Das große Interview mit Nick Fry

Der BAR-Honda-Teamchef im ausführlichen Interview über Gil de Ferran, die Situation des Teams und den neuen Windkanal in Brackley

(Motorsport-Total.com) - Im Rahmen einer Telefonkonferenz stellte sich BAR-Honda-Teamchef Nick Fry am Donnerstagnachmittag anlässlich der Verpflichtung von Gil de Ferran als neuer Sportdirektor den Fragen von Medienvertretern aus aller Welt. 'F1Total.com' war dabei und präsentiert ihnen heute das Transkript des Gesprächs des Briten mit den Journalisten.

Titel-Bild zur News: Nick Fry

Nick Fry ist zuversichtlich, noch dieses Jahr mit seinem Team Rennen zu gewinnen

Frage: "Nick, warum habt ihr Gil de Ferran als Sportdirektor verpflichtet?"
Nick Fry: "Ich bin sehr froh, Gil an Bord zu haben. Er wird seine Arbeit am kommenden Montag aufnehmen und ist beim nächsten Rennen in Imola schon mit von der Partie. Ich glaube, dass er die perfekte Ergänzung zu den technischen Fähigkeiten von Geoff Willis und zu den Business- und Management-Fähigkeiten von mir selbst ist. Ich habe mir schon seit einiger Zeit einen echten Racer als Verantwortlichen für die sportlichen Aspekte gewünscht. Das haben wir jetzt. Gil kommt auch genau zur richtigen Zeit ins Team. Wir testen gerade ein neues Aerodynamikpaket in Barcelona und ich habe erst vor ein paar Minuten erfahren, dass wir damit den Streckenrekord gebrochen haben."#w1#

De Ferran soll den Geist des Siegens zu BAR-Honda bringen

Frage: "Kann Gil als ausgewiesener Siegertyp den Geist des Siegens ins Team bringen?"
Fry: "Das ist Teil unserer Strategie. Ich habe mich ja schon seit Weihnachten mit Gil über diesen Schritt unterhalten. Ich lege großen Wert darauf, Geschäftsführer des Teams zu sein, nicht Teamchef, denn meine Verantwortung ist das Business unserer Firma. Ich habe die Fähigkeiten im Management. Geoff Willis hat als unser Technischer Direktor die Gabe, großartige Rennautos zu entwickeln und zu bauen. Uns fehlte nur noch ein Racer. Mit Gil haben wir jetzt einen Mann an der Boxenmauer, der sich mit jedem anderen in seiner Position messen kann."

Frage: "Glaubst du, dass euer Puzzle damit komplett ist und ihr auf Siege und die Weltmeisterschaft losgehen könnt?"
Fry: "Wir werden alles unternehmen, um an diesen Punkt zu gelangen. Gil ist sicher ein wichtiges Puzzleteil."

Frage: "Wie lange kennst du Gil eigentlich schon und was hatte seine Verpflichtung mit Jackie Stewart zu tun?"
Fry: "Schon seit vielen Jahren. Ich habe mit Jackie lange darüber diskutiert, wie man Gil ins Team einbringen könnte. Jackie hatte bei dieser Vereinbarung sicher seine Hände im Spiel, denn er hat auf beiden Seiten dafür gearbeitet. Er hat mich und Gil und unsere gemeinsame Vereinbarung sehr stark unterstützt."

De Ferran beginnt seine Arbeit am kommenden Montag

Frage: "Wie wird die Arbeit im Team für Gil beginnen?"
Fry: "Er kommt am Montag erstmals zu uns in die Fabrik, wird dort mit uns zusammenarbeiten, fliegt dann aber gleich weiter für die dreitägigen Testfahrten in Frankreich und dann zum Rennen nach Imola. Das wird für ihn interessant und aufregend, aber sicher auch sehr schnell."

Frage: "Glaubst du, dass es Gil ähnlich ergehen könnte wie Bobby Rahal vor einigen Jahren bei Jaguar?"
Fry: "Nein. Das Umfeld bei uns ist ein ganz anderes. Gil ist eine ganz andere Persönlichkeit als Bobby. Er kommt jetzt zu einem Team, das nicht nur Zweiter der letztjährigen Weltmeisterschaft war, sondern auch zur Hälfte einem Unternehmen gehört, welches mit die beste Bilanz im Motorsport insgesamt hat - nicht nur in der Formel 1, sondern auch bei den Ovalrennen in den USA, bei den Motorrädern und so weiter. Honda will alles dafür geben, die Weltmeisterschaft zu gewinnen. Wir haben die volle Unterstützung dieses Herstellers und wollen uns entsprechend weiterentwickeln."

