Formel-1-Saison 2011 im Rückspiegel: Renault

Wie Nick Heidfeld seine letzte Chance verspielt hat, warum Renault im Saisonverlauf zurückgefallen ist und Witali Petrow kein besserer Fahrer ist als vor einem Jahr

(Motorsport-Total.com) - Während die Teams hinter den Kulissen längst ihren neuen Autos den letzten Feinschliff verpassen, nimmt die Redaktion von 'Motorsport-Total.com' den Jahreswechsel zum Anlass, die Formel-1-Saison 2011 noch einmal unter die Lupe zu nehmen. Unsere Experten Marc Surer und Pit Lane geben ihre Einschätzungen ab und analysieren, was falsch oder richtig gemacht wurde. Heute: Renault.

Titel-Bild zur News: Nick Heidfeld

Nick Heidfeld konnte 2011 seine vielleicht letzte Chance nicht nutzen

Rückblende, 3. Februar 2011: Robert Kubica fährt mit dem neuen Renault R31 am Ende der ersten Testwoche des Winters Tages- und damit auch Wochenbestzeit. Der Vorsprung auf Ferrari beträgt zwei Zehntelsekunden, der auf McLaren und Red Bull fast eine halbe Sekunde. Das Fahrzeug mit dem innovativen Front-Auspuffsystem wird von mutigen Experten als Geheimfavorit auf den WM-Titel gehandelt. Doch die Freude über die Bestzeit sollte nur drei Tage lang anhalten.

Pech für Kubica, Chance für Heidfeld

Denn bei der Ronde di Andora, einer Rallye in Italien, verunglückte Kubica nur drei Tage später schwer - ein Wunder, dass er den Einschlag seines Skoda Fabia S2000 in eine Leitplanke, die sich durch das Auto bohrte, überhaupt überlebte. Für Renault war das natürlich ein herber Rückschlag, denn plötzlich musste man sich mitten in den Saisonvorbereitungen einen neuen Fahrer suchen. Zahlreiche Kandidaten bewarben sich, darunter auch klingende Namen wie etwa Jacques Villeneuve, doch letztendlich fiel die Wahl auf Nick Heidfeld.

Von da an ging es für Renault nur noch bergab. Schon bei den Wintertests gelang es nicht mehr, Kubicas ersten Platz in Jerez de la Frontera zu wiederholen, und im Laufe der Saison zog ein Team nach dem anderen vorbei. Zumindest ganz zu Beginn profitierte man aber noch von der guten Arbeit, die über den Winter geleistet wurde, und so fuhr Witali Petrow beim Auftakt-Grand-Prix in Australien auf das Podium, Heidfeld zwei Wochen später in Malaysia. Es sollten die einzigen Podestplätze 2011 bleiben...

¿pbvin|512|4295||0|1pb¿Surer hat einen Verdacht, warum von dem Punkt an kaum noch etwas vorwärts ging: "Das Auspuffsystem war zu dem Zeitpunkt noch ein Vorteil, weil alle anderen mit ihren eigenen Lösungen rumgespielt haben - mit Ausnahme von Red Bull. Aber alle anderen haben noch herumgetüftelt: Mercedes mit dem seitlichen Auspuff, McLaren musste nochmal alles über den Haufen werfen. Der Renault hingegen hat mit diesem System von Anfang an mehr oder weniger funktioniert, also hatten sie einen Vorteil", erklärt der 'Motorsport-Total.com'-Experte.

"Als dann aber die direkt angeströmten Diffusoren kamen, nach dem Vorbild von Red Bull, sind alle an Renault vorbeigezogen. Offensichtlich war dieses Auspuffsystem dann auch nicht weiterzuentwickeln, sondern sie sind angestanden. Sie hatten so und so viel Downforce, aber das war's dann", beschreibt der 82-fache Grand-Prix-Teilnehmer. Sprich: Das Front-Auspuffsystem ermöglichte Renault einen Blitzstart, von da an aber keine spürbare Weiterentwicklung mehr.

