'F1Total.com'-Interview: Stoddart rechnet mit der FIA ab
Minardi-Teamchef Paul Stoddart lässt nach dem gestrigen FIA-Urteil kein gutes Haar an der Sportbehörde: "Mosley muss gehen!"
(Motorsport-Total.com) - Gestern Nachmittag gab die FIA ihr Urteil und die Vertagung der Straffestlegung im Zuge des Skandalrennens von Indianapolis bekannt. Bemerkenswert daran: Obwohl sich die sieben betroffenen Teams in den USA nur an die Weisungen von Michelin gehalten haben, wurden sie in zwei von fünf Anklagepunkten schuldig gesprochen, vorerst aber noch nicht verurteilt - erst im Herbst will das World Council der FIA das Strafmaß festlegen, um so Bedenkzeit zu gewinnen und weitere Reaktionen abwarten zu können.

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Paul Stoddart ist mit dem Vorgehen der FIA unverändert nicht einverstanden
Einem schmeckt dieses lauwarme Urteil, welches nicht Fisch und nicht Fleisch ist, überhaupt nicht: Minardi-Teamchef Paul Stoddart. Der Australier hatte schon im Vorfeld des gestrigen Tages wiederholt den Rücktritt von FIA-Präsident Max Mosley gefordert - und hat seither an seiner Meinung nichts geändert. Ungefähr eine Stunde nach dem Meeting der Teamchefs in Frankreich nahm sich der leidenschaftliche Kettenraucher Zeit, um im Interview mit 'F1Total.com' die sportpolitische Situation in der Formel 1 zu analysieren. Seine Aussage war klar: "Mosley muss gehen!"#w1#
Stoddart: "Wieder einmal nur Politik..."
Frage: "Paul, du kommst gerade aus einem Meeting mit den anderen Teamchefs. Was wurde - vor allem natürlich in Bezug auf die heutige FIA-Entscheidung - besprochen?"
Paul Stoddart: "Es ist jetzt ungefähr eine Stunde her. Die Teams werden dagegen, dass sie in zwei Punkten schuldig gesprochen wurden, Protest einlegen. Eigentlich haben die Teams ihre Meinung dazu aber ohnehin über ihre gemeinsame Presseerklärung kommuniziert. Sie verstehen nicht, warum sie überhaupt zum World Council kommen mussten. Wenigstens ist jetzt aber Zeit, das, was passiert ist, genau zu beleuchten. Dass es aber überhaupt soweit kommen musste, hat wieder einmal nur mit Politik zu tun."
Frage: "Wie ist deine Reaktion auf das Urteil der FIA - ähnlich wie die der Michelin-Teams?"
Stoddart: "Im Prinzip ja, aber ich kann etwas offener darüber sprechen. Ich finde es traurig für die Formel 1, dass es überhaupt soweit kommen musste. Das hätten wir uns auch sparen können. Wie es zu dieser Diskussion gekommen ist, ist inzwischen ja aufgeklärt, aber man muss eines einmal sagen: Nicht ein Prozent der Schuld liegt bei den Teams. Daher rechne ich damit, dass das Urteil noch einmal revidiert werden muss."
Über die Teams: "Der Punkt ist, dass sie nicht schuldig sind"
Frage: "Angesichts der Äußerungen von FIA-Präsident Max Mosley im Vorfeld des heutigen Tages wären harte Strafen aber keine echte Überraschung gewesen, oder?"
Stoddart: "Das stimmt, aber es war schon gestern klar, dass gegen jeden Schuldspruch Protest eingelegt werden würde - und genau das ist jetzt passiert. So gesehen sind die Teams vielleicht erleichtert, aber das ist nicht der Punkt. Der Punkt ist, dass sie nicht schuldig sind - und ich verstehe nicht, wie man daran rütteln kann. Man kann nicht über Strafen für den Fall, dass sie schuldig sind, sprechen, wenn sie eben nicht schuldig sind. Ich verstehe es nicht. Es wäre besser für die Formel 1 gewesen, bei den Fakten zu bleiben, denn wir haben auch so schon genug Probleme."
Frage: "Du hast im Vorfeld einen Boykott des Rennens in Magny-Cours angekündigt, falls heute harte Strafen verhängt worden wären. Das ist jetzt aber vom Tisch, oder?"
Stoddart: "Ja. Das hatte vor allem mit den Strafen zu tun, die Max (Mosley; Anm. d. Red.) partout nicht ausschließen wollte. Er hat ja nicht nur von einer möglichen Verwarnung gesprochen, sondern von zum Teil völlig unangemessenen Konsequenzen, die die Hersteller sicher niemals akzeptiert hätten. Der Eindruck, den ich heute gewonnen habe, ist, dass die Teams zur FIA und umgekehrt im schlimmsten Fall viel härter miteinander hätten umgehen können. Hoffen wir, dass das gut für den Sport ist, und hoffen wir, dass der Protest der Teams durchgehen wird."
