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Formel-1-Saison 2011 im Rückspiegel: Ferrari
Am Morgen der Präsentation des neuen Ferrari blicken wir zurück auf das alte Jahr und analysieren, warum die Scuderia nicht an alte Erfolge anknüpfen konnte
(Motorsport-Total.com) - Während die Teams hinter den Kulissen längst ihren neuen Autos den letzten Feinschliff verpassen, nimmt die Redaktion von 'Motorsport-Total.com' den Jahreswechsel zum Anlass, die Formel-1-Saison 2011 noch einmal unter die Lupe zu nehmen. Unsere Experten Marc Surer und Pit Lane geben ihre Einschätzungen ab und analysieren, was falsch oder richtig gemacht wurde. Heute: Ferrari.

© xpb.cc
In Silverstone feierte Fernando Alonso mit beschnittenem Diffusor den einzigen Sieg
Rückblende, 14. November 2010: Fernando Alonso, der gleich seinen ersten Grand Prix auf Ferrari in Bahrain gewonnen hatte, geht als Gesamtführender ins WM-Finale in Abu Dhabi, acht Punkte vor Mark Webber und sogar 15 vor Sebastian Vettel. Selbst wenn Vettel gewinnen sollte, würde schon Platz fünf reichen, um ein drittes Mal nach 2005 und 2006 (jeweils auf Renault) Weltmeister zu werden. Doch es sollte anders kommen...
WM-Titel am Kommandostand verloren
Vettel gewinnt den Grand Prix souverän, doch Alonso fällt nach einer frühen Safety-Car-Phase wegen einer strategischen Fehlentscheidung hinter Witali Petrow zurück. Der narrt den Ferrari-Superstar bis zur Zielflagge, sodass Alonso nur Siebter wird und den WM-Titel noch verliert. Der vorgezogene Boxenstopp kostet Chefstratege Chris Dyer später den Job. Aber immerhin: Nach einer durchwachsenen ersten Saisonhälfte war die Kombination Alonso/Ferrari mit 154 Punkten ab Silverstone sogar effizienter als Vettel (141) und Webber (139).
Im Februar 2011 gelang dann nach einem schwierigen Winter, in dem sich das Team von der bitteren WM-Niederlage erholen musste, ein guter Testauftakt mit dem neuen 150° Italia (der ursprünglich F150 hätte heißen sollen, was jedoch von Ford juristisch verhindert wurde). Doch schon beim letzten Wintertest hinterließen Alonso und Massa nicht mehr den Eindruck, als wären sie WM-Kandidaten - auch wenn zu dem Zeitpunkt noch viele glaubten, dass Ferrari blufft.

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Da war die Welt noch in Ordnung: Der 150° Italia fiel erst nach und nach zurück Zoom
Die Wahrheit war: Das Grundkonzept des 150° Italia war kein Flop, doch die Entwicklungsschritte, die Ferrari für das Frühjahr geplant hatte, schon. Folgerichtig war die Ernüchterung groß, als in den ersten drei Rennen kein einziger Podestplatz gelang. "Ferrari war für mich die Enttäuschung des Jahres", kritisiert 'Motorsport-Total.com'-Experte Surer. "So, wie sie letztes Jahr gegen Saisonende aufgeholt haben, bin ich davon ausgegangen, dass sie 2011 von Anfang an vorne mitmischen werden. Nichts ist passiert."
Und während Vettel von Sieg zu Sieg eilte und nur McLaren manchmal ernsthafte Gegenwehr leisten konnte, war für Alonso spätestens mit dem ersten Ausfall beim Grand Prix von Kanada klar, dass es sehr schwierig werden würde, noch den Titel zu holen. Nach sieben Rennen hatte er 92 Punkte Rückstand auf Vettel. In den restlichen zwölf Rennen sollten nur noch weitere 43 Zähler dazukommen, was zumindest eine Wende zum Positiven signalisiert.
