• 19.04.2013 21:49

  • von Dominik Sharaf

Hembery bleibt cool: Alles Geschmackssache

Der Pirelli-Sportchef zeigt sich mit Bröselreifen und Asphaltschach zufrieden, will aber mit den Teams an den Verhandlungstisch: "Wir finden eine Lösung"

(Motorsport-Total.com) - Pirelli legt als allgemeiner Reifenzulieferer der Formel 1 ein besonderes, zuvor nicht gekanntes Selbstverständnis an den Tag. "Tun, was der Sport verlangt", lautet das Credo der Italiener. Es wäre so einfach, spräche eben dieser "Sport" mit einer Stimme. Tatsächlich gibt es ganz unterschiedliche Forderungen aus der Formel-1-Szene, eingeprügelt wird verbal auf Sportchef Paul Hembery sowieso beinahe unablässig. Der Brite jedoch scheint ein dickes Fell zu besitzen und gerät auf die neuerliche Kritik gelassen.

Titel-Bild zur News: Paul Hembery

Wunder gibt es immer wieder: Hembery (rechts) ist das Lachen nicht vergangen Zoom

Vielleicht nicht obwohl, sondern gerade wegen der Tatsache, dass das Klagelied auf Pirelli seit drei Jahren mit kalendarischer Regelmäßigkeit angestimmt wird. Hembery scheint im Gegensatz zu Teamvertretern, die allen voran den Reihen Mercedes' und Red Bulls entstammen, zufrieden mit den Gummis für die Saison 2013, die unter der Maßgabe einer kürzeren Haltbarkeit entwickelt worden waren: "Das Kernprodukt ist ein Rennreifen und es erreicht, was wir erreichen wollen, nämlich zwei oder drei Boxenstopps."

Seine Zufriedenheit resultiert daraus, dass die Formel 1 das ist, was sie aus kommerzieller Sicht sein soll: spannend und unberechenbar. "Es kommt darauf an, wie man die Sache betrachtet", entgegnet Hembery seinen Kritikern. "Stellt man die drei verschiedenen Sieger in drei Rennen in den Vordergrund, dazu drei Weltmeister, war es sehr gut. Melbourne 2013 war eine der aufregendsten Ausgaben, die wir in vielen Jahren erlebt haben." Also viel Rauch um Nichts? "Es geht um Meinungen", sagt der Pirelli-Verantwortliche.

Pirelli zeigt sich gesprächsbereit

Eine eben dieser Meinungen ist, dass es an Lächerlichkeit grenze, dass mit der weicheren Reifenmischung nach dem Qualifying nur wenige Rennrunden möglich sein, ohne dass der Gummi leistungstechnisch die ewigen Jagdgründe besucht. "Zwei oder drei Runden nach dem Start in die Box zu fahren ist nichts anderes als zwei oder drei Runden vor dem Ende, wie wir es in der Vergangenheit erlebt haben - nur andersherum. Es ändert nicht viel", kontert Hembery auch diese Argumente seiner Gegner im Fahrerlager.

"Dass die Autos auf verschiedenen Mischungen gestartet sind, hat für ein spannendes Finale gesorgt", erinnert er an die Aufholjagd Sebastian Vettels in der Schanghai-Schlussphase. Trotz aller Zufriedenheit mit dem eigenen Werk, Pirelli will einlenken, wenn es nötig ist. Denn genauso wenig wie Duckmäusern ist Selbstherrlichkeit die Sache Hemberys, der die Vier-Stopp-Strategien des Türkei-Grand-Prix 2011 "einen Schritt zu weit" nennt: "Wenn alle der Meinung sind, das Qualifying funktioniere so nicht, finden wir zusammen eine Lösung."

Womit ein neues Schlachtfeld eröffnet wäre: Das neue Asphaltschach beim Kampf um die Startpositionen, mit dem Vettel in China massiv Schiffbruch erlitt, schmeckt nicht jedem. Statt den schnellsten Runden des Wochenendes sehen die Zuschauer am Samstagnachmittag Fahrer, die sich ein Duell liefern, wer es am längsten in der Box aushält. Hembery relativiert und erkennt ein neues Element: "Wir sehen jetzt, dass Strategie in Q3 mit reinspielt. Aber es ist noch früh in der Saison und erst einmal vorgekommen."

Reifen ab Ungarn definitiv "eingefroren"

Aus Pirelli-Sicht ist das kein Beinbruch: "Wenn jemand unbedingt pokern will, ist das kein Problem", gibt sich Hembery gelassen und versteht es mit der Nennung von Tatsachen zu entwaffnen. "Da gibt es geteilte Meinungen: Die einen sagen, es sei ein neues strategisches Element. Wir hatten drei Weltmeister unter den Top 3 innerhalb weniger Zehntelsekunden, so gesehen war es gut." Und doch: das Angebot, die Sache anzugehen, liegt auf dem Tisch. Es müsse aber Grenzen geben.

Red-Bull-Mechaniker

Sitzen kann man auf den Pirellis gut, Fahren auch - zumindest drei Runden lang Zoom

Der Rahmen für die laufende Saison scheint abgesteckt, jeden Eingriff in die Mischungen nennt Hembery eine "Gratwanderung". Wenn diese erfolgt, dann noch während der Europa-Saison. "Nach Ungarn möchte ich die Reifen nicht mehr ändern - es sei denn, es gibt ein Sicherheitsproblem, das wäre der einzige Grund", stellt der Brite klar, der auf jeden Fall den Eindruck verhindern will, dass Pirelli das Kräfteverhältnis beeinflusst. "Aber so oder so: Unsere Reifenpalette wird weiterhin weicher sein als im vergangenen Jahr."

Und so scheint Pirelli auch im dritten Jahr als Reifenlieferant eine Flutwelle der Kritik zu überstehen. Hembery glaubt ohnehin nicht, dass er noch lange als Prügelknabe der Formel-1-Nation herhalten muss: "Diese Diskussion gibt es doch jedes Jahr. Die Teams, die zweifelsohne talentierte Ingenieure in ihren Reihen haben, meistern die Herausforderungen, die wir ihnen bereiten, und zur Saisonmitte sind die Debatten ausgestorben." Hembery hat ein dickes Fell, und es scheint nicht dünner zu werden. Auch nicht 2014.