Formel-1-Insider: "Ein riesiger Knall"
Warum die neuen Regeln in der Formel 1 wie ein Blitz eingeschlagen sind und weshalb der Donner gewaltig sein wird
(Motorsport-Total.com) - Fünf Minuten vor 12 Uhr ? oder 50 Tage vor dem Saisonstart ? hat der Automobilweltverband FIA die Reißleine gezogen und den Formel-1-Teams ein neues Reglement auf das Auge gedrückt, mit dem alle Beteiligten irgendwie leben müssen: "Zum Teil sind die Teams ja selber Schuld, da sie unfähig waren, selbst Vorschläge zu unterbreiten, wie man den ganzen Zirkus günstiger und aufregender gestalten kann", so ein Formel-1-Insider gegenüber 'F1Total.com'. "Aber was die FIA da gemacht hat, ist ganz schön frech. Bestehende Regeln werden einfach strenger interpretiert und fertig ist die Formel-1-Revolution."

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Mit Tricks hat die FIA ein revolutionäres Reglement ins Leben gerufen
Schon ab der kommenden Saison wird die Telemetrie vom Auto zur Box und in umgekehrter Richtung verboten sein. Das wird die Kosten senken, denn die Teams brauchten aufwändige Sensoren, Anlagen und eine ganze Armada von Technikern, die die Daten analysierten. "Was mir aber gar nicht gefällt ? die Teams werden nicht mehr wissen, wenn sich ein Bremsdefekt ankündigt oder gleich der Motor auseinander fliegt", so der Insider weiter. "Wir werden dadurch mit absoluter Sicherheit irgendwann einen schweren Unfall sehen, der früher hätte verhindert werden können. Das ist ein Witz und zwar ein makabrer. Da war man arg kurzsichtig."
Verboten wird auch der Funkverkehr zwischen dem Fahrer und dem Team sein, damit ist zwar nicht ausgeschlossen, dass es eine Stallorder geben wird, aber die Hemmschwelle, diese auszugeben, liegt auf jeden Fall höher. Und da alle Verbindungen zwischen Auto und Box gekappt sind, kann ein Team nicht in das Management des Autos eingreifen und beispielsweise die Motorleistung reduzieren.
Verbot des Funkverkehrs ? ist das Formel-1-würdig?
"Mich wundert ja, dass der Funkverkehr innerhalb des Teams nicht verboten wurde. Das in der Formel 1 zu verbieten ist schlichtweg ein Witz, wir reden hier von der Königsklasse des Motorsports! Auch hier kann ich nur sagen, hier wird gezielt von der FIA gegenüber den Teams provoziert. Ich möchte die Verantwortlichen sehen, wenn ein Fahrer in einen Unfall rast, nur weil das Team seinen Fahrer nicht hat informieren können, dass gleich sein Bremspedal durchfällt, weil der Bremsdruck weg ist. Man darf ja nicht glauben, dass ein Fahrer in jeder Runde auf seine Boxentafel schaut!"
Ohne Zweifel wird das Verbot des Boxenfunks zu einigen chaotischen Szenen führen. Beispielsweise, wenn es plötzlich regnet und die Fahrer nicht ankündigen können, dass sie lieber gleich an die Box kommen statt in einer Runde später oder wenn der Fahrer die Boxentafel übersieht und ohne Sprit ausrollt.
Verbot des Ersatzautos: Am falschen Ende gespart?
Schon ab der kommenden Saison wird der Einsatz eines Ersatzautos verboten. Damit wird das Team die Kosten beträchtlich senken können, dennoch kann das T-Car verwendet werden, wenn es die Rennleitung zulässt. Dies wäre zum Beispiel dann der Fall, wenn der Fahrer im Training einen so schweren Unfall hat, dass das Monocoque irreparabel zerstört ist.
