• 24.03.2014 21:05

  • von Gary Anderson (Haymarket)

Fans fragen - Technik-Experte Gary Anderson antwortet

Vor dem Grand-Prix von Malaysia beantwortet Technik-Experte Gary Anderson Fragen der Fans zu den Themen Motorsound, Benzindurchfluss und Co.

(Motorsport-Total.com) - Das erste Rennen der neuen Ära der 1,6-Liter-V6-Turbomotoren warf eine Menge Fragen auf. Also riskierte Technik-Experte Gary Anderson einen Blick in sein Postfach und wählte einige der brennendsten Fragen der Fans aus. In dieser Woche widmet sich Anderson unter anderem den Themen Benzindurchfluss, der Arbeit der Aerodynamiker bei den Rennen, dem Wettlauf bei der Weiterentwicklung und dem umstrittenen Motorensound.

Titel-Bild zur News: Nico Rosberg, Daniel Ricciardo

Die starke Leistung von Mercedes beschäftigt die Fans Zoom

@mbobbyf1 (Twitter): "Mercedes sieht momentan sehr stark aus. Können die anderen aufholen und wenn ja, wie lange wird das dauern?"
Gary Anderson: "Bobby, es war erst ein Rennen, und viele Teams haben noch nicht das beste aus ihren Autos herausgeholt. Mercedes ist sehr stark in die Tests gestartet und hat diesen Schwung zum ersten Rennwochenende mitgenommen. Man darf aber nicht vergessen, dass es neben Ferrari das einzig echte Werksteam ist. Damit meine ich Hersteller, welche die Motoren und das Chassis bauen, wodurch die Integration viel besser sein sollte, als bei jedem Kundenteam."

"Der Mercedes-Antrieb ist der stärkste, daher müssen sich die anderen auf diesen Bereich konzentrieren. Sofern kein grundlegendes Problem mit dem mechanischen Einbau der Antriebseinheit besteht, wird die Weiterentwicklung vor allem durch die Motoreinstellungen und die bestmögliche Nutzung des Turboladers und der zur Verfügung stehenden elektrischen Energie erfolgen. Das geschieht nicht über Nacht, daher werden wir erst zum Beginn der Europasaison das wahre Kräfteverhältnis sehen."

"Das Mercedes-Auto an sich ist ein ordentliches Paket, aber Red Bull ist meiner Meinung nach das Beste. Deren Kurvengeschwindigkeit und Balance sind sehr gut. Wenn Red Bull und Renault ihre Probleme erst einmal aussortiert haben, wird es für Mercedes schnell deutlich schwieriger."

Was passiert bei der technischen Abnahme?

@stuhartley (Twitter): "Kannst du erklären, wie die technische Abnahme dieser High-Tech-Autos vor und nach dem Rennen abläuft?"
Gary Anderson: "Was die mechanischen Gesichtspunkte des Autos betrifft, so ist die Box der FIA, in der die Abnahme stattfindet, mit einer flachen Plattform ausgestattet, die eine Vielzahl von Messeinrichtungen enthält, unter anderem auch Waagen. Diese steht den Teams ab Donnerstagmittag zur Verfügung. Sie sind dafür verantwortlich, dass ihre Autos den Regeln entsprechen und können dazu diese Messeinrichtungen nutzen."

 scrutineering, Technische Abnahme

Die Teams können die Autos auf dem Prüfstand der FIA vermessen Zoom

"Darüber hinaus verfügt die FIA über ein Computer-Programm, das nach jedem Training, dem Qualifying und Rennen nach dem Zufallsprinzip eine Liste von Prüfpunkten erstellt. Vom Gewicht abgesehen wird die FIA niemals bei allen Autos die gleichen Sachen überprüfen. Sollte sich im Laufe des Wochenendes jedoch etwas ergeben, was sich die FIA genauer ansehen will, dann ist sie dazu berechtigt."

