Das große Interview mit Gil de Ferran

Der neue BAR-Honda-Sportdirektor im ausführlichen Interview über seinen Job, die damit einhergehenden Veränderungen und mehr

(Motorsport-Total.com) - Am Mittwoch präsentierte das BAR-Honda-Team überraschend den brasilianischen Ex-Rennfahrer Gil de Ferran, der unter anderem zweimal die CART-Meisterschaft und einmal das Indy 500 gewonnen hat, als neuen Sportdirektor. Am Donnerstagnachmittag stand er Medienvertretern im Rahmen einer Telefonkonferenz Rede und Antwort. 'F1Total.com' war dabei.

Titel-Bild zur News: Gil de Ferran

Gil de Ferran ist seit Mittwoch neuer Sportdirektor beim BAR-Honda-Team

Frage: "Gil, warum hast du das Angebot, bei BAR-Honda als Sportdirektor anzufangen, angenommen?"
Gil de Ferran: "Dies ist eine außergewöhnliche Chance für mich, für mein Leben und meine Karriere. Diese Position ist genau das, was ich mir immer gewünscht habe, seit ich als Fahrer zurückgetreten bin. Es kommt genau zum richtigen Zeitpunkt. Natürlich bin ich sehr traurig, meine Freunde und Kollegen in den USA nach zehn Jahren verlassen zu müssen, aber wir werden den Kontakt nicht völlig abreißen lassen. Jetzt freue ich mich darauf, am Montag mit der Arbeit zu beginnen. Es wird eine gewaltige Herausforderung."#w1#

De Ferran holte Rat bei seinem Ex-Teamchef ein

Frage: "Du kennst Roger Penske seit vielen Jahren. Hast du bei ihm Rat eingeholt, bevor du dich zu diesem Schritt entschlossen hast?"
De Ferran: "Roger war in den letzten Jahren nicht nur mein Teamchef, sondern er ist auch ein Freund und einer, dem ich meine Ideen anvertraue. Ich unterhalte mich laufend mit ihm und habe ihm auch von dieser Sache erzählt. Er hat mich ermutigt, es zu machen, auf mein Herz zu hören."

Frage: "War dein ursprünglicher Wunsch eine Position im Penske-Team in Nordamerika?"
De Ferran: "Nein. Ich war dort vier Jahre als Fahrer und hatte eine tolle Zeit, aber ich habe kein Bedürfnis verspürt, dort in einer anderen Position weiterzuarbeiten. Als Fahrer konnte ich mir ein gutes Bild davon machen, wie sie dort arbeiten, und meiner Meinung nach sind sie sehr gut aufgestellt."

Frage: "Du warst zuletzt TV-Kommentator. Hat dir der Wettbewerb und die Nähe zum Rennsport ein bisschen gefehlt?"
De Ferran: "Absolut. Ich habe im letzten Jahr gelernt, dass ich im Herzen ein Racer bin. Als ich zum Rennfahren aufgehört habe, fehlte mir plötzlich der Wettbewerb. Ich wollte unbedingt im Sport bleiben. Im letzten Jahr wurde das Bedürfnis nach Wettbewerb immer größer, aber das bedeutet nicht, dass ich wieder fahren wollte. Diese Position deckt all meine emotionellen und intellektuellen Bedürfnisse ab."

"Mein Interesse am Rennsport ist sehr breit gefächert"

Frage: "Hast du auch einen Background im Ingenieurswesen vorzuweisen?"
De Ferran: "Mein Interesse am Rennsport ist sehr breit gefächert. Das war schon immer so. Ich liebe den Rennsport und ich liebe den Wettbewerb, aber ich liebe auch die Maschinen und die technische Seite. Mein Interesse am Fahren hat zuletzt ein bisschen nachgelassen, aber mein Interesse am Sport insgesamt überhaupt nicht. Über die Jahre habe ich verschiedene Erfahrungen gesammelt - am Steuer ebenso wie in anderen Bereichen des Motorsports, den technischen Bereich eingeschlossen. Hoffentlich kann ich mehr und mehr ins Team einbringen, je mehr Zeit vergeht. Meine Position als Sportdirektor beschäftigt sich aber eher mit der sportlichen als mit der technischen Seite der Formel 1."

