Formel-1-Saison 2011 im Rückspiegel: Lotus

Warum 2011 für das Team Lotus 21 Millionen Euro wert ist, obwohl der starke Kovalainen und der enttäuschende Trulli keinen einzigen WM-Punkt geholt haben

(Motorsport-Total.com) - Während die Teams hinter den Kulissen längst ihren neuen Autos den letzten Feinschliff verpassen, nimmt die Redaktion von 'Motorsport-Total.com' den Jahreswechsel zum Anlass, die Formel-1-Saison 2011 noch einmal unter die Lupe zu nehmen. Unsere Experten Marc Surer und Pit Lane geben ihre Einschätzungen ab und analysieren, was falsch oder richtig gemacht wurde. Heute: Lotus.

Titel-Bild zur News: Heikki Kovalainen

Heikki Kovalainen hat für Lotus das eine oder andere Highlight gesetzt

Drei 13. Plätze - zwei davon durch Jarno Trulli, einer durch Heikki Kovalainen - sind für das Team Lotus in der kommenden Saison umgerechnet 21 Millionen Euro wert. Denn dem malaysisch-britischen Rennstall ist es zum zweiten Mal gelungen, Platz zehn in der Konstrukteurs-WM zu erobern. Das bedeutet, dass Lotus nun laut Concorde-Agreement zum Kreis der Etablierten gehört, als "Column-1-Team" eingestuft wird und Anspruch auf den sogenannten historischen Pott der Formel-1-Einnahmen hat. Das bedeutet konkret: "36 statt acht Millionen Dollar", grinst Tony Fernandes.

Als Caterham soll alles besser werden

Kombiniert mit einer Umstrukturierung des kompletten Unternehmens und der Einführung von KERS könnte Lotus (dann schon unter dem neuen Namen Caterham) 2012 endlich der lang ersehnte Anschluss an die etablierten Teams gelingen. Der blieb der Fernandes-Truppe 2011 noch verwehrt, auch wenn Kovalainen am Start gelegentlich die Williams-, Toro-Rosso- und Sauber-Piloten geärgert hat und beim Saisonfinale in Brasilien beinahe zum ersten Mal aus eigener Kraft ins Top-17-Qualifying eingezogen wäre. Aber unterm Strich lautet das Urteil von Experte Surer: "Ich habe von denen mehr erwartet."

"Als einziges der drei Nachzügler-Teams haben sie einen etablierten Formel-1-Konstrukteur, Mike Gascoyne, von dem man weiß, dass er siegfähige Autos bauen kann. Dass da nicht mehr rausgekommen ist, hat mich schon ein bisschen überrascht", sagt der ehemalige Grand-Prix-Pilot und schlussfolgert: "Das zeigt, wie schwierig die Formel geworden ist - denn sie haben einen Mann, der wissen müsste, wie es geht, der in den besten Teams war. Trotzdem schaffen sie es nicht, den Anschluss wirklich zu finden. Das ist schon überraschend."

¿pbvin|512|4295||0|1pb¿"Sie sind ohne KERS gefahren. Das hatte vielleicht einen kleinen Einfluss, weil du am Start nicht angreifen kannst", glaubt Surer. KERS bringt pro Runde eine halbe Sekunde, sagt man. Aber: "Ansonsten ist wie immer die Aerodynamik das Hauptthema. Da habe ich einfach mehr erwartet von diesem Team." Dass speziell Kovalainen am Start trotzdem immer wieder massiv Plätze gutgemacht hat und dann wegen des unterlegenen Materials zurückgefallen ist, lag wohl eher an den Raketenstarts des Finnen.

Dass er den einstigen Super-Qualifyer Trulli mit 16:2 entzaubert hat, spricht Bände - Kovalainen fährt in den Augen der meisten Experten sogar stärker als zu McLaren-Zeiten, als er immerhin ein Rennen gewonnen hat. "Kovalainen hat einen sensationellen Job gemacht und war oft besser als das Auto. Er hat mich beeindruckt", lobt auch Surer. "Auch seine Qualifikationszeiten - da war er ja wirklich dran an den etablierten Teams. Das war sensationell. Anhand von Trulli sieht man ja, dass es offensichtlich nicht einfach war, mit diesem Auto zu fahren."

Trullis Tage in der Formel 1 gezählt?

Das Urteil über den 37-Jährigen fällt dann auch dementsprechend negativer aus: "Trulli hat immer wieder über diese Lenkung geklagt, mit der er kein Gefühl hat - wobei bei ihm sicher ein Stück weit die etwas instabilen Pirelli-Reifen eine Rolle gespielt haben, denn damit haben sich einige Fahrer doch schwerer getan. Andererseits: Ein guter Fahrer muss sich darauf einstellen können", kritisiert Surer und spricht damit die Schwierigkeiten des sensiblen Routiniers mit der Servolenkung an, die erst im letzten Saisondrittel besser wurden.

Trotzdem: "Ich denke, Trullis Zeit ist abgelaufen", steht für Surer fest. "Wenn du auf Renault Monaco gewonnen hast und auf Toyota in der ersten Startreihe gestanden bist, fehlt dir halt auch die Motivation, wenn du plötzlich nur noch hinterher fährst - nach all den Jahren musst du die Lust einfach verlieren, ob er es zugibt oder nicht. Ich kenne das aus meiner eigenen Zeit: Irgendwann merkst du, dass das alles nichts mehr bringt. Nur mit einem guten Auto kannst du vorne fahren, denn mit einem schlechten Auto hat keiner eine Chance. Irgendwann bricht der Biss dann ein."

