• 12.03.2014 18:19

  • von Gary Anderson (Haymarket)

Technik-Experte Gary Anderson beantwortet Regelfragen

Kurz vor dem Start der neuen Formel-1-Saison stellt sich Technik-Experte Gary Anderson den Fragen der Fans rund um die neuen Regeln, die Renault-Motoren & Co.

(Motorsport-Total.com) - An diesem Wochenende startet die Formel 1 in Melbourne durch den Wechsel auf die 1,6-Liter-V6-Turbomotoren in eine neue Ära. Zusammen mit den aerodynamischen Neuerungen gab es so die umfassendsten Regeländerungen in der Geschichte der Formel 1. Gary Anderson hat während seiner glorreichen Formel-1-Karriere viele Regeländerungen miterlebt und beantwortet nun Fragen der Fans zum Spritverbauch, der Strategie, Renaults Problemen und Cola-Flaschen.

Titel-Bild zur News: Renault-Turbomotor

Der neue Renault-Antrieb sorgte bisher für viel Frust und steht im Interesse der Fans Zoom

James Frakland (Twitter): "Haben die Fahrer einen Turbo-Knopf zum Überholen?"
Gary Anderson: "Ja, ein Turbo-Knopf ist möglich, aber in einer anderen Art als der KERS-Knopf im letzten Jahr. Die Leistung des Motors und die elektronische Leistung werden zusammen abgebildet, um die bestmögliche Rundenzeit zu erzielen. Der Fahrer wird beim Fahren einfach die komplette Leistung verwenden. Die elektronische Energie aus der Motor-Generator-Einheit für Hitzeenergie (MGU-H) kann verwendet werden, um die Batterien für später zu laden, oder aber für einen direkten Turboschub an die Motor-Generator-Einheit für kinetische Energie (MGU-K) weitergeleitet werden. Der Fahrer hat die Kontrolle darüber, wann das passiert. Faktisch hat er also einen Turbo-Knopf, der ihm beim Überholen hilft."

@admp4 (Twitter): "Wie viele Rennen werden vergehen, bevor Renault seine Motoren-Probleme gelöst hat?"
Gary Anderson: "Das ist schwierig zu beantworten, aber ich glaube nicht, dass Renault wirklich Probleme mit dem Motor hat. Und falls doch, dann wird es die einige Zeit lang geben, denn diese Motoren sind alle homologiert. So wie ich das sehe, kommen die Probleme eher vom Energie-Rückgewinnungssystem (ERS), und daher, wie Renault die Energie abgreift und verarbeitet. Außerdem gibt es ein Problem damit, wie Renault den Elektromotor kontrolliert, der mit dem Turbo (MGU-H) verbunden ist."

"Am Ende der letzten Tests sagte Renault, dass es sich dabei ausschließlich um Software-Probleme gehandelt habe. Wenn jemand bei Renault plötzlich einen Geistesblitz hat, dann kann man diese Probleme über Nacht beheben. Aber das ist sehr unwahrscheinlich. Und wenn wir über die Probleme von Renault sprechen, dann sprechen wir auch über die Probleme von Red Bull, die den Motor sehr aggressiv eingebaut haben. Man könnte sagen, dass kein Top-Team ohne ein gewisses Risiko Erfolg haben wird, aber manchmal übertreibt man es auch. Meine Vermutung ist, dass Renault zum Start der Europa-Saison seine maximale Leistung erreichen wird. Aber auch dann gibt es keine Garantie dafür, dass diese maximale Leistung genug sein wird, um Ferrari oder Mercedes gefährlich zu werden.

"Renault wird zum Start der Europa-Saison seine maximale Leistung erreichen." Gary Anderson

Punkte für die "Kleinen"?

"Richard Chilton (Facebook): "Können die beiden 'neuen' Teams (Caterham und Marussia) dieses Jahr Punkte einfahren?"
Gary Anderson: "Es ist auf jeden Fall ihre beste Chance, seit sie in die Formel 1 gekommen sind. Das Marussia-Ferrari-Paket scheint schneller zu sein, als der Caterham-Renault. Aber es wird trotzdem schwierig bleiben unter die ersten zehn zu kommen. Die Zuverlässigkeit wird eine wichtige Rolle spielen, und wenn die stimmt, und ein paar andere immer noch Probleme haben, dann kann alles passieren. Allerdings müssen sie diesen Vorteil früh in der Saison nutzen, denn die Zuverlässigkeit wird sich verbessern."

"@OppolockF1B (Twitter): "Wird die FIA wegen dem Benzinlimit von 100 Kilogramm nun eine Live-Anzeige des Spritverbrauchs aller Autos bekommen?"
Gary Anderson: "Ja, ich denke das werden sie und ich wünsche mir, dass sie diese mit uns teilen. Was das reine Rennfahren angeht, wird dieser Bereich für die meiste Verwirrung sorgen. Wer spart Benzin für später? Wer verbraucht mehr, als er sollte? Bis die Zielflagge geschwenkt wird, wird das sehr schwer zu durchschauen sein."


Fotos: Marussia, Testfahrten in Sachir


"Wenn die FIA oder die Teams diese Informationen mit uns teilen sollten, dann wüssten alle anderen Teams auch was die anderen vorhaben. Dann wäre eine hirnrissige Strategie pure Zeitverschwendung. In diesem Jahr arbeite ich mit der FOM (Formel-1-Management; Anm. d. Red.) zusammen und hoffentlich habe ich dann etwas Einfluss darauf, welchen Daten auf den Bildschirmen landen, damit die Zuschauer und die Kommentatoren etwas besser verstehen, was gerade los ist. Aber ich glaube nicht, dass eine Live-Anzeige des Benzinverbrauchs ein Teil dieser Daten sein wird.