"Grundsätzlich begrüße ich diesen Punkt, aber die FIA hat meiner Meinung nach nicht gründlich genug nachgedacht. Die T-Cars sollen, so wie ich das verstanden habe, erst gar nicht durch die technische Abnahme. Das bedeutet, dass diese erst dann erfolgt, wenn das T-Car von einem Team wirklich gebraucht wird. Dadurch könnte die Zeit zu knapp werden. Ferner: Wollen wir wirklich Rennen mit zehn Autos sehen, wenn es mal wieder einen Massenunfall gibt und keiner ein Ersatzauto hat? Ich glaube, hier wird am falschen Ende gespart."
Wurde das Warm Up abgeschafft?
Neu ist ab der kommenden Saison die Regelung, dass die Autos nach dem finalen Qualifying bis zum Rennen im Parc Fermé abgestellt werden müssen, an den Autos darf nur nach Genehmigung durch die Rennleitung gearbeitet werden, die dann auch die Arbeiten beobachtet. Der Sinn der ganzen Sache ist klar: So können die Teams nach dem Qualifying die Autos nicht mehr umbauen, die Autos müssen so ins Qualifying geschickt werden, wie man sie im Rennen fahren wird, das heißt Qualifying-Motoren, spezielle Bremsen, Tanks, und so weiter gehören der Vergangenheit an. Das wird eine Menge Geld sparen.
"Eigentlich ein genialer Schachzug, der die ganze Sache unheimlich aufregend machen wird und theoretisch auch dafür sorgen dürfte, dass wir kürzere Rennabschnitte sehen werden, die Fahrer öfters an die Box kommen, da man im Qualifying sicherlich nicht mit voller Rennabstimmung fahren wird. Die Teams dürfen an den Autos nur arbeiten, wenn der Fahrer beispielsweise einen Unfall hatte, das ist auch in Ordnung. Und sollte es im Qualifying trocken sein und im Rennen regnen oder umgekehrt, so dürfen die Teams wohl auch die Flügeleinstellung ändern, so wie ich das interpretiert habe. Alles in allem also eine gute Lösung. Einziger Haken: Ein Warm Up findet wohl nicht mehr statt, das finde ich gegenüber den Zuschauern nicht gut."
Ist das Elektronikverbot durchsetzbar?
Besonders einschneidend ist natürlich das Verbot der elektronischen Fahrhilfen wie der Traktionskontrolle, der Startautomatik und der Automatikgetriebe. Dadurch werden die Fahrer wieder mehr Fehler machen, das Überholen wird erleichtert, der Fahrerfaktor wird deutlich aufgewertet und die Fans werden spektakuläre Bilder sehen, weil die Reifen wieder qualmen, wieder Gummispuren auf dem Asphalt liegen bleiben und den Piloten das Heck ausbricht.
"Grundsätzlich ist die Entscheidung ja zu begrüßen, doch die FIA hat hier einen Blitz in die Formel 1 gejagt, der einen lauten Knall nach sich zieht. Man darf ja nicht glauben, dass die Teams diese Pille schlucken werden. Ich könnte mir vorstellen, dass der eine oder andere Motor im Feld ohne diese Elektronik gar nicht reibungslos funktioniert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Elektronik schon in Melbourne verbannt sein wird. Vielleicht im Verlauf der Saison, ich tippe aber eher auf die Saison 2004."
Sollten die Teams nicht in der Lage sein, eine Möglichkeit aufzuzeigen, wie man eine Abwesenheit der Fahrhilfen nachweisen kann, so will die FIA eine Standard-Elektronik-Box einführen um den Einsatz illegaler Fahrhilfen auszuschließen. Dies dürfte aber zu einem großen Streit zwischen den Teams führen oder zumindest zu einer Unzufriedenheit, da viele Motorkonzepte eine speziell auf den Motor abgestimmte Elektronik benötigen, die es in dieser Form nicht mehr geben wird.