Probleme mit neuem Auspuffsystem

Konkret handelte es sich um eine Idee, die im Sommer 2010 entwickelt wurde: Der Auspuff mündet dabei nicht im Bereich der Heckpartie nach außen, sondern vor den Seitenkästen. Das birgt viele Risiken, weil die heißen Auspuffgase im Chassis einen weiten Weg zurücklegen müssen, bringt aber auch Vorteile mit sich - vor allem eine optimierte und großflächige Anströmung des Unterbodens. Die Risiken zeigten sich allerdings deutlich, als Heidfelds R31 in Spanien und Ungarn Feuer fing.

Zudem stellte sich bald heraus, dass das Front-Auspuffsystem in Sachen Weiterentwicklung höchst undankbar war. "Mit meinem bescheidenen aerodynamischen Verständnis beurteilt glaube ich, dass dieses System sehr gut funktioniert, wenn du am Gas bist, wenn du viele Abgase hast. Aber im Schiebebetrieb reduziert sich der Abgasstrom, selbst wenn die Drosselklappe offen ist. Daher hatten sie im Schiebebetrieb einen Nachteil gegenüber jenen Teams, die die Abgase direkt auf den Diffusor gelenkt haben, wie eben zum Beispiel Red Bull", erläutert Surer.

"Ich glaube, die Entwicklung konnten sie im Schiebebetrieb einfach nicht mehr weiterführen - außer mit einem totalen Umbau, aber das war dann auch zu aufwändig. Sie waren ja finanziell nicht gerade in Rosen gebettet, wie man hört", fährt er fort. "Sie hatten am Saisonanfang ein gutes Auto. Wäre das FIA-Anliegen durchgegangen, das Strömen von Auspuffgasen im Schiebebetrieb zu verbieten, hätte das Renault wahrscheinlich weniger wehgetan als anderen. Ob es wirklich so gewesen wäre, ist aber im Nachhinein schwierig zu kontrollieren."

Auspuffsystem des Renault R31

Front-Auspuffsystem des Renault R31: Innovativ, aber nicht entwicklungsfördernd Zoom

Für Surers Schiebebetrieb-Theorie spricht, dass Renault in der zweiten Saisonhälfte auf Strecken mit langsamen und mittelschnellen Kurven, zum Beispiel in Singapur, nicht den Funken einer Chance hatte, das Auto in schnellen Kurven aber weiterhin einigermaßen konkurrenzfähig war. Generell zeigte die Formkurve aber steil nach unten - in der zweiten Saisonhälfte holte das Weltmeister-Team von 2005 und 2006 nur noch acht der insgesamt 73 Punkte. So war schnell klar, dass man in der Konstrukteurs-WM keine Chance gegen Mercedes (165) hat, sondern eher nach hinten auf Force India (69) schauen muss.

Heidfeld: Enttäuschende Bilanz gegen Petrow

Besonders für Heidfeld verlief die Saison nach dem ermutigenden Auftakt frustrierend - unter anderem auch, weil er zwar seine bewährten Racerqualitäten ausspielen konnte, sich in den Qualifyings aber häufig mit schlechten Startpositionen in Verlegenheit brachte. Dass er das Stallduell gegen jenen Petrow mit 3:8 verlor, der 2010 gegen Kubica noch mit 2:17 untergegangen war, kam nicht nur für die deutschen Formel-1-Fans als unerwarteter Schock.

Teamchef Eric Boullier kritisierte schon während der Saison mehrfach, dass er sich von Heidfeld mehr erwartet hätte, was den technischen Input angeht, also zog er nach elf von 19 Rennen die logische Konsequenz und setzte den 34-Jährigen vor die Tür. Heidfeld kassierte dafür eine millionenschwere Abfindung und wurde durch Bruno Senna ersetzt, der schon davor als Testfahrer bei Renault engagiert und dadurch bestens im Team vernetzt war.

¿pbvin|512|4293||0|1pb¿Für Surer eine umstrittene Entscheidung: "Für mich ist Heidfeld einer, der immer genauso gut fährt, wie sein Auto das kann. Er ist ein sehr guter Rennfahrer, der immer das macht, was das Auto erlaubt. Natürlich hatte er das Pech, dass das Team zurückgefallen ist", analysiert er und vermutet: "Diese Truppe ist natürlich erfolgsverwöhnt. Sie haben einen Schuldigen gesucht und mit Heidfeld gefunden, hört man. Ich denke, dass er einer Intrige zum Opfer gefallen ist."