"Eine andere Gruppe von FIA-Leuten überprüft der Hard- und Software der Elektronik. Durch die Datenaufzeichnungen können alle interessanten Werte gespeichert und wie gefordert überprüft werden. Auf diese Weise wird sich die Kontroverse um den Benzindurchfluss bei Red Bull entwickelt haben. Während des Trainings hatte Red Bull damit ein Problem, weshalb während des Rennens jemand ein wachsames Auge darauf geworfen hat."

"Durch die Einführung der neuen, 1,6-Liter-V6-Turbo-Antriebseinheiten ist es mindestens doppelt so kompliziert, den Regeln zu entsprechen." Gary Anderson

"Durch die Einführung der neuen, 1,6-Liter-V6-Turbo-Antriebseinheiten ist es mindestens doppelt so kompliziert, den Regeln zu entsprechen. Es würde mich daher nicht überraschen, wenn noch mehr Fahrer und Teams das gleiche Schicksal wie Daniel Ricciardo und Red Bull in Melbourne erleiden. Eine Tatsache ist bei der Kontrolle dieser Punkte allerdings hilfreich: Sobald ein Team einen Rivalen verdächtigt, die Grenzen der Regeln zu überschreiten, wird es die FIA darauf aufmerksam machen."

Rechenspiele zum Benzindurchfluss

@motorace_addictm (Twitter): "Kannst du erklären, wie jemand ständig das Benzindurchfluss-Limit von 100 Kilogramm pro Stunde überschreiten kann und im Rennen insgesamt doch weniger als 100 Kilogramm verbraucht?"
Gary Anderson: "Um das zu erklären, muss ich ein wenig ausholen. Bei einer durchschnittlichen Renndauer von 1:40 Stunden oder 100 Minuten, geben die Fahrer auf einer durchschnittlichen Rennstrecke zu 60 Prozent der Zeit Vollgas und stehen zu 15 Prozent auf der Bremse. Damit verbleiben 25 Prozent, die mit Halbgas gefahren werden, was in der Kurvenmitte und am Ausgang passiert, wenn die Fahrer versuchen, die Leistung auf den Boden zu bekommen."

"Während der 15 Prozent Bremsphase, was 15 Minuten der Rennzeit entspricht, wird sehr wenig Benzin verbraucht. Um Benzin zu sparen, verwendet Ferrari sogar den Elektromotor, um dem Gaspedal beim Herunterschalten einen Impuls zu geben. Während der 25 Prozent in der Kurvenmitte, was 25 Minuten der Rennzeit entspricht, wird ebenfalls sehr wenig Benzin verbraucht, denn dies ist für den Motor ein Übergangsbereich. Der Motor wird daher sehr mager eingestellt sein. Unter diesen Bedingungen nutzen die Teams eine Menge der elektrischen Energie, um Benzin zu sparen."

"Damit verbleiben 60 Prozent Vollgas, was 60 Minuten der Rennzeit entspricht. Während dieser Phase muss der maximale Benzindurchfluss von 100 Kilogramm pro Stunde kontrolliert werden. Beim Beschleunigen steigt die Drehzahl und damit auch der Benzinverbrauch an. Das bedeutet, dass während dieser Stunde nicht ständig der maximale Durchfluss von 100 kg/h benötigt wird. Es verbleiben also Schätzungsweise 45 Minuten, in denen der maximale Benzindurchfluss von 100 kg/h benötigt wird. Dabei würden 75 Kilogramm Benzin verbraucht, während 25 Kilogramm der Benzinmenge von 100 Kilogramm für die anderen Phasen verbleiben."

Wie kann Ferrari die Lücke schließen?

@mattsquires27 (Twitter): "Ich habe gehört, das Ferrari in Australien pro Runde 0,5 Sekunden langsamer war als Mercedes. Was müssen sie anstellen, um diese Lücke zu schließen?"
Gary Anderson: "Matt, ich nehme die schnellste Rundenzeit, die ein jedes Team im Verlauf des gesamten Wochenendes fährt und wandle sie in einen Prozentwert der schnellsten Zeit eines anderen Teams um. Das erlaubt mir von Rennen zu Rennen, bei unterschiedlichen Streckenlängen, Rundenzeiten und Bedingungen einen einheitlicheren Vergleich."

