• 10.10.2011 14:26

  • von Dieter Rencken

Gillan: "Man spürt den Hunger bei Williams"

Interview mit dem Operativen Chefingenieur Mark Gillan: Sam Michael ist weg und bei Williams hat nun eine neue Ingenieursgarde das Sagen

(Motorsport-Total.com) - In Singapur absolvierte Sam Michael (nächstes Jahr Sportdirektor bei McLaren) seinen letzten Grand Prix als Williams-Mitarbeiter. Jetzt hat bei Williams eine neue Garde das Sagen: Mike Coughlan als Technischer Direktor, Jason Somerville als Leiter der Aerodynamikabteilung und Mark Gillan als Operativer Chefingenieur. Letzterer erlebte in Suzuka sein erstes Rennwochenende am Kommandostand. Im Interview analysiert er, was bei Williams seiner Meinung nach falsch läuft.

Titel-Bild zur News: Mark Gillan

Mark Gillan arbeitet seit zwei Wochen für das Williams-Team in Grove

Frage: "Mark, kannst du darstellen, wie sich deine Rolle von jener von Sam Michael unterscheidet? Was fällt in deinen Verantwortungsbereich, was nicht?"
Mark Gillan: "Sam war Technischer Direktor und trug demnach die technische Verantwortung für das gesamte Team. Ich bin Operativer Chefingenieur und kümmere mich ausschließlich darum, die Performance des Rennautos an der Strecke zu verbessern."

Hauptaufgabe ist die Rennstrecke

"Ich kümmere mich um die operative Gruppe und arbeite eng mit Jason Somerville, dem Leiter Aerodynamik, zusammen, um sicherzustellen, dass wir das beste aerodynamische und mechanische Paket haben. Ich berichte an Mike Coughlan und stelle sicher, dass wir an der Strecke das optimieren, was uns zur Verfügung steht."

Frage: "Hat sich in der Fabrik viel verändert, was die Arbeitsprozesse angeht?"
Gillan: "Einiges hat sich geändert, aber ich mache diesen Job ja erst seit zwei Wochen. Ich glaube, das wird dauern, denn die Dinge ändern sich nicht über Nacht, aber wir haben, so finde ich, schon jetzt eine bessere Kommunikation zwischen dem Rennteam und der Fabrik implementiert."

"Außerdem habe ich schon einige Jahre mit Jason zusammengearbeitet, also weiß ich, wie er arbeitet, und er weiß, wie ich arbeite. Unsere Fähigkeiten ergänzen sich gut. Ich habe mich zum Beispiel immer schon mehr für die aerodynamischen Einstellungen an der Strecke interessiert, während sich Jason mehr für die Entwicklung neuer Teile begeistern kann. Das funktioniert gut."

Frage: "Sind dir auf Anhieb Bereiche aufgefallen, wo du sagst, dies und jenes können wir besser machen?"
Gillan: "Ja. Es gibt mehrere Bereiche. Das Allererste war recht einfach, nämlich eine schnelle und pünktliche Kommunikation zwischen Fabrik und Rennteam einzuführen, um sicherzustellen, dass die Fabrik und die Aerodynamikabteilung genau wissen, was überhaupt benötigt wird, wie wir das Auto einsetzen, wie wir es gerne einsetzen würden, wie wir ein neues Teil für eine bestimmte Strecke optimieren. Das sind alles Dinge, die wir verbessern möchten."


Fotos: Williams, Großer Preis von Japan, Sonntag


"Wir wollen auch versuchen, weniger Teile zu produzieren, aber erreichen, dass jedes einzelne Teil sich stärker auswirkt, wenn wir es an die Strecke bringen, sodass der Fahrer einen deutlichen Unterschied spürt, wenn er es testet. In der Vergangenheit wurden viele Teile entwickelt, aber das Delta war nicht so groß, wie es hätte sein sollen."

Parallelprogramm 2011 und 2012

Frage: "Sodass der Fahrer auch gleich spürt, ob es eine Verbesserung ist oder nicht..."
Gillan: "Genau."

Frage: "Wie müsst ihr am Saisonende den Fokus setzen? Ist es wichtiger, die operativen Prozesse in Ordnung zu bringen, oder schaut ihr, dass ihr noch weitere Updates entwickeln könnt?"
Gillan: "Wir müssen für das nächstjährige Auto offensichtlich bessere Arbeit leisten. Damit das möglich ist, müssen die Prozesse stimmen. Das schließt aber nicht aus, dass wir auch an der Performance des diesjährigen Autos arbeiten."

