• 18.06.2004 11:22

  • von Fabian Hust

Ferrari-Chefdesigner Rory Byrne sieht kein Limit

Byrne erklärt, warum die Aerodynamik eine komplexe Wissenschaft ist und weshalb er bei der Entwicklung keine Grenzen sehen kann

(Motorsport-Total.com) - Nur wenige Tage hatten die Mechaniker Zeit, die Autos nach dem Kanada-Grand-Prix auf das Rennen in Indianapolis vorzubereiten. Zu dem Neuaufbau der Boliden kommt ein Studium der Daten vergangener Rennen in Indy hinzu, durchgeführt von den Ingenieuren. Damit will man sicher stellen, dass man schon am Freitagmorgen mit einem möglichst optimalen Setup in Bezug auf Motor, Aufhängung und Aerodynamik auf die Strecke geht.

Titel-Bild zur News: Rory Byrne

Rory Byrne ist Chefdesigner des Ferrari-Teams

Der 'Indianapolis Motor Speedway' bietet auf seinem Schlussteil einige Herausforderungen. Die Strecke besitzt die längste Gerade im Kalender, auf der man 20 Sekunden lang Vollgas gibt. Im Idealfall haben die Autos hier einen möglichst flachen Flügel, um den Luftwiderstand so gering wie möglich zu halten. Auf der anderen Seite benötigt man im verwinkelten Infield mehr Flügel. Wie immer kommt es auch in Indianapolis auf den richtigen Kompromiss an.#w1#

Das Aerodynamik-Paket des F2004 ist das Ergebnis von stundenlanger Experimentierarbeit im Windkanal von Maranello. Einfach gesprochen ist ein Windkanal ein Gebilde, das Luft über ein Auto hinweg bläst und Sensoren Daten sammeln, um den Effekt zu messen, den die einzelnen Teile in Form von Abtrieb leisten. Unter Abtrieb versteht man die Kraft, mit der ein Auto auf die Strecke gepresst wird.

Ferrari testet fast nur mit 50-Prozent-Modellen

Wie Ferraris Chefdesigner Rory Byrne betont, ist es aber falsch zu sagen, dass man das Auto in den Windkanal stellt: "Die Arbeitsfläche ist groß genug, um ein Auto in voller Größe in den Windkanal zu stellen, aber dadurch würde eine zu große Blockierung entstehen, aus diesem Grund gibt es nur eine limitierte Anzahl von Tests mit dem Auto in Originalgröße. Die meiste Entwicklungsarbeit führen wir an einem 50-Prozent-Modell durch."

Ferrari beschäftigt in der Aerodynamik-Abteilung 50 Mitarbeiter

Entwickelt wurde der Ferrari-Windkanal vom renommierten Architekten Renzo Piano und wird fast rund um die Uhr verwendet: "Die gesamte Aerodynamik-Abteilung ist im Gebäude des Windkanals untergebracht", so der Südafrikaner. "Wir haben rund 50 Leute, die an der Forschung im Aerodynamik-Bereich arbeiten. Das beinhaltet die Aerodynamiker, die die Experimente durchführen, jene, die die theoretische Arbeit machen ebenso wie die Leute, die die Teile für die Windkanal-Modelle designen und die Techniker, die die Teile anbringen."

Die Aerodynamik ist eine Wissenschaft für sich

Auch wenn sich die Gesetze der Physik nicht verändern, so ist der Luftfluss um ein modernes Rennfahrzeug eine extrem komplexe Angelegenheit: "Ich denke nicht, dass es einen Menschen auf der Erde gibt, der jeden Aspekt darüber versteht", so Byrne. "Es gibt so viele Teile am Auto, deren Form verändert werden kann, was die Aerodynamik beeinflusst, sodass die Verbesserungsmöglichkeiten fast unendlich sind. Wenn man die Tools, die einem zur Verfügung stehen, ordentlich benutzt, dann wird das Auto schneller werden, je mehr Aerodynamik-Entwicklung man betreibt. Ich sehe in der Zukunft keine Limits, solange die Regeln so elementar bleiben, wie sie es im Moment sind."

Was wird im Windkanal genau gemessen und wie beeinflusst dies die Leistung des Autos? "Das wichtigste Messwerkzeug, das wir haben, ist die Balance, die die Kräfte und Bewegungen des Autos misst, die durch die Luftströmung generiert werden. Wir messen den Abtrieb, in anderen Worten die vertikale Kraft, den Luftwiderstand, eine längs gerichtete Kraft und wir messen auch die seitlichen Kräfte, wenn wir durch Kurven fahren."

Das Zauberwort lautet Effizienz

"Zusätzlich zu den Kräften, messen wir auch die Drücke auf der Oberfläche des Autos", so Rory Byrne weiter. "Die Kombination von Kraft- und Druckinformation wird uns sagen, ob eine Komponente aerodynamisch effizienter ist. Mit anderen Worten gesprochen gibt diese uns mehr Abtrieb beim gleichen oder einem geringeren Luftwiderstand. Wir wählen die Komponenten auf Basis der Effizienz-Verbesserung aus, die diese im Windkanal produzieren."

Auch wenn das Bodywork und die Flügel die offensichtlichen Teile der Arbeit eines Aerodynamikers sind, geht die Forschung noch ein wenig tiefer, denn die Luft strömt auch unter dem Auto hindurch: "Wir müssen den Windkanal nutzen, um alles auszuwerten. Es gibt kein Teil am Auto, das am Auto angebracht wird, das nicht im Windkanal getestet wurde. Durch diese Tests und die Computertechniken kommen die Ideen für die Entwicklung. Manchmal führt man ein Experiment durch und stößt auf ein unerwartetes Ergebnis und das könnte einen in eine neue Richtung führen. Man muss immer aufgeschlossen sein."

Alles dreht sich um das Paket

Die Regeln in der Formel 1 führen dazu, dass die Autos sich in eine ähnliche Richtung entwickelt haben: "Es geht darum, jede einzelne Komponente des Autos als Paket zu optimieren. Wenn man zum Beispiel eine Komponente unseres Autos wegnehmen und am Auto eines anderen Teams anbringen würde, dann würde das Auto eine schlechtere Leistung zeigen als zuvor, denn die Komponente war nicht in den Rest des Pakets integriert gewesen. Ich möchte damit betonen, dass es die wichtigste Sache ist, die Komponenten zur guten Zusammenarbeit zu bewegen. Das betrifft nicht nur die Aerodynamik sondern das Auto als Ganzes."