"Er wirkt ein bisschen lustlos, hat aber nicht den Mumm, einfach zu sagen: 'Das war's!' Das werfe ich ihm zum Teil vor, aber andererseits gab es früher immer einen triftigen Grund zu sagen: 'Bevor ich mich schwer verletze, höre ich lieber auf!' Diese Motivation gibt es heute nicht mehr, denn die Gefahr, dich in der Formel 1 zu verletzen, ist kleiner als im Fitnessstudio. Diese Motivation ist also weg."

Jarno Trulli

Die Servolenkung machte Jarno Trulli in der Saison 2011 oft zu schaffen Zoom

"Und wenn du noch Formel 1 fahren und Geld verdienen kannst, ist das nicht schlecht - du bist immerhin noch Formel-1-Star, bist im Gespräch. Wenn du aufhörst, geht es ganz schnell, dass du nicht mehr so populär bist, wenn du nicht gerade Weltmeister warst", weiß Surer. "Somit verstehe ich ein bisschen, dass er das noch mitnimmt, aber gleichzeitig ärgert es mich, dass er nicht für junge und talentierte Fahrer Platz macht, die vielleicht eines Tages Weltmeister werden können, wenn sie denn einen Fuß in die Formel 1 kriegen."

Sympathisch, aber (noch?) nicht erfolgreich...

Das Gastspiel von Karun Chandhok am Nürburgring war möglicherweise schonmal ein Test dafür, wie sich Kovalainen mit einem anderen Teamkollegen zurechtfindet - man munkelt, dass Trulli rausgeschmissen werden könnte, obwohl er eigentlich noch einen bestehenden Vertrag für 2012 hat. Chandhok war ein netter Aufputz, besonders vor dem Grand Prix von Indien - den er dann aber doch nicht bestreiten durfte. Dem 27-Jährigen klebte bei seinen Freitagseinsätzen der Defektteufel an den Fersen, was seine gute Laune jedoch selten trüben könnte. Nur: Die sympathischsten Zeitgenossen werden selten Weltmeister...

Das Wort sympathisch beschreibt übrigens auch Teamchef Fernandes hervorragend, der im Fahrerlager als Kumpel von nebenan auftritt und manchmal ein wenig naiv wirkt, in Wirklichkeit aber ein ausgebuffter Geschäftsmann ist. Wer neben einem Formel-1-Team auch noch Bernie Ecclestone einen Fußballklub (Queens Park Rangers) abkaufen und vor allem für seine eigene Airline den größten Flugzeugdeal der Luftfahrtgeschichte abwickeln kann, dem gebührt Respekt.

¿pbvin|512|4293||0|1pb¿"Solche Leute hat es in der Formel 1 schon immer gegeben. Wahrscheinlich sind es genau die, die es braucht, um die Startplätze zu füllen", findet Surer. "Da braucht es halt einen, der eine Idee hat und verrückt genug ist, so etwas durchzusetzen. Leute wie Tony Fernandes braucht es einfach. Er hat auch irgendwie Benzin im Blut - und ohne diese Leute gäbe es nur noch die vier Topteams. So gesehen ist das positiv, denn das Feld muss auch irgendwie gefüllt werden."

Doch bei allem Respekt ist auch klar: Unter dem neuen Namen Caterham - Fernandes hat den gleichnamigen Sportwagenhersteller übernommen - müssen 2012 endlich die ersten WM-Punkte her. Das wird ohne den ehemaligen Toyota-Ingenieur Dieter Gass, der zu Audi abgewandert ist, nicht einfacher, aber Fernandes hat seine Mannschaft auch mit einigen guten Technikern aufgestockt. Wenn einem der drei jüngsten Teams der Sprung ins Mittelfeld zuzutrauen ist, dann am ehesten Lotus. Pardon, Caterham.

Pit Lane über Lotus:

Pit Lane

Was ich über die Lotus-Saison denken soll? Bin mir selbst nicht ganz sicher... Zoom

Saisonstatistik:

Link: Lotus in der großen Formel-1-Datenbank

Team:

Konstrukteurswertung: 10. (0 Punkte)
Siege: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Podestplätze: 0
Ausfallsrate: 23,7 Prozent (10.)
Durchschnittlicher Startplatz: 18,7 (10.)

Qualifyingduelle:

Kovalainen vs. Trulli:: 16:2
Kovalainen vs. Chandhok: 1:0

Heikki Kovalainen (Startnummer 20):

Fahrerwertung: 22. (0 Punkte)
Gefahrene Rennen: 19/19
Siege: 0
Podestplätze: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Durchschnittlicher Startplatz: 18,1 (21.)
Bester Startplatz: 15.
Bestes Rennergebnis: 13.
Ausfallsrate: 26,3 Prozent (18.)

Jarno Trulli (Startnummer 21):

Fahrerwertung: 21. (0 Punkte)
Gefahrene Rennen: 18/19
Siege: 0
Podestplätze: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Durchschnittlicher Startplatz: 19,2 (22.)
Bester Startplatz: 18.
Bestes Rennergebnis: 13.
Ausfallsrate: 22,2 Prozent (16.)

Karun Chandhok (Startnummer 21):

Fahrerwertung: 28. (0 Punkte)
Gefahrene Rennen: 1/19
Siege: 0
Podestplätze: 0
Pole-Positions: 0
Schnellste Rennrunden: 0
Durchschnittlicher Startplatz: 20,0 (23.)
Bester Startplatz: 20.
Bestes Rennergebnis: 20.
Ausfallsrate: 0,0 Prozent