• 08.05.2014 13:17

  • von Gary Anderson (Haymarket)

"Eine Frage, Mister Anderson!": Ein Experte erklärt die Technik

Ex-Formel-1-Designer Gary Anderson über Möglichkeiten der Kostendeckelung, die Rückkehr des Nachtankens, das "schwarze Wochenende" und Co.

(Motorsport-Total.com) - Das Thema Kostendeckelung in der Formel 1 ist derzeit in aller Munde. Zeit, dass sich auch Technik-Experte Gary Anderson der Materie annimmt. Darüber hinaus beantwortet er in dieser Woche Fan-Fragen zu den Themen Imola 1994, Nachtanken, Ingenieurskarriere in der Formel 1, Einschränkung von Innovationen und, wie sich die Hackordnung 2014 noch verändern könnte.

Titel-Bild zur News: Gary Anderson

Gary Anderson könnte sich vorstellen, dass Tankstopps irgendwann zurückkommen Zoom

Mark Lovas (Twitter): "Inwiefern könnte sich die Hackordnung noch verändern, nun, da das Entwicklungsrennen so richtig Fahrt aufgenommen hat?"

Gary Anderson: "Solange es kein fundamentales Chassis-Problem gibt, was wohl niemand hat, scheint eine Chassis-bedingte Veränderung der Hackordnung sehr unwahrscheinlich, Mark - und solange keiner noch eine Grauzone im Reglement findet, wie etwa den Doppeldiffusor 2009. Die Balance zwischen den Teams wird sich von Rennen zu Rennen zwar immer ein bisschen hin- und herbewegen, aber ich denke, die grundsätzliche Reihenfolge steht."

"Allerdings muss man auch die Antriebseinheit bedenken. Die ist in diesem Jahr ebenso wichtig wie das Chassis, und wir wissen, dass Mercedes in diesem Bereich der Maßstab ist. Ferrari scheint die zweite Kraft zu sein, Renault liegt an Rang drei. Renault hatte ursprünglich gesagt, man wolle in Spanien bei voller Leistung sein, mittlerweile hat sich dieses Ziel aber nach Kanada verschoben. Wenn dieser Schritt getan ist, könnte Red Bull Mercedes womöglich angreifen. Auch könnten Toro Rosso und Lotus dadurch in die Top 10 rutschen."

"Wenn dieser Schritt getan ist, könnte Red Bull Mercedes womöglich angreifen. Auch könnten Toro Rosso und Lotus dadurch in die Top 10 rutschen." Gary Anderson

Das "schwarze Wochenende"

Vanessa Poole (Facebook): "Hast du irgendwelche Erinnerungen an das traurige Wochenende vor 20 Jahren in Imola - speziell an den Unfall Rubens Barrichellos, aber auch an die tragischen Todesfälle?"

Anderson: "Ja, das war ein sehr trauriges Wochenende, Vanessa. Ich bin seit 1973 in diesem Sport unterwegs, und damals lauerte der Tod oftmals bereits hinter der nächsten Kurve. Roger Williamson und Tom Pryce sind nur zwei Namen derer, die ihr Leben in dieser Zeit ließen, während Carlos Pace und Tony Brise auch noch bei Flugzeugunglücken starben. Ich glaube, dass ich dadurch allmählich ein dickes Fell bekommen habe."

"Nichtsdestotrotz habe ich, als Rubens am Freitag in Imola mit seinem Jordan verunfallt ist, tatsächlich darüber nachgedacht, ob ich nicht mit all dem aufhören sollte. Ich wollte keine Hochgeschwindigkeitsspielzeuge bauen, in denen sich junge Fahrer ernsthaft verletzen oder gar getötet werden. Ich war dort, als sie ihn aus dem Wrack geborgen haben. Als er im Helikopter zum Krankenhaus geflogen wurde, schrie er mich an, man solle das Ersatzauto bereitstellen, er sei bald zurück."

"Als er im Helikopter zum Krankenhaus geflogen wurde, schrie er mich an, man solle das Ersatzauto bereitstellen, er sei bald zurück." Gary Anderson

"Ich habe ihn die Nacht besucht, und als das Adrenalin verflogen war, hat er nur noch gelitten - keine schwerwiegenden Verletzungen, aber zahlreiche Beulen und Wunden. Samstag kam dann eine ganz neue Dimension hinzu. Roland Ratzenberger war ein wirklich netter Kerl. Ich habe oft gesagt: Die Fahrer am Ende des Feldes geben genauso viel oder sogar noch mehr Gas als die an der Spitze, die ohnehin schon mit ihren Autos schnell sind."

