F-Schacht: Teams wegen Mercedes gespalten

Warum Melbourne am Grünen Tisch entschieden werden könnte, wer für und wer gegen Mercedes ist und wie schnell man den F-Schacht kopieren könnte

(Motorsport-Total.com) - Gut möglich, dass das Ergebnis des heutigen Grand Prix von Australien in Melbourne nach 58 Runden zunächst nur provisorisch sein wird. Hintergrund sind die Proteste einiger Teams gegen das geheimnisumwitterte F-Schacht-System am Mercedes F1 W03, das zumindest von Red Bull und Lotus als illegal eingeschätzt wird, obwohl es am Donnerstag von den Rennkommissaren abgenommen wurde.

Titel-Bild zur News: Heckflügel des Mercedes F1 W03

Der Mercedes-Heckflügel steht dieses Wochenende im Rampenlicht

Lotus behält sich das Recht vor, offiziell zu protestieren. "Wenn, dann nach dem Rennen", erklärt Teamchef Eric Boullier gegenüber 'Motorsport-Total.com'. Lotus und Red Bull trafen sich gestern Vormittag mit dem Technischen Delegierten der FIA, um Bedenken zu deponieren. Dabei wurde Charlie Whiting um eine Klarstellung gebeten. "Darauf warten wir", sagt Boullier. "Dann sehen wir, wie wir weiter vorgehen. Wir haben Charlie getroffen und erwarten, dass er sich wieder bei uns meldet."

Boullier hofft auf ein Gespräch

"Wir würden uns gerne mit Mercedes und Charlie zusammensetzen und sicherstellen, dass wir alle die Regeln auf die gleiche Weise interpretieren", fährt der Franzose gegenüber 'Autosport' fort. "Wenn möglich, möchten wir das noch dieses Wochenende klären." Ein Protest sei "natürlich eine Möglichkeit, aber das werden wir später sehen. Ich kann nur sagen, dass Red Bull und wir nicht glauben, dass das Mercedes-System legal ist."

Das sehen andere Teams ganz anders: "Ich habe keinen Zweifel an der Legalität des Mercedes", meint Williams-Chefingenieur Mark Gillan, und McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh antwortet auf die Frage, ob er das System für legal hält: "Ja, so sehe ich das. Es gibt nämlich eine Ausnahme für DRS-Systeme. Dazu gehört dieses Thema. Sie nutzen diese Ausnahme, um ihr F-Schacht-System zu aktivieren. Das ist, wie ich die Regeln interpretiere."

Hintergrund ist, dass aktive F-Schacht-Systeme seit Ende 2010 verboten sind. Aktiv bedeutet, dass der Effekt des Strömungsabrisses durch eine Bewegung des Fahrers ausgelöst wird. Die aktuelle Mercedes-Lösung ist jedoch an den verstellbaren Heckflügel (DRS) gekoppelt. Sprich: Aktiviert der Fahrer DRS, greifen automatisch Mechanismen, die zusätzlich zum Verstellen des Heckflügels auch den Strömungsabriss herbeiführen. Das bringt einige km/h mehr Topspeed.

Martin Whitmarsh

Martin Whitmarsh hat nicht vor, gegen Mercedes Protest einzulegen Zoom

Ross Brawn hofft, dass es keinen Protest geben wird: "Das wäre sehr unglücklich", findet der Mercedes-Teamchef. "Das ist nicht die Art und Weise, wie solche Themen beigelegt werden sollten - wir haben das jedenfalls noch nie gemacht. Ein Protest nach dem Rennen ist nicht sehr angenehm, denn am Donnerstag oder Freitag könnte man darauf noch reagieren und das System ausschalten. Wir würden so etwas nicht absichtlich machen. Ich hoffe, dass es nicht so weit kommt."

Haug über Proteste verwundert

Auch Norbert Haug ärgert sich darüber, dass ausgerechnet Red Bull zu jenen Teams gehört, die Mercedes den F-Schacht-Vorteil wegnehmen möchten: "Wir haben nicht zu denen gehört, die Lärm um den Doppeldiffusor gemacht haben damals. Den Lärm gab es auch, übrigens an der gleichen Stelle", kritisiert der Mercedes-Sportchef. "Wir haben auch keinen Lärm um irgendwelche angeströmten Diffusoren gemacht, sondern wir gucken, dass wir vorankommen."

Brawn betrachtet die Diskussionen um den F-Schacht gerade am ersten Rennwochenende der Saison als keineswegs ungewöhnliche Entwicklung: "Am Saisonbeginn gibt es immer viele Debatten über die verschiedenen Ideen an verschiedenen Autos. Manchmal waren wir das Thema dieser Debatten, manchmal leider nicht. Ich habe nichts dagegen, Thema solcher Debatten zu sein, denn das bedeutet, dass wir neue Ideen entwickeln."

"Wir haben die FIA ständig darüber auf dem Laufenden gehalten", berichtet er. "Sie haben das System am Mittwoch physisch untersucht und waren vollständig zufrieden damit. Andere Teams sind das nicht und streben eine Klarstellung an. Sollte es eine Klarstellung dahingehend geben, dass die FIA nicht mehr zufrieden ist, dann werden wir unsere Position ändern. Wenn die FIA weiterhin zufrieden ist, sind wir es auch."

