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Gefahr erkannt, Gefahr gebannt? Die Formel 1 auf Sparkurs
Während die großen Teams keine Kostendeckelung wollen, wünschen sich die kleinen Teams einen strikten Sparkurs für die Formel 1: So könnte es klappen
(Motorsport-Total.com) - Eigentlich hatten sich die Formel-1-Teams schon im Januar 2014 auf einen strikten Sparkurs geeinigt. Eigentlich. Denn was die Rennställe bei einem Treffen in Genf beschlossen hatten, ist bereits wieder überholt. Die Strategiegruppe der Formel 1, in der hauptsächlich die Branchengrößen vertreten sind, hat die Entscheidung zur Einführung einer Kostendeckelung nämlich revidiert. Nun folgt ein neuer Anlauf.
© LAT
Die kleinen Teams der Formel 1 malen das Kosten-Schreckgespenst an die Wand Zoom
In der dreiwöchigen Pause zwischen dem Ende der ersten Übersee-Phase und dem Europa-Auftakt kam es erneut zu einem Treffen der Verantwortlichen. Und so saßen am 1. Mai 2014 erneut alle Teams an einem Tisch, doch an einem Strang ziehen sie weiterhin nicht. "Es war aber schon ein Fortschritt, dass wir uns alle zusammengefunden haben", meint Marussia-Sportdirektor Graeme Lowdon.
Cyril Abiteboul, Teamchef bei Caterham, pflichtet ihm bei: "Es war ein gutes Treffen. Es ist immer gut, wenn man sich zusammen hinsetzt. Vor allem, wenn dabei die Möglichkeit besteht, dass alle Teams anwesend sein können." Und damit setzt Abiteboul die erste Spitze im Gerangel um Macht und Geld. Denn die kleineren Teams der Formel 1 fühlen sich von den größeren Rennställen hintergangen.
Da war doch was in Genf...
Deshalb habe man die Chance begrüßt, sich im großen Rahmen aussprechen zu können, meint Abiteboul. "Wir haben unsere Position dargelegt", sagt der Franzose. "Wenn ich von 'wir' rede, dann von den Rennställen, die nicht in der Strategiegruppe vertreten sind und damit weniger Gelegenheiten haben, ihre Position zu erklären. Deshalb sind wir schon mal sehr zufrieden, dass wir gehört wurden."
Was aber nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass noch immer Uneinigkeit herrscht, wie Robert Fernley als stellvertretender Teamchef von Force India betont. Er pocht auf den Beschluss aus Genf: "Wir dürfen nicht aus den Augen verlieren, dass wir uns einstimmig auf ein Protokoll zur Kostendeckelung verständigt haben. Wir glauben, das hat noch Bestand und dass die FIA daran weiterarbeiten sollte."
Toro-Rosso-Teamchef Franz Tost meint jedoch, dass sich die Formel 1 inzwischen "auf einem guten Weg" befinde, um diese prekäre Situation zu meistern. "Ich hoffe, dass wir am Ende eine Möglichkeit finden, die Kosten zu senken und den kleineren Teams beim Überleben zu helfen." Diese Aufgabe ist allen Beteiligten klar und verständlich. Einzig die Umsetzung sorgt für reichlich Zwist unter den Teams.
Die Topteams stellen sich quer
Dabei sollte man schon längst ins Handeln übergegangen sein, wie Sauber-Teamchefin Monisha Kaltenborn meint. "Die Kosten müssen signifikant reduziert werden. Und jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, um mit konkreten Schritten daran zu arbeiten", sagt sie. "Natürlich gibt es unterschiedliche Standpunkte. Wichtig ist aber, jetzt eine Lösung zu finden und diese dann auch umzusetzen."
Eine Lösung, wie sie eigentlich im Januar schon auf dem Tisch lag, im April aber wieder von eben diesem verschwand. "Die Strategiegruppe hat die Kostendeckelung vor einem Monat aus unterschiedlichen Gründen abgelehnt. Weil die Topteams meinen, dass es zu schwierig zu überwachen ist", erklärt Tost. Der Österreicher bringt sogar Verständnis für diesen Schritt auf.
"Wenn du etwas nicht kontrollieren kannst, dann führst du es sinnvollerweise gar nicht erst ein", meint er. Doch Fernley will nicht lockerlassen. Er sagt: "Wir fragen uns, ob sich die FIA mit einer Kostendeckelung arrangieren könnte. Wir respektieren die Meinung des Weltverbands. Und wir hinterfragen die Legitimation der Strategiegruppe, die die Entscheidung aus Genf verworfen hat."