Wechsel an der Spitze der Technikabteilung
Die gelang Ferrari aber erst, als Technikchef Aldo Costa durch Ex-McLaren-Mann Pat Fry ersetzt wurde. Costa war es zuvor wochenlang nicht gelungen, der Wurzel des Problems auf den Grund zu gehen: falschen Daten aus dem Windkanal. Surer vermutet außerdem: "Immer dann, wenn es in einer Saison etwas Neues gibt, tut sich Ferrari viel schwerer als andere Teams. Diesmal waren es die Pirelli-Reifen."
"Man hat ja schon gemunkelt, ob sie vielleicht einen speziellen Draht zu Pirelli haben, aber das war offensichtlich nicht der Fall. Früher bei Bridgestone hatten sie vielleicht gewisse Vorteile, aber hier mussten sie wie alle anderen lernen, und damit haben sie sich schwerer getan - eindeutig", analysiert der 82-fache Grand-Prix-Teilnehmer. Besonders dann, wenn Pirelli härtere Gummimischungen an die Rennstrecke brachte, hinkte Ferrari hinterher. Mit den weicheren Pneus lief es zumindest etwas besser.
Doch selbst wenn Alonso und Massa einmal halbwegs konkurrenzfähig waren, war das noch lange kein Garant für ein gutes Ergebnis. "Dazu kommt", weiß Surer nämlich, "dass sie auch von den Strategien her nicht mehr die alten Ferrari-Vorteile wie damals mit Ross Brawn am Kommandostand hatten. Da hapert es bei Ferrari auch immer ein bisschen, wie man seit Abu Dhabi im letzten Jahr schon weiß."
Tatsache ist, dass die Ferrari-Dominanz der Ära Schumacher/Todt/Brawn schon seit Jahren weit entfernt ist. 2007 wurde die "neue" (italienischere) Scuderia zwar mit Kimi Räikkönen noch einmal Weltmeister und 2008 hatte Massa schon eine Hand am WM-Pokal, aber die Perfektion der Jahre 2000 bis 2004 ist Schnee von gestern. Wie ein Windkanal ein Topteam wie Ferrari wochenlang narren kann, ist Surer ein Rätsel, aber er hält fest: "Wir kommen wieder auf das alte Thema..."
Mängel zu lange nicht erkannt
"Es sind die Menschen, die ein Team gut oder schlecht machen, und es braucht eine Führung oder Ingenieure, die die Fähigkeit haben, so etwas rechtzeitig zu erkennen - nicht erst, wenn sie 100 Mal gemessen und gemerkt haben, dass da etwas nicht stimmt. Beim ersten Verdacht muss man so einer Sache nachgehen. Die Formel 1 wird von Menschen gemacht. Auch wenn sie alle rot angezogen sind, sind es doch nur Menschen", sagt er und ergänzt: "Die Mannschaft ist nicht überzeugend."
"Mit Pat Fry hatte man zwar Hoffnung, dass es vorwärts geht - ich hatte schon im letzten Jahr das Gefühl, dass man das spürt -, aber die Führung des Teams konnte das nicht richtig umsetzen", stellt Surer fest. "Dass sie zum Beispiel den angeströmten Diffusor nicht hinbekommen haben, ist ein Armutszeugnis. Der einzige Sieg ist ihnen in dem Rennen gelungen, in dem die FIA den angeströmten Diffusor im Schiebebetrieb verboten hatte. Da hat der Ferrari in Silverstone plötzlich funktioniert, aber das haben sie sonst nicht hinbekommen."
"Das ist nicht verständlich, denn selbst Force India und Toro Rosso haben es irgendwann geschafft", so der Schweizer. "Ferrari soll von der Programmierung des Motors hinterhergehinkt sein. Dieses Anströmen des Diffusors im Schiebebetrieb bedingt ja auch eine Programmierung des Motors. Da hatten sie einen Rückstand, der nicht ganz verständlich ist, vor allem weil Ferrari motorenseitig immer noch als Vorreiter gilt. Diese Details haben sie jedoch nicht in den Griff bekommen, auch wenn es sicherlich ein leistungsstarker Motor ist. Aber heutzutage braucht es eben mehr als das."