Unbestritten ist aber auch, dass "Quick Nick" nicht so quick war, wie ihm das viele zugetraut und gewünscht hätten. Sah es nach dem tragischen Kubica-Schicksal noch so aus, als könnte 2011 seine große Chance werden, endlich einen Grand Prix zu gewinnen, so blieb am Ende die ernüchternde Erkenntnis, dass er dem russischen Bezahlfahrer Petrow teilweise nicht einmal ebenbürtig war. Dabei genießt der nicht gerade den besten Ruf: "Ich glaube, dass Petrow nichts dazugelernt hat - er fährt immer noch genau wie im Jahr zuvor", findet Surer.

Fahrer als schwaches Glied

"Vielleicht macht er ein paar Fehler weniger, aber er ist nicht wirklich schneller geworden. Der Beweis dafür war, dass Senna praktisch ohne Training sofort auf seinem Level fahren konnte. Das darf eigentlich nicht sein, denn Senna ist für mich auch kein Überflieger. Daher glaube ich, dass Petrow nicht besser geworden ist", so der 60-Jährige. "Er macht weniger Fehler, aber schneller geworden ist er nicht. Es ist schwierig, das im Nachhinein mit Sicherheit herauszufinden, aber ich hatte jedenfalls nicht das Gefühl, dass er sich dermaßen verbessert hätte."

Im Zuge des Heidfeld-Rauswurfs geriet das Team medial unter Beschuss, insbesondere Teamchef Boullier, dem gerade in Deutschland Inkompetenz vorgeworfen wurde. Außerdem tauchten immer wieder Gerüchte auf, wonach das Geld knapp sein soll (zufälligerweise meistens dann, wenn der gefeuerte Ex-Teamchef Flavio Briatore bei einem Rennen vor Ort war), und das Theater um die Namensgebung (Lotus-Gruppe als Namenssponsor, aber keine Verbindung zum eigentlichen Lotus-Team von Tony Fernandes) kostete vor Gericht auch Zeit, Geld und Nerven. Aber Surer nimmt das Management in Schutz: "Boullier hat die Fähigkeit, ein Team richtig zu führen."

"Er hatte seine Probleme: Topfahrer verloren, dann war's knapp mit dem Geld, wie man gehört hat. Das Fahrerproblem hilft auch keinem weiter, weil damit Unruhe herrscht", weiß der Experte. "Eigentlich hat Boullier mit seiner Fahrerwahl für nächstes Jahr bewiesen, dass er weiß, in welche Richtung es gehen soll. Er hat die besten Fahrer ausgesucht, die auf dem Markt sind, und sich nicht wieder mit irgendwelchen Bezahlfahrern abspeisen lassen. Er sagt: 'Wir wollen da hin und wir besorgen das Geld. Dafür nehmen wir die besten Fahrer, die auf dem Markt sind.' Das zeigt für mich, dass das Team und Boullier die richtige Einstellung haben."

Eric Boullier

Teamchef Eric Boullier musste 2011 einige Male Kritik einstecken Zoom

Die besten Fahrer auf dem Markt waren demnach Kimi Räikkönen und Romain Grosjean. Beide haben in Abu Dhabi 2009 ihren bisher letzten Grand Prix bestritten und kehren nach zwei Jahren Pause in die Formel 1 zurück. Räikkönen, Weltmeister von 2007, hielt sich in der Zwischenzeit in der Rallye-WM in Schuss, sagte Williams für 2012 ab und fährt nun für das Team der Investmentgesellschaft Genii Capital. "Wenn das Auto gut ist, wird er gut sein, wenn das Auto nicht gut ist, wird er nicht gut sein. Kimi war schon immer so", lacht Surer.