"Es gibt ein paar Bereiche, in denen wir noch stark weiterentwickeln, und wir planen für die nächsten paar Rennen noch Updates. Das Ziel ist, einen großen Leistungssprung zu machen. Wenn wir nahe rankommen, Q3 zu erreichen, ist das sehr gut, aber das wird schwierig. Für das Saisonende muss aber das Ziel sein, ins dritte Qualifying einzuziehen. Andererseits ist das nicht das, was wir uns längerfristig vorstellen, daher müssen wir auch auf nächstes Jahr hinarbeiten."

Rubens Barrichello

Für das Williams-Team läuft es dieses Jahr noch nicht wie erhofft Zoom

Frage: "Williams hat den Schwung vor rund zwei Jahren verloren. Wie ist die Stimmung im Team? Depressiv, wütend?"
Gillan: "Als ich hier angekommen bin, war ich sehr beeindruckt. Wenn du zu einem neuen Team kommst, ist es sehr schwierig, genau zu wissen, was auf einen zukommt. Ich habe bei McLaren, Toyota und Jaguar gearbeitet, aber Williams ist ein sehr freundliches und offenes Team."

"Auch wenn die Ergebnisse seit einiger Zeit nicht mehr da sind, spürt man den Hunger und den Willen, wieder dorthin zurückzukommen, wo wir sein sollten. Es gibt eine Strebsamkeit, nach vorne zu kommen, neue Ideen aufzugreifen und das Entwicklungsprogramm zu beschleunigen. Das konnte ich schon in den ersten zwei Wochen ganz deutlich spüren. Wo Teams manchmal Schwierigkeiten haben, ist die Kommunikation zwischen Aerodynamik, Motor und Design. Das kennt man, aber der Hunger und der Wille, bessere Arbeit zu leisten, sind da."

Alle Zutaten vorhanden

Frage: "In der Vergangenheit haben wir oft gehört, dass bei Williams alles vorhanden ist, um an frühere Erfolge anzuknüpfen. Stimmt das?"
Gillan: "Ich sage euch: Wir haben die Anlagen, wir haben die Leute, jetzt auch die notwendigen Korrekturen, um viel bessere Arbeit zu leisten als in der Vergangenheit. Es wird nicht über Nacht passieren, denn das gibt es einfach nicht, aber ich bin vorsichtig zuversichtlich, dass wir in einiger Zeit wieder dort sein können, wo wir hingehören."

Frage: "Wie viel kann Rubens Barrichello mit all seiner Erfahrung dazu beitragen?"
Gillan: "Wenn du einen erfahrenen Fahrer nimmst - und er ist sehr erfahren -, dann ist er sehr, sehr sensibel auf Veränderungen der Balance und du musst ihm genau zuhören und verstehen, wo das Auto effizient ist und wie man es verbessern könnte. In den vergangenen zwei Wochen haben wir das Auto in einigen Bereichen verändert, insbesondere die Aerodynamik. Rubens' Feedback - aber auch das von Pastor - ist für diesen Prozess sehr wichtig."

¿pbvin|512|4158||0|1pb¿Frage: "Braucht ihr jetzt einmal Stabilität oder einen kompletten Neuanfang?"
Gillan: "Du brauchst immer Stabilität. Innerhalb des Teams ist allen klar, was wir verbessern müssen, und es gibt eindeutig Bereiche, in denen wir im Vergleich zu anderen im Moment nicht konkurrenzfähig genug sind. Das treiben wir an, aber das dauert ein bisschen. Darum sage ich, dass ich vorsichtig zuversichtlich bin, denn die Ergebnisse stimmen vielleicht noch nicht, aber das technische Wissen, uns zu verbessern, kommt jetzt herein, und die Anlagen sind da."

Frage: "Was erwartest du nächstes Jahr von Renault? Ist das ein Schlüsselfaktor des Umbaus bei Williams?"
Gillan: "Der Wechsel zu Renault ist natürlich sehr aufregend. Ich habe mit Rob White auch früher schon zusammengearbeitet und respektiere ihn sehr. Ich denke, das wird uns auf technischer Ebene voranbringen, und darauf freuen wir uns. Es geht nicht nur um den Motor, sondern es geht auch um Kontrollstrategien, die Auswirkungen auf die Reifen, die Auspuffgase und so weiter. Es ist definitiv eine sehr spannende Sache."