Frage: "Ein Argument der FIA war, dass sie keine Verbindung zu Michelin hat und daher keine Strafe für Michelin aussprechen kann. Ist das ein Punkt, den man für die Zukunft neu überdenken muss?"
Stoddart: "Nein, überhaupt nicht. Die FIA behandelt das Thema Reifen in der Formel-1-Kommission, deren letzte Sitzung allerdings vor einem Jahr stattgefunden hat. Das muss man nicht weiter kommentieren."
Für Stoddart ist klar, dass Mosley zurücktreten muss
Frage: "Du hast vor dem heutigen Tag immer wieder Max Mosleys Rücktritt gefordert. Ich nehme nicht an, dass sich deine Meinung heute geändert hat..."
Stoddart: "Nein. Nicht jetzt. Die einzige Lösung für die Zukunft der Formel 1 ist, dass Mosley geht."
Frage: "Viele meiner Kollegen sind der Meinung, dass Bernie Ecclestone bei einer Situation wie in Indianapolis noch vor zehn Jahren seinen Willen einfach durchgesetzt hätte und es zu einem Rennen gekommen wäre. Warum geht das heute nicht mehr?"
Stoddart: "Das ist ein klares Anzeichen dafür, dass Max mehr Macht hat als jede andere Einzelperson in der Formel 1 - nämlich viel zu viel. Er hat ja selbst die Schikane in Indianapolis verhindert, war also an dem Schlamassel beteilt - aber umgekehrt richtet er jetzt über die Teams. Eine an einem Zwischenfall beteiligte Partei kann doch niemals selbst in der Jury sitzen! Das ist die Wurzel allen Übels: dass Max die totale Macht hat. Das ist nicht gesund für den Sport. Bernie hat getan, was er tun konnte: Er hat einen Vorschlag unterbreitet und sich für diesen stark gemacht, aber der wurde nicht angenommen."
Frage: "Michelin hat angekündigt, die Fans, die in Indianapolis waren, finanziell zu entschädigen. Max Mosley wäre wohl in Erklärungsnot geraten, wenn er einer Firma, die so etwas tut, Konsequenzen aufbrummt, nicht wahr?"
Stoddart: "Es wäre ja nicht das erste Mal gewesen, dass er sein Verhalten nicht plausibel erklären kann, nicht wahr? Ich finde, dass Michelin extrem verantwortungsbewusst gehandelt hat. Sie haben ganz klar gesagt, dass sie ein Problem haben, aber sie haben auch mit aller Kraft versucht, dennoch mit einem Kompromiss das Rennen für die Zuschauer zu retten. Michelin hat in einer Presseerklärung deutlich gemacht, dass sie die Verantwortung übernehmen."
"Man kann ihn eigentlich nur noch ignorieren"
Frage: "Was bedeuten die heutigen Ereignisse für die Zukunft der Formel 1 in Bezug auf die zwei Fronten - die FIA mit ihren Teams auf der einen, die Hersteller mit den restlichen Teams auf der anderen Seite?"
Stoddart: "Die Antwort ist ganz einfach: Solange Mosley da ist, wird es in der Formel 1 keine Lösung geben. Das ist traurig, aber es ist so. Man kann ihn eigentlich nur noch ignorieren. Das wäre wahrscheinlich am besten."
Frage: "Es gibt diesen neuen Regelvorschlag der FIA. Wie findest du ihn und gibt es Übereinstimmungen mit dem, was die Hersteller demnächst präsentieren werden?"
Stoddart: "Es gibt einige Punkte - zum Beispiel den Einheitsreifen -, die sehr interessant sind, aber es gibt auch andere Dinge, die man nur als absoluten Müll bezeichnen kann. Die Hersteller haben in den vergangenen Monaten sehr intensiv und sorgfältig an ihrem eigenen Paket an Vorschlägen gearbeitet, das bis Ende Juli präsentiert wird. Die vorgeschlagenen Regeln von Max würden doch nur zu einer Einheitsserie führen. Wollen wir wirklich eine weitere GP2? Ich glaube nicht."
Frage: "Es kann für einen Hersteller doch gar nicht interessant sein, sich in einer Einheitsformel zur Schau zu stellen, oder?"
Stoddart: "Ich glaube, dass die Hersteller mit den meisten Punkten des FIA-Vorschlags nicht einverstanden sein werden. Nicht mit allen, aber mit vielen. Sie werden ihre eigenen Vorschläge durchzusetzen versuchen."