"Die politischen Aspekte können sehr zeitraubend sein"

Frage: "Wie siehst du Gils Aufgaben in Bezug auf die politischen Diskussionen, die in der Formel 1 gerade vor sich gehen?"
Fry: "Das ist genau der Punkt, an dem sich unsere geteilten Aufgabengebiete bezahlt machen sollten. Wir haben uns einen echten Racer als Verantwortlichen für das Rennteam gewünscht. Die politischen Aspekte können sehr zeitraubend sein. Ich habe gerade einen ganzen Tag damit verbracht, mit den anderen Teams und den anderen Herstellern zu diskutieren. Mit diesen Dingen werde mich weiterhin ich beschäftigen, damit sich Gil voll und ganz auf seine sportlichen Aufgaben konzentrieren kann. Wir brauchen ihn, um Rennen zu gewinnen - nicht für die Politik."

Frage: "Wer hatte eigentlich die Idee, Gil zu verpflichten? Du selbst, Honda oder ganz jemand anderes?"
Fry: "Die Position des Sportdirektors schwirrte David Richards und mir schon vor drei Jahren im Kopf herum. Mit Prodrive haben wir in der Rallye-WM bei Subaru einen Sportdirektor eingesetzt und prompt wurde Richard Burns für uns Weltmeister. Ich hoffe, dass es in der Formel 1 ähnlich laufen wird. Die Idee ist, einen Teammanager zu haben, der sich um die Organisation kümmert, einen Chefingenieur, der sich um die technische Seite annimmt, und einen Sportchef, der sich mit dem Rennteam beschäftigt. Die Idee kommt aus der Rallye-WM."

De Ferran wird nicht bei den Meetings der Teamchefs sein

Frage: "Wird Gil auch zu den Meetings der Teamchefs und so weiter gehen?"
Fry: "Nein. Die Aufgabengebiete sind genau definiert. Der Teammanager und die Renningenieure werden an Gil Bericht erstatten. Ihm obliegt das Rennteam. Das inkludiert die Rennstrategie, das Arbeiten mit den Fahrern und Renningenieuren, das Setup, Motivation und Kommunikation. Es gibt viele solcher Dinge, die Gil bestimmt beherrscht. Noch einmal: Gil soll sich um die Siege kümmern, Geoff Willis um das Entwickeln eines schnellen Autos und ich werde mich auf das Management der Firma konzentrieren."

Frage: "Bist du zuversichtlich, dass eure Partnerschaft Jenson Button zu den Siegen verhelfen wird, die er braucht?"
Fry: "Ja, aber das ist ein langwieriger Prozess. Bisher hatten wir ein paar technische Probleme in dieser Saison, aber die werden wir in den Griff bekommen. Die Verpflichtung von Gil ist eher eine langfristige Maßnahme. Natürlich muss er sich erst einmal einstellen, aber ich glaube nicht, dass das allzu lange dauern wird. Wir wollen die Weltmeisterschaft gewinnen. Natürlich kann Gil nicht über Nacht Wunder bewirken, aber ich bin sicher, dass er sich mittel- und langfristig positiv einbringen kann."

Fry unbeirrt: Wollen noch 2005 ein Rennen gewinnen!

Frage: "Glaubst du, dass der Beginn der Europasaison für BAR-Honda die Wende bringen kann?"
Fry: "Ja. Ich bin nach wie vor extrem optimistisch, dass wir unser Ziel, dieses Jahr ein Rennen zu gewinnen, erreichen werden - oder vielleicht sogar mehr. Der Saisonbeginn war aus verschiedenen Gründen enttäuschend. Wir haben die Probleme jetzt aber im Griff und wissen genau, was wir zu tun haben. Heute testen wir erstmals die neuen Aerodynamikteile und es sieht sehr, sehr gut aus. Gil wird beim Test in Paul Ricard in Frankreich nächste Woche schon bei uns sein. Ich denke, dass wir in Imola in sehr guter Verfassung sein werden, und hoffe, dass wir Jenson das Material geben können, um dieses Jahr noch Rennen zu gewinnen."

Frage: "Glaubst du, dass der Speed bei euch und bei Jenson grundsätzlich vorhanden ist?"
Fry: "Absolut. Jenson ist ein Teil des Teams. Wir involvieren ihn in alles, was vor sich geht. Er fährt schon seit einiger Zeit Rennen und weiß daher, dass es manchmal ziemlich schwierig sein kann, aber wir haben immer gesagt, dass wir ihm das Material zur Verfügung stellen werden, das er braucht. Alles, was wir tun können, um dem Team und Jenson zu helfen, wird auch getan. Das ist ganz natürlich."