"Im vergangenen Jahr war Ferrari nach 19 Rennen 0,552 Prozent langsamer als Red Bull, die am schnellsten waren. In diesem Jahr sind sie nach dem einen Rennen in Melbourne 0,847 Prozent langsamer als Mercedes, die das Tempo vorgaben. Sollte Ferrari schon das Maximum aus seinem Auto herausgeholt haben, kommt es auf die Weiterentwicklung an."

"Um diese Lücke zu schließen, benötigt man Pi mal Daumen 8,5 Prozent mehr Abtrieb (was in etwa 100 Kilogramm bei 250 km/h entspricht), ohne dass sich dadurch der Luftwiderstand erhöht, oder eine um 8,5 Prozent stärkere Antriebseinheit (was in etwa 70 PS entspricht). Keines dieser Ziele ist schnell zu erreichen, wir hatten bisher aber auch erst ein Rennwochenende, um dieser Werte zu berechnen. Wir müssen daher bis zum Beginn der Europasaison abwarten, bevor wir genau sagen können, wie sehr sich Ferrari wirklich steigern muss."

Warum die Formel-1-Autos so leise sind

Peter Clements (Facebook): "Nachdem die Fans über den Sound der neuen Auto so enttäuscht sind frage ich mich, wie die Hersteller die Lautstärke erhöhen können, ohne den Turbolader zu entfernen?"
Gary Anderson: "Peter, das ist machbar, aber wie viele Dinge in der Formel 1 muss es künstlich erfolgen. Grundsätzlich verwendet der Turbolader die Energie der Abgase, um auf der anderen Seite des Laders den Ladedruck zu erhöhen. Bei höheren Drehzahlen reicht der Benzindurchfluss aber nicht aus, um die Abgase und den Ladedruck maximal auszunutzen. Dann hält der Motorgenerator für die thermische Energie (MGU-H) den Turbolader zurück und erzeugt elektrische Energie, die entweder in den Batterien gespeichert oder direkt dem Motorgenerator für die kinetische Energie (MGU-K) zu Verfügung gestellt wird."

Gary Anderson

Gary Anderson beantwortet die technischen Fragen der Fans Zoom

"Wegen der Begrenzung des Benzindurchflusses auf 100 kg/h werden nur die wenigsten Motorenhersteller auch nur annähernd die maximal erlaubten 15.000 Umdrehungen pro Minute ausnutzen, weil dadurch zu viel Benzin verbraucht würde. Tatsächlich nutzen sie nur in etwa 12.000 Umdrehungen pro Minute. Das wirkt sich auf die Lautstärke aus."

"Wenn man in Rechnung stellt, dass der Hubraum der Motoren von 2,4 auf 1,6 Liter reduziert wurde, die Drehzahl von 18.000 auf etwa 12.000 Umdrehungen pro Minute gesunken ist und der Durchmesser des Auspuffs größer wurde, um den Gegendruck am Turbolader zu senken, dann verlassen die Abgase den Auspuff nur mit einem Drittel der bisher gewohnten Geschwindigkeit. Man darf daher nicht vergessen, dass die Lautstärke alleine schon deshalb zwangsläufig sinkt."


Fotos: Großer Preis von Australien


"Ich war nach der Einführung der GP3 beim ersten Test in Paul Ricard vor Ort. Die Serie benutzte damals einen Turbomotor der schrecklich klang. Mittlerweile ist die GP3 zu Saugmotoren gewechselt, weshalb sich die Autos nun wie Rennwagen anhören. Vielleicht werden die Regelhüter niemals aus den Fehlern der Vergangenheit lernen."

Erhält McLaren Schützenhilfe von Mercedes?