Spritsparen spielt eine wichtige Rolle

"@theWPTformula (Twitter): "Werden die Fahrer länger im Windschatten fahren, obwohl sie schneller sind, um Sprit zu sparen?"
Gary Anderson: "Das wird ein kritischer Teil der gesamten Strategie sein, besonders auf Kursen, wo der Benzinverbrauch besonders hoch ist. Damit das effektiv funktioniert, muss man innerhalb einer Sekunde des vorausfahrenden Autos liegen. Dann ist man in der DRS-Zone und ich kann mir vorstellen, dass Fahrer dann mit offenem Flügel hinter einem anderen Auto herfahren, aber nicht überholen, bis sie genug Sprit gespart haben, und dann erst vorbeiziehen. Es wurde keinen Sinn ergeben zu überholen und denjenigen dann hinter dir herfahren zu lassen, sodass er Benzin sparen kann."

"Auf Kursen mit schnellen Kurven muss man vorsichtig sein, denn dort kann der Motor dann sehr schnell überhitzen, oder man ruiniert sich seine Reifen, wenn man zu dicht hinter einem anderen Auto fährt. Wenn man nach dem Rennstart hinter jemandem wartet und denjenigen nicht überholt, dann kann man im Vergleich zu diesem Auto etwa fünf Prozent Sprit sparen. Später im Rennen, sagen wir nach dem letzten Boxenstopp, kann man diesen zusätzlichen Sprit dann, in Kombination mit frischen Reifen, verwenden und angreifen.

"@apemms (Twitter): "Was genau ist bei Formel-1-Autos der "Cola-Flaschenhals-Bereich" und warum heißt er so?"
Gary Anderson: "Dieser Bereich beschreibt die Breite der Karosserie und befindet sich zwischen den Hinterrädern. Wenn man sich das Auto von oben anschaut, dann kehrt sich die Karosserie nach innen, während sie nach hinten verläuft, ein bisschen wie bei dem Hals einer Cola-Flasche. Das erste Auto, an das ich mich erinnern kann, das dieses Design hatte, war ein McLaren in den 80er-Jahren, an dem Alan Jenkins beteiligt war."

"Diese einengende Form erlaubt es die Luft, die normalerweise von der Innenseite der Hinterreifen verdrängt werden würde, in den Bereich hinter dem Auto, in dem Unterdruck herrscht, zu führen. Dadurch wird der Luftwiderstand des gesamten Autos reduziert, was es auf der Geraden schneller macht. Außerdem hilft er dabei, die Luft entlang der vorderen Kanten der Seitenkasten zu führen, wodurch der Luftstrom von unter der Front des Chassis wieder nach außen geleitet wird, was für eine bessere Leistung des Frontflügels sorgt. Er ist sehr wichtig und einer der Bereiche, die ein Team von einem anderen im Hinblick auf die Aerodynamik unterscheiden."

Maximale Drehzahl

"@JamesH675 (Twitter): "Denkst du, die elektronische Energie wird eher zum 'Hochdrehen' verwendet, bevor man den Turbo aktiviert, oder erst in hohen Drehzahlbereichen zum Überholen?"
Gary Anderson: "Ich denke die Antwort lautet: etwas von beidem. Wenn man mit einem Verbrennungsmotor das maximale Drehmoment erreicht, hat die Drehmoment-Kurve einige Hochpunkte und sieht nicht unbedingt fahrerfreundlich aus. Die Verantwortlichen für die Motoren würden diese Hochpunkte dann trimmen und die Kurve glatter machen. Das bedeutet allerdings, dass man bei gewissen Drehzahlen und Vollgas trotzdem nicht das maximale Drehmoment erreicht. Bei dem neuen Antrieb wird des elektronische Drehmoment benutzt werden, um die Gefälle dieser Drehmoment-Kurve auszubessern."

"Das bedeutet, dass die Kurve glatter wird, fahrerfreundlicher, und das maximale Drehmoment wird trotzdem zur Verfügung stehen. Darüber hinaus wird des restliche elektonische Drehmoment dann verwendet werden, wenn man es für eine schnelle Rundenzeit braucht. Im Qualifying wird die Verwendung des Drehmoments wegen der Begrenzung des Benzinflusses auf 100 Kilogramm pro Stunde ziemlich anders sein, denn während im Rennen maximal 100 Kilogramm verbraucht werden dürfen, ist der Verbrauch dort quasi unbeschränkt."


Fotostrecke: So funktioniert ERS

"@JPalmski (Twitter): "Besteht die Möglichkeit, dass einige Autos an der 107-Prozent-Regel im Qualifying scheitern?"
Gary Anderson: "Ich denke das wird nicht passieren, denn diese Regel kommt nur im ersten Qualifying-Segment zum Einsatz, wenn alle 22 Autos dabei sind. Dort ist die Leistungsspanne der Autos am größten. Es ist sehr unwahrscheinlich, dass ein Top-Team schon in diesem Abschnitt die schnellsten Reifen benutzt. Wenn das aber doch passiert, und die FIA sich an die Regeln hält, dass könnte das zu einem Problem werden. Die Regel ist dafür da, um Nachzügler auszusortieren, die ein Sicherheitsrisiko für sich oder andere Fahrer darstellen könnten. Von den elf Teams und 22 Fahrern gibt es aber glaube ich niemanden, der es nicht verdient hat, in der Startaufstellung zu stehen."