Auch wenn die Aufholjagd diesmal wegen der Vettel-Dominanz nicht mehr zu einer seriösen WM-Attacke führte, gelangen in der zweiten Saisonhälfte doch deutlich bessere Ergebnisse, als ein wenig an den wichtigsten Stellschrauben gedreht wurde. Alonso fuhr insgesamt zehnmal auf das Podium - genauso oft wie Webber und öfter als McLaren-Pilot Lewis Hamilton. Dafür stand Ferrari in den vergangenen drei Jahren bei 55 Grands Prix nur zweimal (!) auf Pole-Position.
Ferrari ist menschlicher geworden
Eine Statistik, die auch gegen Teamchef Domenicali spricht, obwohl der im Fahrerlager hohes Ansehen genießt. Surer hält lediglich fest, dass bei Ferrari die Menschen für den Misserfolg verantwortlich sind, aber ob dazu auch Domenicali gehört, wagt er nicht zu behaupten. Auf die Frage, ob der Italiener der richtige Mann für Ferrari ist, entgegnet er nur: "Mir fällt positiv auf, dass Ferrari nicht mehr diese Arroganz versprüht wie früher. So gesehen ja."

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Auf Abwegen: Felipe Massa kommt seit seinem Unfall nicht mehr richtig in Fahrt Zoom
Helfen würde Ferrari aber auch eine ausgeglichenere Fahrerpaarung als 2011. Die Zahlen sprechen Bände: Alonso sammelte 375 Punkte (Massa: 257), lag in 15 von 19 Qualifyings vor seinem brasilianischen Teamkollegen, behielt nach Podestplätzen mit 10:0 die Oberhand und erreichte in Silverstone Ferraris einzigen Saisonsieg, während Massa nie besser als Fünfter wurde. Auch im Qualifying schaffte Massa nie den Sprung in die erste Startreihe.
"Für mich ist seine Zeit abgelaufen. Ich bin fest überzeugt davon, dass ihn der Unfall langsamer gemacht hat", erinnert sich Surer an den bizarren Helm-Crash in Ungarn 2009. "Vielleicht hat er auch ein bisschen was von seinem alten Biss verloren. Seither ist er nicht mehr der Alte. Dass er gegen Alonso so abfällt, kann eigentlich nicht sein und ist für mich nur durch diesen Unfall zu erklären. Das ist traurig, aber es ist eine Tatsache. Ferrari hat ihm die Chance gegeben - sogar viel mehr als eine Chance. Das ist aller Ehren wert, aber seine Zeit ist abgelaufen."
Massa hat zwar noch Vertrag bis Ende 2012, doch ob Ferrari weiterhin so loyal sein wird wie bisher, wird von vielen Insidern in Frage gestellt. Sollte er gegen Alonso ähnlich schlecht aussehen wie vergangene Saison, könnten die Herren Montezemolo und Domenicali ganz plötzlich auf die Idee kommen, den arbeitslosen Adrian Sutil oder auch Robert Kubica erst zu evaluieren und dann ins Stammcockpit zu setzen...

© MST
Was Fernando Alonso aus unterlegenen Autos rausholt, Hut ab! Zoom
Pit Lane über Ferrari:
Saisonstatistik:
Link: Ferrari in der großen Formel-1-Datenbank
Team:
Konstrukteurswertung: 3. (375 Punkte)
Siege: 1
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 3
Podestplätze: 10
Ausfallsrate: 10,5 Prozent (3.)
Durchschnittlicher Startplatz: 5,2 (3.)
Qualifyingduelle:
Alonso vs. Massa: 15:4
Fernando Alonso (Startnummer 5):
Fahrerwertung: 4. (257 Punkte)
Gefahrene Rennen: 19/19
Siege: 1
Podestplätze: 10
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 1
Durchschnittlicher Startplatz: 4,6 (5.)
Bester Startplatz: 2.
Bestes Rennergebnis: 1.
Ausfallsrate: 5,3 Prozent (1.)
Felipe Massa (Startnummer 6):
Fahrerwertung: 6. (118 Punkte)
Gefahrene Rennen: 19/19
Siege: 0
Podestplätze: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 2
Durchschnittlicher Startplatz: 5,8 (6.)
Bester Startplatz: 3.
Bestes Rennergebnis: 5.
Ausfallsrate: 15,8 Prozent (9.)

