jahr ändern?"
Hembery: "Die Erfahrung trägt dazu bei. Die Teams kennen die optimale Strategie. Bei einigen Rennen waren wir zu konservativ, in Abu Dhabi und Indien zum Beispiel. Mit unserem aktuellen Reifensortiment blieb uns aber auch keine andere Wahl. Der Performance-Unterschied zwischen den Mischungen war zu groß, weshalb die Teams die Zeit minimiert haben, die sie auf dem langsamen Reifen zurücklegen mussten. Deshalb arbeiten wir daran, die Unterschiede zu verkleinern, damit die Strategie mit der härteren Mischung interessanter wird."

Frage: "Wie sieht deiner Meinung nach die ideale Anzahl an Boxenstopps aus?"
Hembery: "Ich würde sagen drei. Das ist eine schöne Balance. Das bricht den Nachmittag schön auf. Vier Stopps sind einer zuviel und zwei sind okay. Wenn wir oft drei Stopps sehen, dann wären wir zufrieden."

Der Nachwuchs muss gefördert werden

Frage: "Die GP2 und die GP3 rüstet ihr ebenfalls aus. Wie ist das GP2-Einladungsrennen in Abu Dhabi aus Reifensicht verlaufen?"
Hembery: "Es sind einige GP3-Fahrer in die GP2 aufgestiegen. Wir haben sie unterstützt. Das war der erste Schritt. Idealerweise wollen wir Nachwuchsfahrern mehr Möglichkeiten bieten, auch an den Formel-1-Freitagen. Force India hat einen tollen Job gemacht, indem ihr Ersatzfahrer sehr oft gefahren ist. Er hat dadurch Erfahrung sammeln können. Es wäre schön, wenn wir das öfter sehen würden."

"Ecclestone hat uns gefragt, ob wir zusätzliche Reifen für Nachwuchsfahrer bereitstellen könnten. Es wäre schön, das auch von unserer Seite zu unterstützen. Wir werden uns überlegen, wie wir jungen Fahrern mehr Möglichkeiten bieten können. Der Sport braucht das. Wir haben Topfahrer gesehen, die über die GP2 in die Formel 1 gekommen sind. Im Moment ist es sehr schwierig für einen Fahrer, von der GP2 in die Formel 1 aufzusteigen."

"Man braucht Erfahrung. Force India hat einen sehr guten Job gemacht. Sie haben drei tolle Fahrer, die einen gleich guten Job machen. Bei Red Bull ist das anders, weil sie Toro Rosso haben. Unser Sport hat mit der GP2 und der GP3 eine gute Struktur. Der letzte Rest fehlt noch, weil die Testteams verschwunden sind."

Frage: "Fehlt dir der Rallye-Sport?"
Hembery. "Ja, ich vermisse es sehr. Richard Burns ist vor sechs Jahren am gleichen Tag gestorben, an dem er Weltmeister geworden war. Wir vermissen die Rallyes. In unserem Team gibt es viele Rallye-Fans. Es ist natürlich ein anderer Sport. Ich frage mich manchmal, ob ich bei Regen und Nebel mitten im Wald stehen will. Es ist einfach ganz anders."