"Aber der Sonntag war dann noch mal etwas ganz anderes. Zuerst war da der Startunfall, der für das Safety-Car sorgte. Und dann - aus irgendeinem Grund, den wir nie verstehen werden - verloren wir einen unserer größten Piloten aller Zeiten. Im Moment des Unfalls wussten bereits die meisten von uns in der Boxengasse, dass es schlimm war. Ich wusste es in jedem Fall."


Fotostrecke: Karriere von Roland Ratzenberger

"Die große Frage lautet für mich: Hätten wir nach Rubens' Unfall am Freitag und Ratzenbergers Tod am Samstag irgendwas in Sachen Sicherheit verändert, oder mussten wir dafür erst auch noch Ayrton verlieren, damit sich jemand die Mühe macht, der Situation seine Aufmerksamkeit zu widmen? Durch all das habe ich erst realisiert, dass ich alles dafür geben muss, ein möglichst sicheres Auto zu bauen."

"Mussten wir erst auch noch Ayrton verlieren, damit sich jemand die Mühe macht, der Situation seine Aufmerksamkeit zu widmen." Gary Anderson

Jemals wieder im Rennen tanken?

Adam Murray (Twitter): "Könnte das Nachtanken irgendwann in die Formel 1 zurückkehren?"

Anderson: "Ich habe ehrlich gesagt nie verstanden, was so falsch daran war, Adam. Es hat der Strategie ein echtes Team-Element verliehen, und ich denke, das vermissen wir aktuell etwas. Der Hauptgrund, warum das Nachtanken abgeschafft wurde, war der Kostenfaktor. Es hat eine Menge Geld gekostet, die Befüllungssysteme um die Welt zu schiffen."

"Aber wenn man sich vor Augen führt, dass ein moderner Frontflügel um die 100.000 Pfund (knapp 122.000 Euro; Anm. d. Red.) kostet, dann gibt es eine Menge anderer Wege, Kosten einzusparen. Die Formel 1 scheint sich manchmal im Kreis zu drehen, also würde es mich nicht wundern, wenn das Nachtanken irgendwann wiederkommt. Man denke nur an die aktive Radaufhängung. Allerdings würde es dann im Gegensatz zum Volltanken wahrscheinlich nur ein schneller Batteriewechsel sein..."

"Wenn man sich vor Augen führt, dass ein moderner Frontflügel um die 100.000 Pfund kostet, dann gibt es eine Menge anderer Wege, Kosten einzusparen." Gary Anderson

Ingenieurskarriere im Motorsport

Jose Javier Buisan (Twitter): "Welchen Karriereweg würden sie einem angehenden Motorsportingenieur empfehlen?"

Anderson: "Jose, du kannst ein bestimmtes Maß an Maschinenbau-Qualifikation in einem der Bereiche, die für ein aktuelles Rennauto wichtig sind, nie ersetzen. Es hängt davon ab, was dich antreibt und in welcher Disziplin du dich reinhängst. Mechanik, Aerodynamik, Elektrik, Hydraulikdesign sind ebenso gefragt wie Fahrzeugdynamik und -simulation. Also geh in einen dieser Bereiche, der dich besonders reizt."

"Davon ab kannst du versuchen, dich als Wochenend-Kämpfer bei einem kleinen Team in einer der kleineren Serien zu engagieren. Solche praktischen Erfahrungen kannst du durch nichts anderes ersetzen, außerdem hilft es dir zu erkennen, womit du dich genau befassen möchtest. Nimm jede Gelegenheit an, die du kriegen kannst, mit offenen Armen an und gib immer dein Bestes."

Grenzen für die Innovation

Silviu Gora jun. (Facebook): "Wie ist deine Meinung im Bezug auf die Verwendung einer einheitlichen aktiven Radauaufhängung ab 2017? Sollte man den Teams nicht vielleicht einen gewissen Grad an Freiheit lassen, um sie zu mehr Forschungs- und Entwicklungsarbeit zu ermutigen?"

Anderson: "Es ist falsch, irgendein einheitliches System an einem Formel-1-Auto zu haben, Silviu. Wenn der Verband und die Teams finden, dass eine einheitliche aktive Radauaufhängung richtig ist, warum geht man den Weg dann nicht zu Ende und bezieht auch einheitliche Autos? Die großen Teams würden das wohl nicht wollen, oder?"

"Es ist falsch, irgendein einheitliches System an einem Formel-1-Auto zu haben." Gary Anderson

"In der Formel 1 sollte es voll und ganz um Forschungs- und Entwicklungsarbeit gehen. Wenn man dort wirklich an die Grenzen geht und sie überschreitet, wird das auch neue Technologien für die Automobilindustrie hervorbringen. Ich glaube, dies kann auch erreicht werden, wenn die Kosten kontrolliert würden, wie ich es in meiner nächsten Antwort zu erklären versuche."