Die kleinen Teams haben neue Ideen
Kritik üben ohne konstruktiven Gegenvorschlag - das ist kein guter Ansatz. Und deshalb bringen die kleinen Teams selbst Ideen ein, um die hohen Ausgaben in der Formel 1 zu reduzieren. Wenn nicht über eine kollektive Budgetdeckelung, dann halt über die Technischen und Sportlichen Regeln der Meisterschaft, so Tost. Er sieht konkrete Beispiele, wie sich leicht und sofort viel Geld einsparen ließe.
"Nehmen wir einmal den Test in Barcelona, der im Anschluss an das Rennen stattfindet. In meinen Augen ist das Geld, das wir zum Fenster hinauswerfen. Wir fahren schließlich zwei Tage lang und ein Formel-1-Kilometer kostet zwischen 300 und 400 Euro oder noch mehr. Da bleibt viel Geld auf der Strecke", erklärt Tost, der Testfahrten während der Rennsaison einfach komplett unterbinden würde.
Er sagt: "Was es braucht, sind realistische Ansätze, um die Kosten zu senken. Das heißt für mich: Wir verzichten auf Tests während der Saison, begrenzen die Updates und dergleichen mehr. Das würde helfen, die dramatischen Kosten, die wir derzeit haben, zu reduzieren." Kaltenborn befürchtet aber, dass sie auf diese Weise nicht die "drastische Kostenreduzierung" erreichen lässt, die alle anstreben.
Gleiche Chancen für alle Formel-1-Teams?
Dabei könnte alles so einfach sein. Wenn das Formel-1-Spielfeld für alle gleich wäre. Das ist zumindest die Wunschvorstellung von Marussia-Sportdirektor Lowdon. "Wir haben schon seit geraumer Zeit den gleichen Standpunkt. Wir denken, die Formel 1 sollte Fähigkeiten belohnen und nicht den finanziellen Aufwand, den man betreibt. Da sollte eine Balance bestehen", so der Brite.
"Unser Auto ist ein gutes Beispiel: Wir wissen, wie man es schneller macht. Wir werden nicht mangels Ideen eingeschränkt. Bei uns arbeiten clevere Leute, die wissen, was es braucht, um dem Fahrzeug Beine zu machen. Was uns einschränkt, ist die Menge an Geld, die wir dafür aufwenden können. Wir halten diese Situation für falsch", sagt Lowdon und merkt an: "Man sollte sich Erfolg nicht kaufen können."
"In der heutigen Welt musst du mit der Zeit gehen. Das bedeutet auch, in anderen finanziellen Dimensionen zu denken. Das geht jedem Sport so. Und dafür gibt es auch gute Gründe", meint er. Gründe, die die Formel-1-Privatteams schon lange erkannt haben, wie Claire Williams bestätigt: "Als Privatteam haben wir uns stets für eine Kostenkontrolle - egal, welcher Art - in der Formel 1 ausgesprochen."
Wenn nicht jetzt handeln, wann dann?
"Die Diskussionen darüber ziehen sich nun aber schon so lange hin und scheinen nirgendwo hinzuführen. Das ist sehr enttäuschend. Letztendlich wird das langfristig nur der Nachhaltigkeit des Sports schaden. Und wir alle tragen die Verantwortung, unseren Sport zu schützen. Allerdings müssen wir auch die Teams schützen, die schon seit sehr langer Zeit in der Formel 1 fahren."
"Ich denke, wir befinden uns nun an einer entscheidenden Weggabelung", sagt Williams und fügt hinzu: "Wenn wir jetzt nicht handeln und Verantwortung übernehmen, dann riskieren wir einen großen Schaden." Der Schritt, vor dem die Formel 1 jetzt stehe, müsse aber "groß" ausfallen. Was wiederum nicht realistisch sei, weil die Idee der drastischen Kostenreduzierung im Fahrerlager nicht nur Freunde habe.
"Es gibt Gegner einer Budgetdeckelung und das ist auch in Ordnung. In einer idealen Welt würden alle eine Kostendeckelung befürworten. Doch niemand - und sicherlich keines der großen Teams - wird eine solche Budgetdeckelung akzeptieren, die für ein Team wie uns einen Wendepunkt darstellen würde. Diese Diskussion kannst du nicht gewinnen. Was also können wir tun?", fragt Williams.