Frage: "Wie schwierig ist es, von den IndyCars in die Formel 1 zu wechseln?"
De Ferran: "Ich bin sicher, dass es viele Dinge in einem Formel-1-Team gibt, die ich nicht kenne. Das gehört zu den Herausforderungen, die ich angesprochen habe. Andererseits habe ich das Gefühl, dass ich in all den Jahren alle möglichen Erfahrungen gesammelt habe. Das ist etwas, was ich unbedingt machen wollte. Ich fühle mich bereit dafür, aber nur die Zeit kann zeigen, wie erfolgreich ich sein werde."

De Ferran muss von Florida nach Großbritannien umziehen

Frage: "Du wirst künftig nicht mehr in Fort Lauderdale leben, oder?"
De Ferran: "Mein Job beinhaltet natürlich, dass ich nach England ziehen muss. Ich habe früher schon einmal sieben Jahre lang in Großbritannien gelebt. Ich freue mich irgendwie schon darauf, aber andererseits wird mir meine Heimat in den USA auch fehlen."

Frage: "Bobby Rahal hatte genau wie du in Nordamerika großen Erfolg, aber in der Formel 1 konnte er sich nicht lange behaupten. Macht dir das Sorgen?"
De Ferran: "Eigentlich nicht. Ich kenne Bobby seit vielen Jahren und glaube, dass seine Situation ganz anders war. Er hatte auch andere Leute um sich herum. Ich hatte bisher am meisten Kontakt zu Nick (Fry; Anm. d. Red.) und Geoff Willis, klar, und da scheint es überhaupt keine Probleme zu geben. Ich bin sehr zuversichtlich. Ich verstehe genau, was ich zu tun habe. Außerdem kommt es mir so vor, dass meine Rolle eine andere ist als die, die Bobby damals bei Jaguar zu erfüllen hatte. Natürlich wird man mir genau auf die Finger schauen, also muss ich meine Arbeit gut machen und die richtigen Resultate abliefern."

Stewart spielte Vermittler zwischen den Ferran und BAR-Honda

Frage: "Was hatte Jackie Stewart mit deiner Entscheidung, in die Formel 1 zu gehen, zu tun?"
De Ferran: "Genau wie Roger Penske ist auch Jackie eine der Personen, an die ich mich wende, wenn ich wichtige Entscheidungen zu treffen habe - und das schon seit den frühen 90ern. Die Stewart-Familie zähle ich zu meinen Freunden, seit ich für sie gefahren bin. Ich habe Nick in den 90ern erst durch Jackie kennen gelernt. Als sich jetzt diese Möglichkeit auftat, habe ich Jackie um seinen Rat gebeten."

Frage: "Was wird deine erste Aufgabe sein?"
De Ferran: "Zuerst einmal werde ich viel beobachten und zuhören müssen. Das Schlimmste, was ich machen könnte, wäre, eine funktionierende Sache zu zerlegen. BAR-Honda hat vergangenes Jahr mit fast denselben Leuten im Hintergrund den zweiten Platz in der Weltmeisterschaft erreicht. Ich muss erst einmal meinen Platz in der Organisation finden, beobachten und viele neue Informationen aufschnappen. Hoffentlich wird mein Beitrag dann im Laufe der Zeit wachsen. Das ist der Plan. Kurzfristig ist der Plan, am Sonntag nach England zu fliegen und dann Mitte nächster Woche zu den Tests nach Paul Ricard."

"Wenn die Ampel umspringt, ist das alles, worauf es ankommt"

Frage: "Die Formel 1 ist ein sehr politischer Sport. Ist es überhaupt möglich, sich nur auf den Sport auf der Rennstrecke zu konzentrieren, oder wirst du dich auch mit der Politik beschäftigen müssen?"
De Ferran: "Ich denke, dass ich meine Rolle sehr genau verstehe. Sobald die Ampel auf Grün umspringt, ist das alles, worauf es ankommt. In der Vergangenheit war ich immer sehr gut darin, mich auf meine unmittelbaren Aufgaben zu konzentrieren und mich nicht ablenken zu lassen. Das Wichtigste sind die Rennresultate. Ich hoffe, dass ich dazu in meiner neuen Position beitragen kann."