Standardkomponenten für spannendere Rennen
Ab der Saison 2004 werden Standard-Bremsanlagen und Einheitsheckflügel eingeführt: "Das finde ich gut, die Bremsanlagen werden kostengünstiger und man könnte gezielt zum Beispiel die Bremswege verlängern, was das Überholen erleichtern würde und die Durchschnittsgeschwindigkeit senken würde. Auch die Einheitsheckflügel gefallen mir, dadurch werden sich die Autos zwar ähnlicher sehen, da sich das aerodynamische Gesamtkonzept angleichen wird aber da man den Abtrieb verringern will und gleichzeitig die Effizienz senken wird, wird das nicht nur die Kurvengeschwindigkeiten senken, was der Sicherheit zuträglich ist, sondern auch das Überholen erleichtern, da man dem Vordermann dichter auffahren kann, ohne in die schmutzige Luft zu kommen."
Langlebige Komponenten: Frage der Durchführbarkeit
Vorschrift wird es sein, langlebige Komponenten zu verwenden, so sollen bestimmte Teile weniger oft ausgetauscht werden: "Die Frage ist bei solchen Maßnahmen immer, wie man sie kontrollieren möchte, was repariert werden darf und was nicht, welche Innereien ausgetauscht werden dürfen oder auch nicht, wie die Strafen aussehen, wenn man doch einmal ein Teil austauschen muss und so weiter. Grundsätzlich ist der Gedanke gut, denn dem Fan ist es egal, ob man das Getriebe jedes Rennen oder alle sechs Rennen austauscht."
Das gleiche gilt für den Motor, der bis in das Jahr 2006 schrittweise bis zu sechs Rennen lang halten muss: "Das wird die Leistung ein wenig senken, die Drehzahlen werden sinken, was man hören wird, außerdem werden die Motoren schwerer werden. Insgesamt wird der Fan nicht viel mitbekommen, dafür werden die Autos ein wenig langsamer werden, was zu begrüßen ist."
Blickt der Fan irgendwann nicht mehr durch?
Die Einführung langlebiger Komponenten wird die Gesamtkosten allerdings wohl kaum senken, denn das gesparte Geld dürfte an anderer Stelle ausgegeben werden. Außerdem sind die Herstellungskosten im Vergleich zu den Entwicklungskosten verhältnismäßig gering: "Was mir vor allem Sorgen macht: Wir haben irgendwann sagen wir einmal zehn Komponenten, die lange halten müssen. Da wird es dann ständig Ausfälle außer der Reihe geben, wer blickt dann da noch durch, wie die Strafmaße zu handhaben sind? Und wie will man dem Fan erläutern, dass sein Idol diese oder jene Strafe erhalten hat. Das kann nach Manipulation riechen auch wenn gar vorliegt. Der Fan kann ja nicht nachvollziehen, dass beispielsweise ein Getriebe einen Schuss hat."
Die Kernfrage ist, ob es gut ist, die Formel 1 derart technisch abzurüsten. Die Fans wollen zwar grundsätzlich gutes Racing sehen und das unterstützt das Verbot der Elektronik, doch hat die Formel 1 den Ruf einer technisch hoch gezüchteten Serie. Schon jetzt steckt in den meisten PKW mehr Elektronik als in einem Formel-1-Auto, die Formel-1-Autos werden in Ihrer technischen Entwicklung auf dem Elektronik-Sektor in die "Steinzeit" zurückgeworfen.
Ohne Frage werden die Rennergebnisse in Zukunft gewaltig durcheinandergewürftelt. Mit den ganzen neuen Regelungen ist es unmöglich, dass ein einziger Fahrer in einer Saison mehr als die Hälfte der Rennen gewinnt, wie dies Michael Schumacher in den letzten Jahren gelang. Man wird mehr Sieger sehen ohne dass sich schlussendlich am Endergebnis etwas ändert. Unter den neuen, schwierigeren Bedingungen wird erst Recht jenes Team gewinnen, das die Technik am besten im Griff hat, da technische Probleme härter bestraft werden als zuvor. Gleichzeitig wird die Wichtigkeit des Fahrers erhöht, dies sollte eine interessante Kombination ergeben.

