powered by Motorsport.com
  • 05.10.2013 14:52

  • von Dieter Rencken & Roman Wittemeier

Formel-1-Piloten: Fasten fürs Fahren

Die Diskussion um die Körpergewichte der Formel-1-Piloten nimmt immer bizarrere Formen an: Konkurrenzfähigkeit geht vor Kalorienzufuhr

(Motorsport-Total.com) - Die Formel 1 schafft sich mit der Einführung des deutlich veränderten Reglements zur Saison 2014 einige Probleme. Es sind nicht nur die Kosten, die zum kommenden Jahr deutlich ansteigen werden, sondern auch der Geräuschpegel im Fahrerlager. Die knurrenden Mägen der Formel-1-Piloten werden durch den Paddock schallen, weil die frühzeitigen Mahnrufe im Jahr zuvor womöglich nicht erhört wurden - oder andere Interessen einfach für wichtiger gehalten wurden.

Titel-Bild zur News: Jenson Button

Jenson Button trägt das Thema Erhöhung des Mindestgewichts vor Zoom

"Ich will endlich mal wieder essen", bringt es Jenson Button in aller Kürze auf den Punkt. Die Formel-1-Piloten, die im Körpermaß über die 175 Zentimeter hinausgehen, müssen sich unter den aktuellen Voraussetzungen für das kommende Jahr zur Konkurrenzfähigkeit hungern. Hintergrund: Das Mindestgewicht der Fahrzeuge wird 2014 zwar um 48 Kilogramm angehoben, aber die neuen Antriebsstränge "fressen" diesen Gewichtsspielraum mehr als auf.

Allein der neue V6-Turbo soll mit allen Nebenaggregaten und Hybridsystem über 50 Kilogramm mehr wiegen als die aktuelle Antriebsgeneration. Konsequenz: Es bleibt trotz Erhöhung des Mindestgewichts weniger Spielraum, um unterhalb der magischen Marke von 690 Kilogramm zu bleiben und somit Ballast dort zu platzieren, wo er der Performance des Rennautos am dienlichsten ist. Um neuen Spielraum zu erhalten, wünschen sich die Techniker möglichst leichte Piloten.

Hülkenberg: Ein Brocken für ein Team?

Dieser Trend könnte dem Deutschen Nico Hülkenberg womöglich zum Verhängnis werden. Der Emmericher ist 185 Zentimert groß und 78 Kilogramm schwer - deutlich über dem Schnitt der kleinen "Rennflöhe" in der Formel 1. Zum Vergleich: Weltmeister Sebastian Vettel und Ferrari-Superstar Fernando Alonso wiegen 14 Kilogramm weniger. "Ich wäre gerne 10 Zentimeter kleiner und leichter! Dann hätte ich mehr Platz im Cockpit, würde bequemer sitzen und man es gäbe mehr Spielraum bei der Gewichtsverteilung", wird Hülkenberg von der 'Bild' zitiert.

Der 26-Jährige, der Sauber am Ende des Jahres nach nur einer Saison wohl verlassen wird, hat sich mit guten sportlichen Leistungen für ein Engagement bei einem Topteam empfohlen. Aber seine Gewichtsklasse macht ihm womöglich einen Strich durch die Rechnung. McLaren will vom Deutschen nicht viel wissen, auch Lotus zögert. Hülkenberg ist für die neue Fahrzeuggeneration zu schwer. "Schade ist es. Aber es ist tatsächlich so, dass man sagen muss, dass schwere Piloten weniger Attraktiv sind", gibt McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh offen zu.

Nico Hülkenberg

Anruf bei der Ernährungsberatung? Nico Hülkenberg ist womöglich zu schwer Zoom

"Alle Fahrer sind sich einig - zumindest die etwas schwereren Piloten -, dass sich etwas ändern muss. Ich habe gehört, dass die leichteren Kollegen dem zustimmen würden, weil es ein unfairer Wettbewerbsvorteil ist. Wir werden uns nun an unsere Teamchefs wenden", sagt Ex-Weltmeister Button, der sich Sorgen nicht nur um Arbeitsplätze für Kollegen, sondern auch um die Gesundheit mancher Fahrer macht. "Das sollte nicht so sein", meint Sebastian Vettel.

Zwischen Skispringern und Supermodels

"Es ist irgendwie eine verrückte Situation", erklärt Button. "Es gibt viele Regeländerungen zum kommenden Jahr. Das Mindestgewicht der Autos wurde angehoben. Dass sich die Piloten dann Gedanken über ihr Körpergewicht machen müssen, halte ich für falsch. Die talentiertesten Fahrer sollten in der Formel 1 sein. Das ist wegen gewisser Dinge in der Formel 1 leider nicht immer der Fall. Aber bezüglich des Fahrergewichts könnte man wenigstens ganz einfache Lösungen finden."