Skepsis über Räikkönen-Verpflichtung

"Es ist ein Risiko, ihn zu engagieren", findet der Schweizer. "Das kann gutgehen, es kann aber auch in die Hose gehen. Wir haben jetzt eine andere Formel 1, wie auch Michael Schumacher gemerkt hat. Kimi ist zwar noch jünger, aber er war noch nie ein Arbeiter. Entweder passt es bei ihm oder nicht. Ich bin mal gespannt. Es ist sicherlich ein großes Risiko, ihn zu verpflichten, aber dadurch, dass sie Grosjean haben, haben sie einen jungen, hungrigen Fahrer im Team, der schon zeigen wird, was das Auto kann."

Der junge Franzose kam 2009 mitten in der Saison als Ersatz für Nelson Piquet jun. zu Renault und sah an der Seite von Superstar Fernando Alonso bei sieben Einsätzen (bestes Ergebnis: Platz 13 in Brasilien) ziemlich blass aus. Anschließend drohte er in der Versenkung zu verschwinden, doch dann entschloss er sich für einen Neubeginn, einen erneuten Anlauf in der GP2 - und mental gereift trauen ihm nun viel mehr Insider zu, dass er sein außer Frage stehendes Talent auch in der Königsklasse demonstrieren kann.

Michael Schumacher, Witali Petrow

Witali Petrows Kollision mit Michael Schumacher in Südkorea Zoom

"Er war zu früh in der Formel 1. Damals hatte er nur eine halbe Saison in der GP2 gefahren, bis ihn Briatore praktisch ins Auto geprügelt hat. Damals war er noch nicht reif", sagt Surer. "Dann hatte er noch das Problem, neben Alonso zu fahren - frag mal Massa, da siehst du immer alt aus! Der einzige Teamkollege, der nicht alt ausgesehen hat, war Hamilton, aber das war genau zur Zeit des Reifenwechsels von Michelin auf Bridgestone. Alonso war der typische Michelin-Fahrer, musste aber plötzlich auf Bridgestone umsteigen. Der Neuling hatte damit weniger Probleme. Also ist alles erklärbar."

Insofern erwartet er sich 2012 einen ganz anderen Romain Grosjean als noch vor drei Jahren: "Ich glaube, dass Grosjean eindeutig ein sauschneller Mann ist. Er hat eine zweite Chance verdient", unterstreicht er. "Er war zu früh in der Formel 1, wurde von Briatore reingeschubst. Stattdessen hätte er die GP2-Meisterschaft zu Ende fahren sollen und sich Zeit lassen, dann wäre der Aufbau besser gewesen. Die Formel 1 erfordert mehr als schnelles Autofahren. So eine Pause kann einem Fahrer auch gut tun."

Pit Lane über Renault:

Pit Lane

Renault hat es nach gutem Start nicht geschafft, den Schwung beizubehalten Zoom

Saisonstatistik:

Link: Renault in der großen Formel-1-Datenbank

Team:

Konstrukteurswertung: 5. (73 Punkte)
Siege: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Podestplätze: 2
Ausfallsrate: 15,8 Prozent (5.)
Durchschnittlicher Startplatz: 11,6 (5.)

Qualifyingduelle:

Heidfeld vs. Petrow: 3:8
Senna vs. Petrow: 4:4

Nick Heidfeld (Startnummer 9):

Fahrerwertung: 11. (34 Punkte)
Gefahrene Rennen: 11/19
Siege: 0
Podestplätze: 1
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Durchschnittlicher Startplatz: 13,4 (13.)
Bester Startplatz: 6.
Bestes Rennergebnis: 3.
Ausfallsrate: 27,3 Prozent (21.)

Bruno Senna (Startnummer 9):

Fahrerwertung: 18. (2 Punkte)
Gefahrene Rennen: 8/19
Siege: 0
Podestplätze: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Durchschnittlicher Startplatz: 11,6 (11.)
Bester Startplatz: 7.
Bestes Rennergebnis: 9.
Ausfallsrate: 0,0 Prozent (1.)

Witali Petrow (Startnummer 10):

Fahrerwertung: 10. (37 Punkte)
Gefahrene Rennen: 19/19
Siege: 0
Podestplätze: 1
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Durchschnittlicher Startplatz: 10,5 (9.)
Bester Startplatz: 6.
Bestes Rennergebnis: 3.
Ausfallsrate: 15,8 Prozent (9.)