Formel-1-Kommission tagte zuletzt vor einem Jahr
Frage: "Gibt es innerhalb der Gruppe der neun Teams Verärgerung darüber, dass sich Jordan und Red Bull jetzt auch mit der FIA an einen Tisch setzen?"
Stoddart: "Ursprünglich war das bei Jordan - als Eddie Jordan noch dabei war - nicht der Fall, aber die Dinge haben sich offensichtlich geändert. Das eigentliche Problem ist doch, dass es seit einem Jahr keine Sitzung der Formel-1-Kommission gegeben hat. Die Formel-1-Kommission ist aber das einzig legitime Gremium, von dem Regeländerungen ausgehen können. Jetzt sitzt sich jedes Grüppchen untereinander an einen Tisch, dabei sollten wir die Vorschläge von Max und auch unsere in einem gemeinsamen Gremium besprechen und diskutieren können. Von der Technischen Arbeitsgruppe und der Formel-1-Kommission aus sollten eigentlich neue Regeln entstehen. Das ist doch ein sehr klarer Weg."
Frage: "Die FIA hat einen sehr engen Zeitplan für die Regeln vorgegeben. Noch 2005 werden die Regeln für 2008 festgelegt. Lässt sich das mit den noch nicht vorgestellten Plänen der Hersteller zeitlich überhaupt vereinbaren?"
Stoddart: "Die Vorschläge der Hersteller werden lange vor Oktober 2005 präsentiert, es bleibt also noch Zeit, darüber zu diskutieren. Ob die FIA zuhören wird, ist allerdings eine andere Frage. Die FIA hat die Macht, das Reglement für 2008 ohne Konsultierung der Teams oder der Formel-1-Kommission durchzusetzen, solange es kein neues Concorde Agreement gibt."
Frage: "Aber ist dieser enge Zeitplan nicht ohnehin übertrieben eng gesteckt? Schließlich haben überhastete Entscheidungen der Formel 1 schon oft geschadet..."
Stoddart: "Absolut richtig! Es gibt überhaupt keinen Grund, irgendjemanden unter Zeitdruck zu setzen. Es ist doch wieder mal ein Jahr unsinnig verschwendet worden, weil es kein Meeting der Formel-1-Kommission gegeben hat."
Kluft zwischen Ferrari und den anderen Teams wird größer
Frage: "Stimmt mein Eindruck, dass die Kluft zwischen Ferrari und den anderen neun Teams immer größer wird?"
Stoddart: "Ja - aber nicht zuletzt wegen der FIA."
Frage: "Sprechen wir kurz auch über dein Team. Wie zufrieden bist du bisher mit deinen beiden Fahrern?"
Stoddart: "Ich finde, dass beide sehr gute Leistungen erbracht haben, vor allem auch zuletzt in Nordamerika. Ich bin jedenfalls sehr zufrieden mit ihnen."
Frage: "Durch die Punkte für Jordan in Indianapolis bleibt euch dieses Jahr realistisch betrachtet wohl nur der letzte Platz bei den Konstrukteuren..."
Stoddart: "Was das angeht: Ich wollte ein Rennen. Wir wären auch gar nicht schlecht dabei gewesen, aber Patrick (Friesacher; Anm. d. Red.) hatte Getriebeprobleme und steckte zum Teil im dritten Gang fest, und bei Christijan (Albers; Anm. d. Red.) ging ein Boxenstopp daneben. Wir haben natürlich keine großen Ressourcen. Dadurch, dass wir zu Beginn der Saison von der FIA dazu gezwungen wurden, unser altes Auto auf das diesjährige Reglement umzubauen, haben wir viel wertvolle Entwicklungszeit verloren. Ich denke, dass wir Ende dieser Saison ein sehr brauchbares Paket beisammen haben werden, denn wir entwickeln das neue Chassis Schritt für Schritt weiter. Nächstes Jahr werden wir wieder denselben Motor und dasselbe Chassis verwenden, von daher sind wir recht zuversichtlich. Dieses Jahr können wir das Potenzial dieses Pakets nur noch nicht optimal ausschöpfen."
Frage: "Cosworth hat noch keinen V8-Kunden. Das ist natürlich nur Spekulation, aber theoretisch könnte Cosworth auf die Idee kommen, euch zwecks Weiterentwicklung den Motor anzubieten. Was würdest du dazu sagen?"
Stoddart: "Das war eigentlich noch nie ein Thema. Wir haben ein sehr gutes Verhältnis zu Cosworth. Wenn wir ihnen so helfen könnten, dann würden wir es sicher machen. Im Moment steht das aber wie gesagt nicht zur Debatte."