Auch sie verweist auf das Reglement und sagt: "Wir können uns die Technischen und Sportlichen Regeln der Formel 1 anschauen und versuchen, damit die Kosten zu senken. Daran arbeiten wir. Zu einem Konsens sind wir aber auch da noch nicht gekommen. Denn dabei muss man sehr feinfühlig vorgehen, um die DNS des Sports nicht zu beschädigen." Doch wie sehen die Ansätze denn genau aus?
In aller Kürze: Künftig könnte die Entwicklung der Fahrzeuge zum 1. Juli eines Jahres eingefroren werden, um die Ausgaben zu senken. Danach dürften nur Teile eingesetzt werden, die schon vor der Deadline homologiert worden sind. Auch will man in Zukunft das kurzfristige und teure Einfliegen von Teilen am Rennwochenende verhindern - nach der Autoabnahme am Freitag soll es keine Neuteile mehr geben.
Überhaupt könnte der Freitag bald ein neues Format erhalten: Der Donnerstag als Medientag wird, so der Ansatz, auf den Freitagvormittag verschoben, erst am Nachmittag beginnt die Formel 1 dann mit dem Fahrbetrieb. Außerdem soll die Windkanal-Zeit von 60 auf 40 Stunden pro Woche reduziert werden. Den Teams wird darüber hinaus nahegelegt, die Entwicklung mehr virtuell voranzutreiben.
Der 30. Juni als entscheidendes Datum für 2015
Und wer nicht selbst entwickeln will oder kann, soll künftig die Möglichkeit bekommen, mehr Teile käuflich erwerben zu können. Neben dem Motor, dem Getriebe und der Hydraulik könnten bald auch schon Fahrwerks-Komponenten und dergleichen mehr auf dem Markt erhältlich sein. Schon ab 2015, sofern die entsprechenden Vorschläge bis zum 30. Juni 2014 eingereicht und verabschiedet werden.
Liegen die Ideen bis zu eben diesem 30. Juni vor, reicht bei der Abstimmung darüber eine einfache Mehrheit, um die Regeländerungen für 2015 durchzusetzen. Danach braucht es Einstimmigkeit, die in der Formel 1 derzeit - und vor allem beim sensiblen Kostenthema - kaum vorstellbar ist. Toro-Rosso-Teamchef Tost findet deshalb auch klare Worte, wenn er über die Machbarkeit der Kostenreduzierung spricht.
"Für mich ist die Kostendeckelung tot, denn die Topteams akzeptieren sie nicht", sagt er, zeigt sich aber auch verständnisvoll: "Das ist natürlich auch eine komplizierte Geschichte für sie. Doch solange die Kontrollinstanzen keinen Blick in ihre Geschäftsbücher werfen können, ist eine Kostendeckelung nicht sinnvoll." Aber warum sollten die Kontrolleure denn nicht einfach Einsicht in die Daten erhalten?
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser...
Das fragt sich Sauber-Teamchefin Kaltenborn. "Es ist sehr wohl möglich, diese Maßnahmen zu überwachen. Denn in den Geschäftsbüchern tauchen Zahlen auf. Diese kannst du prüfen, denn sie sprechen eine deutliche Sprache. Es kommt darauf an, ob diese Zahlen stimmen oder nicht. Aber jedes Unternehmen hat eine Buchführung, auch sämtliche Teams. Das wäre also kein Problem", meint sie.
Unter einer Voraussetzung: "Dazu braucht es erst einmal Vertrauen." Wo von Beginn an ein Misstrauen herrsche, sei nicht viel zu machen. Und auch der Automobil-Weltverband ist in dieser Sache gefragt, ergänzt Fernley: "Ich halte die Kostendeckelung für nicht tot. Für unser Befinden liegt der Ball im Garten der FIA. Sie muss damit fortfahren, was schon einstimmig beschlossen wurde."
Denn sonst läuft die Formel 1 wieder einmal Gefahr, über kurz oder lang einige ihrer kleinen Teams zu verlieren. Weil diese den laufenden Rennbetrieb nicht mehr stemmen können. "Die Formel 1 braucht diese Vielfalt", meint Kaltenborn. "Das macht die Show doch so spannend. So hat ein kleines Team mal die Chance, nach vorn zu fahren und für eine Überraschung zu sorgen. Darum geht es doch." Und um Geld. Viel Geld.