Kostenkontrolle wäre denkbar

Adam Smith (Twitter): "Budgetbegrenzung ist aktuell ein großes Thema. Was würdest du tun, um die Formel 1 günstiger und besser zu machen?"

Anderson: "Adam, ich würde es eher Budgetkontrolle nennen und ich würde 'besser' vor 'günstiger' stellen. Ich bin seit 42 Jahren in diesem Sport involviert, und in dieser ganzen Zeit gab es immer solche, die viel hatten, und solche, die wenig hatten. Die Wohlhabenden sind grundsätzlich zu stur, kurzsichtig und mächtig, als dass sie einem anderen helfen würden. Ein Beispiel dafür ist das Gewicht des Autos."

"Die Topteams werden einer leichten Anhebung des Gesamtgewichts durch einen Fahrer-Gewichtsbereich nicht zustimmen. So musste Sauber, ein Team, das ohnehin schon mit dem Budget zu kämpfen hat, ein neues leichteres Auto bauen, weil sie Nachteile in der Performance hatten. Mein Vorschlag wäre also, dass die FIA eine aktivere Rolle einnimmt und das Sportliche sowie Technische Reglement unter die Lupe nimmt, um die Teams vor sich selbst zu schützen."

"Die Wohlhabenden sind grundsätzlich zu stur, kurzsichtig und mächtig, als dass sie einem anderen helfen würden." Gary Anderson

"Eine Veränderung wäre, dass die Antriebseinheit zu einem echten Antriebsstrang würde. Das würde den Motor, den Turbo, die MGU-K, die MGU-H, die Batterie sowie das Getriebe betreffen und ein Maximum von fünf dieser Einheiten pro Saison erlauben. Nutze sie, wie du willst, aber du hast nur fünf davon. Was wir derzeit haben, ist zu kompliziert, und niemand versteht es. Genau wie die ganzen verschiedenen Strafen."

Updates nur alle sechs Rennen

"Eine andere Veränderung wäre, dass Teile wie die Nase, der Front- und Heckflügel, der Unterboden, die Seitenkästen und die Bremsbelüftungen mindestens eine Dauer von sechs Rennen überstehen müssen, bevor sie gegen neue Upgrades ausgetauscht werden dürfen. Das würde bei 19 Rennen bedeuten, dass es zwei Veränderungen während der Saison gibt, während ein Rennen als Joker übrig bliebe. Wenn du also völlig versagt hast, könntest du beim zweiten Rennen Teile tauschen und dann so weitermachen."

"Es würde auch die Situation mit den Bremsbelüftungen dramatisch straffen. Die ist in den vergangenen Jahren nämlich etwas aus der Hand geglitten. All dies würde bedeuten, dass die Teams mehr Zeit zum Optimieren der neuen Komponenten vor ihrer Einführung haben, was zu deutlich weniger Altmetall führen würde... Nach dem sechsten und zwölften Rennen, könnte es einen zweitägigen Test geben, der den Teams erlaubt, das Setup mit den neuen Teilen zu optimieren, bevor sie in den Rennen sieben beziehungsweise 13 zum Einsatz kommen."

"Um auf die aktive Radaufhängung zurückzukommen: Wenn ich die FIA wäre, würde ich sie als Komponenten definieren, die zum Gesamtpaket zählen, wie man es mehr oder weniger auch mit den Motorspezifikationen gemacht hat. Dann würde ich einen Verkaufspreis bestimmen. Das heißt: Wenn ein Team das komplette System eines Rivalen kaufen will, muss es den festgeschriebenen Preis zahlen. Wenn Team A doppelt so viel in ein System investieren will, ist das seine Sache, aber Team B könnte trotzdem einfach kommen und das Geld auf den Tisch legen."

"Eine derartige Art der Kostenkontrolle würde Innovationen nicht eingrenzen, sondern sie sogar noch stimulieren." Gary Anderson

"Innerhalb einer gewissen Entwicklungszeit, die vor der Saison definiert wird, muss Team A also Team B beliefern. Es gibt eine Menge weiterer Teile, mit denen man so verfahren könnte, wie etwa Lenkstangen, Radträgern, Achsen, Bremssättel, Bremssysteme oder sogar Boxenstoppausrüstung. Eine derartige Art der Kostenkontrolle würde Innovationen nicht eingrenzen, sondern sie sogar noch stimulieren, weil es zu einem relevanteren Marktpreis geschehen würde."