Frage: "Es gab eine Zeit in der Formel 1, als sehr viel investiert wurde, wenn man an die Spitze kommen wollte, während jetzt die Kosten eher gesenkt werden. Ist das enttäuschend für dich?"
De Ferran: "Die Formel 1 entwickelt sich immer weiter und hat in ihrer gesamten Geschichte schon viele verschiedene Phasen durchgemacht. Meine Aufgabe ist es, so viele Rennen wie möglich für das Team zu gewinnen. Ich muss herausfinden, wie wir am ehesten einen Vorteil bekommen können. Daran ändert sich durch die Finanzen nichts. Schon als Fahrer war das immer mein Hauptziel und daran wird sich nichts ändern - unabhängig von den Rennen."

Erst einmal in England landen, dann lernen und zuhören...

Frage: "Hast du dir einen zeitbezogenen Plan für deinen Job bei BAR-Honda zurechtgelegt?"
De Ferran: "Zuerst einmal muss ich in England landen, zuhören und viel lernen. Das muss natürlich sehr beschleunigt passieren. Aber am wichtigsten ist mir, nicht die funktionierende Organisation des Teams durcheinander zu bringen."

Frage: "Kennst du Jenson Button und was hältst du von ihm?"
De Ferran: "Ich habe ihn schon einmal getroffen. Wir hatten damals eine gute Party! Ich mag Jenson sehr. Er kommt wie ein sehr netter Bursche rüber. Er liebt den Rennsport und er ist sehr freundlich. Mein Sohn mag ihn auch sehr. Das muss ein gutes Zeichen sein!"

Frage: "Freust du dich auf die Zusammenarbeit mit ihm?"
De Ferran: "Absolut. Ich halte ihn auf jeden Fall für einen der besten Rennfahrer weltweit. Wir wissen, dass er das Potenzial hat, Rennen zu gewinnen, aber ich traue ihm auch einen WM-Titel zu. Er ist ein sehr wichtiger Bestandteil von BAR-Honda und ich freue mich schon sehr darauf, mit ihm zu arbeiten."

Was Button zum Siegen fehlt: "Überhaupt nichts!"

Frage: "Was fehlt ihm noch, um endlich ein Rennen zu gewinnen?"
De Ferran: "Überhaupt nichts! Seine Leistungen waren unglaublich. Um ein Rennen zu gewinnen, müssen viele Dinge im richtigen Moment zusammenpassen. Es ist die Aufgabe des gesamten Teams - Jenson eingeschlossen -, daran zu arbeiten, dass es möglichst bald passieren wird."

Frage: "Kannst du dir vorstellen, mit ihm auch mal von Fahrer zu Fahrer zu sprechen?"
De Ferran: "Meine erste Aufgabe ist, ihn einmal besser kennen zu lernen. Das ist auch der wichtigste Grund, weshalb ich nach Paul Ricard fliege. Ich muss das Team und Jenson besser kennen lernen, aber nicht nur Jenson, sondern auch Takuma und all die Testfahrer. Ich glaube nicht, dass man erfolgreich sein kann, wenn man die Leute, mit denen man arbeitet, nicht versteht."

Frage: "Du hattest als Fahrer Ambitionen, in die Formel 1 zu kommen. Ist das jetzt eine späte Wiedergutmachung für diese offene Rechnung?"
De Ferran: "Eigentlich nicht. Meine Fahrerkarriere ist recht erfüllt gewesen. Vor allem in meiner letzten Zeit bei Penske konnte ich viele Rennen und Meisterschaften und natürlich auch das Indy 500 gewinnen. Als ich meine Karriere Ende 2003 beendet habe, war ich ein sehr zufriedener Mann. Ich war glücklich mit dem Erreichten und nicht verärgert über irgendetwas. Ich bin happy damit, wie sich mein Leben entwickelt hat."

Seit den 70ern verfolgt de Ferran schon die Formel 1

"Die Formel 1 hat mich schon immer fasziniert, seit ich als Kind Emerson Fittipaldi in den frühen 70ern gegen Jackie Stewart habe fighten sehen. Ich habe die Formel 1 immer geliebt. Als ich nach Europa gegangen bin, wollte ich Formel-1-Fahrer werden. Das Leben hat mich auf einen anderen Weg verschlagen, der aber um nichts weniger erfüllt war. Ich tue das, was ich jetzt mache, nicht deswegen, um alte Rechnungen mit mir selbst zu begleichen. Das ist eine neue Herausforderung und Chance für mich."