Fry will Button am liebsten lebenslang an BAR-Honda binden

Frage: "Machst du dir Sorgen, dass ihr Jenson verlieren könntet, wenn sich eure Resultate nicht bessern?"
Fry: "Natürlich wollen Rennfahrer immer im besten Auto sitzen. Unser Job ist es, ihnen das beste Auto zu geben. Wir arbeiten daran und wollen Jenson natürlich so lange wie möglich im Team halten. Wenn er für den Rest seiner Karriere bei uns bleiben würde, würde uns das sehr zufrieden stellen."

Frage: "Kann sich das Blatt in der diesjährigen Weltmeisterschaft noch wenden?"
Fry: "Ich glaube schon. Selbst bei Renault wissen sie, dass die Saison dieses Jahr unglaublich lang ist. Ich würde da niemanden unterschätzen. Ferrari testet ja momentan ohne Limits. Sie halten sich nicht einmal an das bisherige 'Suzuka Agreement' und können dadurch sehr schnell aufholen. Die sind in zwei oder drei Rennen sicher wieder da. McLaren wird sich auch verbessern und hoffentlich wir ebenso. Es wird also sehr schwierig. Da ist noch nichts in trockenen Tüchern."

"Die neun Teams und fünf Hersteller sind zusammengerückt"

Frage: "Was ist beim heutigen Meeting der Teams und Hersteller passiert?"
Fry: "Die neun Teams und fünf Hersteller sind eng zusammengerückt. Wir haben uns in vier Arbeitsgruppen mit der Zukunft der Formel 1 beschäftigt und jede einzelne Arbeitsgruppe hat sehr ermutigend Bericht erstattet. Es wird noch einige Monate dauern, bis wir das, was wir gerade erarbeiten, präsentieren können, aber im Juli oder August sollte es soweit sein. Dann können wir uns auch wieder mit der FIA und Bernie Ecclestone an einen Tisch setzen."

Frage: "Das heißt, dass ihr wieder nicht beim nächsten FIA-Meeting erscheinen werdet?"
Fry: "Niemand wird zum Meeting mit Max (Mosley; Anm. d. Red.) gehen. Es wird dazu auch noch eine Pressemitteilung geben."

Bau des neuen Windkanal läuft "genau nach Plan"

Frage: "Wie gehen die Arbeiten mit dem neuen Windkanal in Brackley voran?"
Fry: "Alles läuft genau nach Plan. Wir sehen dieses Investment als Schlüssel für zukünftige Erfolge des Teams. Wir brauchen den Windkanal Mitte nächsten Jahres und werden ihn dann in Betrieb nehmen. Das wäre dann die kürzeste Bauzeit für einen Windkanal überhaupt. Das ist eine große Herausforderung. Diese Woche soll das Fundament fertig werden. Wir haben 140 Träger, die tiefer als 20 Meter in den Boden gesetzt werden mussten. Beim Betonieren haben wir dieselbe Technik verwendet wie bei den Twin Towers in Kuala Lumpur. Auch war das Wetter schlecht, weshalb wir ein großes Zelt aufgebaut haben, um Regen vom Beton fernzuhalten und die Temperaturen im richtigen Fenster zu halten. Wir verfolgen dieses Projekt also mit sehr großem Ehrgeiz und sind genau im Zeitplan."

Ab 2006 zwei BAR-Honda-Windkanäle im Paralleleinsatz

Frage: "Was macht ihr mit dem alten Windkanal, wenn der neue einmal fertig ist?"
Fry: "Der wird weiterhin in Betrieb sein. Wir planen, mit beiden Windkanälen parallel zu arbeiten. Unser derzeitiger Windkanal ist 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche im Betrieb. Nur am Sonntagabend steht er wegen regelmäßiger Wartungsarbeiten für vier Stunden still. Wir wollen aber beide Anlagen verwenden, um an die Spitze zu kommen. Die Formel-1-Teams haben die Aerodynamik als wichtigsten Bereich ausgemacht. Je mehr Stunden man investiert, desto bessere Resultate bekommt man. Das ist ganz einfach."

Frage: "Gibt es Pläne, den alten Windkanal später einmal an externe Firmen zu vermieten?"
Fry: "Derzeit nicht, aber das ist etwas, was wir in Betracht ziehen werden. Diese Entscheidung liegt aber noch ein paar Jahre in der Zukunft. Der Markt ist auf diesem Gebiet ziemlich umkämpft, denn ein paar Kilometer weiter steht der alte Lola-Windkanal, der auch angemietet werden kann, und überall sonst auf der Welt gibt es vergleichbare Anlagen. Unser Hauptziel ist es, die Weltmeisterschaft zu gewinnen, und die Verwendung von beiden Windkanälen soll uns dabei helfen."