Brawn geht davon aus, dass die FIA die Lösung für nächstes Jahr verbieten wird, hofft aber, zumindest 2012 noch damit fahren zu dürfen. "Es ist ein neues System", sagt er. "Wir haben unseren Standpunkt präsentiert und die FIA ist damit zufrieden - sie haben grünes Licht gegeben. Jemand könnte aber mit einer Interpretation daherkommen, an die wir nicht gedacht haben. Dann müssten wir alles überdenken. Bis jetzt sind wir aber glücklich."

Nur ein Ablenkungsmanöver?

"Vielleicht haben wir die Aufmerksamkeit von den Auspuffsystemen weggelenkt, denn die sind nicht einmal annähernd so, wie sich die FIA das vorgestellt hatte", spekuliert er. "Sie haben gesagt, dass es keine angeströmten Diffusoren mehr geben wird. Wir dachten das auch, bis die Autos gezeigt wurden. Aber das liegt in der Natur der Formel 1. Man muss sich an die niedergeschriebenen Regeln halten. Wenn jemand eine clevere Interpretation findet, dann nutzt er diese auch aus."

Sollte die FIA zu dem Schluss kommen, dass der Mercedes-F-Schacht zumindest 2012 legal ist, dann würde bei den Konkurrenten wahrscheinlich ein Rennen gegen die Zeit beginnen, um das System so schnell wie möglich zu kopieren. Kopieren ist generell einfacher geworden, seit die FIA den Teams verboten hat, Abdeckplanen und Stellwände zu verwenden: "Die FIA hat uns dazu gezwungen, die ganzen Abdeckungen von den Autos zu nehmen", nickt Brawn.

"Außerdem ermöglicht die neueste Generation Digitalkameras mit enormen Linsen und so weiter, dass jeder im Paddock innerhalb von Mikrosekunden genau weiß, was los ist. Das ist Teil des Spiels", akzeptiert der 57-jährige Brite diese Tatsache. "Die Antwort der Teams ist, dass schneller weiterentwickelt wird. Die Hälfte unserer Ingenieure arbeitet an eigenen neuen Ideen, die andere Hälfte schaut sich an, was andere Teams machen."

Ross Brawn

Ross Brawn hofft, dass nach dem Rennen kein Protest eingelegt wird Zoom

Wie lange es dauert, eine innovative Idee zu kopieren, "hängt von der Komplexität einer Idee ab, ob man versteht, wie sie funktioniert und was sie bewirkt", erläutert Brawn. "Manchmal erfordern diese Ideen auch zahlreiche weitere Änderungen am Auto, sodass sie vielleicht gar nicht für alle funktionieren. Eine Idee einfach ans Auto zu schrauben, muss nicht den vollen Nutzen haben. Es kann manchmal sogar eine ganze Saison dauern."

Whitmarsh: Kopieren nicht so einfach

Das weiß auch McLaren-Teamchef Whitmarsh: "Wir kennen uns mit solchen Systemen ziemlich gut aus", behauptet er zwar, schränkt aber ein: "Das Gesamtpaket eines Formel-1-Autos lässt nicht viel Spielraum zu. Du musst Schläuche, Kabel und Leitungen irgendwie noch unterkriegen, doch unsere Ingenieure sind sehr gut darin." Und beschäftigen sich hinter den Kulissen natürlich schon lange damit, das Mercedes-System zu verstehen.

Aber: "Wenn wir versuchen wollen, ein solches F-Schacht-System einzurichten, dann müssen wir sicherstellen, die dem Auto zugrunde liegende Leistung der Aerodynamik-Elemente nicht durcheinander zu bringen", gibt Whitmarsh zu Protokoll. "Es dürfte aber keine allzu schwierige Aufgabe sein, ein solches System einzuführen, das im aktivierten und nicht aktivierten Zustand eine bessere Lösung darstellt."

Auf jeden Fall könnte Mercedes zumindest für die ersten Wochen dieser Weltmeisterschaft im Vorteil sein. Darauf hofft Brawn natürlich: "Am Beispiel von McLarens F-Schacht haben wir 2010 gesehen, dass es damals ziemlich lange gedauert hat, bis alle anderen auf Augenhöhe waren, denn sie hatten einen großen Entwicklungsvorsprung und der F-Schacht war voll ins Design des Autos integriert. Das kann große Auswirkungen haben."


Fotos: Mercedes, Großer Preis von Australien


Beurteilen, wie leicht der F-Schacht zu kopieren ist, will er nicht: "Um das zu beantworten, müsste ich ins Detail gehen, aber das möchte ich nicht", sagt Brawn. "Aber was auch immer es ist, der Effekt tritt ein, wenn wir das DRS aktivieren. Ohne DRS passiert nichts. Es bringt also nur in jenen Phasen etwas, in denen das DRS aktiv ist. Im Rennen darf man DRS nur im Zweikampf einsetzen, also bringt es bei normaler Fahrt keinen Vorteil. Es bringt etwas, aber das Zeitfenster ist im Rennen kleiner."