Die Lösung liegt eigentlich ganz nahe. "Es würde sich lohnen, über eine Änderung des Reglements nachzudenken und die minimale Gewicht des Autos hochzusetzen", spricht Hülkenberg den naheliegenden Ansatz aus. Leicht gesagt und leicht getan? Nein! "Wir sprechen hier über die Formel 1. Hier geht es um Konkurrenzfähigkeit. Die Erfahrung zeigt uns, dass sobald jemand um eine Änderung bittet, andere Teams dadurch einen Nachteil haben. Das hat sich oft genug gezeigt. Wir brauchen Einstimmigkeit, um das Mindestgewicht nach oben zu schrauben. Ich glaube nicht, dass das zustande kommen wird", wo Whitmarsh.

Wer daran glaube, dass die Interessen von Fahrern plötzlich über jenen der Teams stehen könnten, werde wohl enttäuscht, meint der Brite. "Das Problem ist, dass sobald ein Team auf so etwas aufmerksam macht, wittern die anderen Teams den eigenen Vorteil und stimmen einer möglichen Erhöhung des Gewichts nicht zu. Ich bezweifele ganz ehrlich, dass wir da zum jetzigen Zeitpunkt ein einstimmiges Votum bekommen würden. Wir arbeiten im Moment hart daran, dass wir mit unserer Kombination von Auto und Fahrer unterhalb des Mindestgewichts bleiben."


Fotos: Großer Preis von Südkorea, Girls


Die Fahrer haben das Thema Körpergewicht und die damit verbundenen Nachteile im Fahrerlager von Südkorea am Freitag besprochen. "Es darf doch nicht sein, dass Teams kein Interesse an schwereren Piloten haben, die eventuell üblerweise sogar auch noch recht groß sind", so Button. "Für uns aktuelle Fahrer ist das noch gar nicht mal solch ein Problem. Aber es darf doch nicht sein, dass vielleicht talentierte Nachwuchsleute darunter leiden, dass sie größer gewachsen sind. Wenn wir so weitermachen, dann kommen sie aber aufgrund von Größe und Gewicht vielleicht nicht für ein Renncockpit in Betracht."

Teams müssten einstimmig entscheiden

"Auch mir macht das Sorgen", stimmt Paul di Resta im 'Daily Telegraph' zu. Der schottische Force-India-Teamkollege von Adrian Sutil gehört mit 185 Zentimetern Größe und 78 Kilogramm Körpergewicht in die gleiche Klasse wie Hülkenberg. "Ich wiege jetzt schon weniger als gesund ist." Die Piloten befürchten, dass es zu weiteren Gewichtsreduzierungen bei Kollegen kommen wird. Die Formel 1 auf dem Pfad der Skispringer des vergangenen Jahrzehnts? So sieht es derzeit aus.

"Die aktuelle Situation ist nicht gut. So war das nicht beabsichtigt. Das Mindestgewicht wird zum kommenden Jahr angehoben, aber das ist nicht ausreichend. Wir werden da bestimmt Lösungen finden", beschwichtigt Whitmarsh. "Was ein Nachteil für einen Fahrer ist, ist auch ein Nachteil für dessen Team. Wenn man das zusätzliche Gewicht eines Fahrers anderswo wieder einsparen will, dann kostet das Ressourcen und Geld. In diesem Zusammenhang könnte man in Versuchung geraten, sogar sicherheitstechnisch irgendwo an die Grenzen zu gehen."

"Es gibt die Faustformel, dass zehn Kilogramm mehr Gewicht rund eine Drittelsekunde pro Runde ausmachen. Das ist das am Wichtigsten und am anschaulichsten. Es gibt aber weitere negative Effekte, wie zum Beispiel die Höhe des Schwerpunktes und so etwas", so der Brite. "Bei mir war das in den vergangenen Jahren ungefähr in vier Rennen der Fall. Da habe ich wegen 'Übergewicht' rund ein halbes Zehntel pro Runde verloren. Das klingt wenig, macht aber im Qualifying schnell mal ein oder zwei Plätze aus. Im Rennen summiert sich so etwas schnell mal auf fünf oder sechs Sekunden", berichtet Button.

"Das ist ein großes und wichtiges Thema. Leider wurde es bislang kaum wahrgenommen", meint der Vorsitzende der Fahrergewerkschaft GPDA. Button und einige Kollegen machen sich für eine weitere Anhebung des Fahrzeug-Mindestgewichts 2014 stark. Kommen sie damit durch? Vorerst wohl nicht. Es braucht ein einstimmiges Votum aller Teams. Ein Rennstall hat gerüchteweise schon angekündigt, ein solches Vorhaben nicht zu unterstützen. (Die Körpermaße und Gewichte der Piloten finden Sie auf unseren Porträtseiten.)