Frage: "Was bedeutet dein Umzug für deine Familie? Sind sie glücklich darüber, in ihre Heimat zurückkehren zu können?"
De Ferran: "Irgendwie ist meine Frau glücklich, dass sie in ihr Heimatland zurückkehren kann, ja, aber sie ist umgekehrt auch sehr traurig, denn wir haben uns an unseren Lebensstil und an die Gegend gewöhnt. Wir haben auch sehr viele Freunde. Meine Kinder sind ihr Leben lang in den USA zur Schule gegangen und haben viele Freunde kennen gelernt. Ich habe auch viele Freunde kennen gelernt. Mal ehrlich, der Süden Floridas ist schon eine sehr nette Gegend!"

Frage: "Hast du dich mit Cristiano da Matta unterhalten, der ja eine Zeit lang in der Formel 1 gefahren ist?"
De Ferran: "Nicht mit Cristiano, aber mit anderen Leuten in Europa, die ich seit vielen Jahren kenne. Alle haben mich sehr unterstützt und mir sehr intelligente Ratschläge gegeben."

"In den letzten paar Wochen war ich sehr aufgeregt"

Frage: "Was für ein Gefühl hast du jetzt im Bauch, wo diese neue Herausforderung vor dir liegt?"
De Ferran: "Das trifft den Nagel auf den Kopf. Dies ist eine enorme Herausforderung in meinem Leben. In den letzten paar Wochen war ich sehr aufgeregt. Mir ist alles durch den Kopf gegangen, was einem durch den Kopf gehen kann. Natürlich hoffe ich, dass das erst der Anfang meiner neuen Karriere ist."

Frage: "Glaubst du, dass dir der amerikanische Rennsport sehr fehlen wird, oder hast du in Europa ohnehin zu viel zu tun?"
De Ferran: "Beides trifft zu. Das Indy 500 und der amerikanische Rennsport insgesamt waren in den letzten zehn Jahren mein tägliches Brot. Diese Nabelschnur kann man nicht so einfach durchtrennen. Früher oder später wird es mir fehlen, daran gibt es keinen Zweifel. Andererseits werde ich wahrscheinlich mehr zu tun haben als ich mir im Moment vorstellen kann. In so einer Situation hat man nicht Zeit, viel über andere Dinge nachzudenken."

De Ferran will selbst nicht ins Formel-1-Auto steigen

Frage: "Niki Lauda hat vor ein paar Jahren als Jaguar-Teamchef selbst ein Formel-1-Auto getestet. Hast du vor, das auch zu tun?"
De Ferran: "Nein. Seit ich meine Karriere Ende 2003 an den Nagel gehängt habe, hatte ich einige Angebote, verschiedene Rennautos zu fahren. Ich habe alle abgelehnt. Als ich mich dazu entschlossen habe, das Rennfahren aufzugeben, war ich mir meiner Sache sehr sicher. Seither hatte ich nie wieder das Verlangen, in ein Rennauto zu steigen. Ich bin sicher, dass mich mein neuer Job so beanspruchen wird, dass dieses Verlangen auch nicht zurückkommen wird."

Frage: "Bist du nicht neugierig darauf, wie sich ein modernes Formel-1-Auto fährt?"
De Ferran: "So unglaublich es auch klingen mag, aber nein. Ich war letztes Jahr bei den Grands Prix in den USA und in Großbritannien. Ich habe das mit Interesse verfolgt, verspürte aber kein Bedürfnis, selbst zu fahren. Außerdem bin ich bei weitem nicht mehr so gut in Form wie zu meiner aktiven Zeit, daher würde ich wahrscheinlich keine besonders gute Figur abgeben."

Frage: "Du warst jahrelang in Nordamerika. Glaubst du, dass da jetzt eine neue Welt auf dich zukommt?"
De Ferran: "Es liegt sicher eine große Herausforderung vor mir und ich bin sicher, dass viele Probleme auf mich zukommen werden, die ich mir momentan noch nicht einmal ausmalen kann. Andererseits gehören aber auch viele Dinge zum Rennsport dazu, die überall auf der Welt gleich sind. Was ich in all den Jahren gelernt habe, sollte mir ermöglichen, meine Aufgaben gut umzusetzen. Wie gesagt, ich fühle mich bereit dafür."