Graham Dalley (Facebook): "Ich habe in dieser Woche gelesen, Ron Dennis habe gesagt, die Autos seien in Malaysia eine halbe Sekunde schneller. Das ist ein großer Sprung für einen Sport, in dem es um Tausendstelsekunden geht. Ist es möglich, dass die McLaren einen solch gewaltigen Leistungssprung machen?"
Gary Anderson: "Graham, das ist eine ziemlich kühne Behauptung. Ich kann nur mutmaßen, ob ein Körnchen Wahrheit darin steckt. Falls dem so sein sollte, werden sie die meiste Zeit durch eine optimierte Nutzung des Motors, Turboladers und ERS gefunden haben. Es scheint so, als sei Mercedes das einzige Team, die all das im Griff haben."

Jenson Button

Hilft Mercedes McLaren, um die Rivalen auf Distanz zu halten? Zoom

"McLaren verwendet die selbe Antriebseinheit, vielleicht möchte Mercedes einen Teil ihrer Technologie mit ihnen teilen? Wenn Mercedes davon überzeugt ist, aus eigener Kraft die Meisterschaft zu gewinnen, könnte das in ihrem Interesse sein. Nachdem Red Bull und einige andere Probleme haben, muss Mercedes so viele Autos wie möglich zwischen sich und die anderen Meisterschaftsanwärter bringen, um den Punktevorsprung zu vergrößern. Sollte McLaren diese halbe Sekunde durch reine Weiterentwicklung gefunden haben, würden die meisten Leute in der Boxengasse wahrscheinlich einen Besen fressen."

@smhasan7 (Twitter): "Wann denkst du, wird Red Bull seine Motorprobleme in den Griff bekommen? Wie bald können sie Mercedes herausfordern und mit welchem Fahrer?"
Gary Anderson: "Syed, sowohl Red Bull als auch Renault sind recht zuversichtlich, dass sie beim Start der Europasaison ihrer wahre Leistung zeigen können. Wenn man allerdings sämtliche Ingenieure zur Lösung eines Problems heranziehen muss, leidet die Weiterentwicklung des Autos darunter und man wird während der meisten Zeit in der Saison einen Rückstand hinterher laufen."

"Red Bull hat eines der größten Budgets in der Formel 1. Wenn einem Team beides unter einem Hut bekommen kann, dann ist es Red Bull. Was die Fahrer betrifft, so ist Sebastian Vettel meiner Meinung nach immer noch der Beste, wenn er über die richtigen Werkzeuge verfügt, um seine Arbeit zu erledigen. Aber Daniel Ricciardo wird, was das reine Tempo anbelangt, weiter Druck auf ihn ausüben. Er wird ein wenig Zeit brauchen, um über eine Renndistanz konstant zu fahren, aber das wird kommen, denn er fährt für ein Team, welches zumindest Podiumsplatzierungen erwartet."

@accelerro (Twitter): "Sind die Aerodynamik-Ingenieure der Teams bei jedem Rennen vor Ort oder arbeiten sie nur in der Fabrik?"
Gary Anderson: "Ashwani, alle Teams haben einen Aerodynamiker vor Ort. Ihre Aufgabe ist, dafür zu sorgen, dass das Auto sein wahres aerodynamisches Potenzial ausnutzt. Im Verlauf des Wochenendes tauchen im Bereich der Aerodynamik verschiedene Probleme auf, und jemand, der sämtliche aerodynamischen Daten zur Hand hat, kann diese besser lösen."

"Sie können der Aerodynamik-Abteilung auch detaillierter Bericht erstatten, was Missverständnisse in der Verständigung zwischen den einzelnen Abteilungen vermeiden kann. Außerdem können sie so auch die anderen Teams ein wenig ausspionieren. Schau dir einmal die TV-Bilder aus der Startaufstellung an. Wann hast du da zum letzten Mal gesehen, dass Adrian Newey einen Red Bull betrachtet?"