• 06.10.2015 18:38

  • von Ryk Fechner

Carlos Sainz über Leben der Formel 1: Mentale Härte gefragt

Neben Kindheitsanekdoten erklärt Toro-Rosso-Pilot Carlos Sainz, wieso es gerade Donnerstage vor einem Grand Prix sind, die die Sportler schlauchen

(Motorsport-Total.com) - Den Sprung in die Formel 1 mit 20 Jahren zu schaffen wird immer häufiger zur Regel. War es in den 1990ern noch Usus, dass man mit rund 24 Jahren sein erstes Rennen bestritt, so schaffen es heutzutage Nachwuchsfahrer in die höchste Motorsportkategorie, die weit jünger sind. Bei Toro Rosso verfügt man mit dem 18-jährigen Max Verstappen und dem 21-Jährigen Carlos Sainz über die beiden jüngsten Fahrer im Feld. Zwar haben beide durch ihre Väter den entsprechenden Familienhintergrund, doch fahren und trainieren müssen die Red-Bull-Nachwuchskader immer noch selbst.

Titel-Bild zur News: Carlos Sainz

Carlos Sainz findet, dass er in der Formel 1 lernte, seine Emotionen zu kontrollieren Zoom

Dass er mit 20 Jahren in Melbourne in seine erste Formel-1-Saison gehen würde, ließ sich Sainz kaum träumen und durch harte Arbeit mit dem Team sowie an sich selbst, kann der Spanier in der Königsklasse erste zählbare Ergebnisse vorweisen. "Bevor die Saison begann, erklärten sie mir die Weltmeisterschaft und wie die Formel-1-Welt funktioniert. Wir hatten viele Konversationen darüber, wie Australien sein würde. Aber du begreifst nicht, was die Formel 1 ist, bevor du sie nicht von innen gesehen hast", erinnert er sich an seine ersten Gespräche mit Helmut Marko, Franz Tost und seinem Vater in seinem Gastbeitrag auf 'jamesallenonf1.com'.

An Ecclestones Hand als Kind durch die Startaufstellung

"Schon vorher hatte ich Eindrücke aus dem Formel-1-Fahrerlager, bevor ich in Melbourne mein Debüt hatte, da ich jedes Jahr zum Spanien-Grand-Prix ging", erinnert sich Sainz, der 2014 die Formel-Renault gewann (zum Steckbrief Carlos Sainz). "Ich weiß noch, wie ich das ganze Jahr auf dieses Wochenende gewartet habe. Ich habe beispielsweise noch diese witzigen Bilder, als ich mit etwa zehn Jahren in einem Formel-1-Toyota saß, da mein Vater ein guter Freund von Ove Anderson war", gedenkt er sich dem verstorbenen Teamchef.

"Ich weiß auch noch, dass mir ein anderes Mal (von Anderson und meinem Vater; Anm. d. Red.) nicht erlaubt wurde, am Sonntag in die Startaufstellung zu gehen. Plötzlich war Bernie (Ecclestone; Anm. d. Red.) da, der mir die Hand reichte und mich mitnahm. Das werde ich nie vergessen", schwelgt der Spanier in Kindheitserlebnissen, die der Realität längst gewichen sind: "Die Formel 1 ist immer noch eine ganz besondere Welt und ich muss sagen, dass ich jede einzelne Minute genieße, vor allem im Auto. Das ist definitiv die schönste Zeit des Wochenendes - egal auf welcher Strecke, egal in welchem Land."

Abseits der Strecke gilt: Nerven stählen

"Auf der anderen Seite ist die Menge an Arbeit, die man ins Nervenkostüm investiert, der härteste Teil. Das hört nie auf und du kannst dir nicht einfach fünf Minuten Pause nehmen, weggehen und dich entspannen, da dein Kopf im Paddock nicht abschalten kann. Immer wenn du im Cockpit bist, bist du bei der Sache. Es ist schwierig, abzuschalten. Das ist der Grund dafür, weswegen die Pause im April so nützlich ist", meint Sainz damit die Formel-1-Sommerpause, die kürzlich im Zuge des vollgepackten Rennkalenders für 2016 vor der Streichung stand.

Marcus Ericsson, Daniel Ricciardo, Carlos Sainz, Felipe Massa, Sebastian Vettel, Nico Rosberg

Die Medienaufmerksamkeit verlangt einigen Fahrern viel Kraft ab Zoom

Am diesjährigen Spanien-Grand-Prix verdeutlicht er, wie belastend die Arbeit im Fahrerlager ist: "Wir hatten da einen Kameramann, der mich den kompletten Donnerstag in Barcelona begleitete. Nach einem einzigen Tag war der Kameramann völlig fertig." Ebenso gehen jene Donnerstage nicht spurlos an den durchtrainierten Rennfahrern vorbei.

Zutaten für den Erfolg: Ein Mix aus Politiker, Sportler und einem selbst

"Es kam in diesem Jahr vor, dass ich vollkommen müde ins Hotel zurückkam. Das ist etwas, was mir vorher nie passiert ist", geht der 20-Jährige auf die Unterschiede zu den Nachwuchsserien ein: "So etwas passiert, weil du an einem normalen Donnerstag im Paddock an richtig viele Dinge denken musst. Da gibt es so viele Treffen mit deinen Ingenieuren, mit den Journalisten - einfach mit jedem, der dir im Fahrerlager über den Weg läuft."

"Ich habe es hinbekommen, etwas gesetzter zu werden und den typisch emotionalen Latino-Charakter beiseite zu packen." Carlos Sainz

Um sich nicht ablenken zu lassen, reist Sainz grundsätzlich nur mit seinem Fitnesstrainer, aber nie mit der Familie an. Belastung komme vor allem dadurch, dass der Fokus in der Formel 1 sehr stark auf den Details liegt: "Das kann den Unterschied machen, ist einer der Schlüssel zum Erfolg und es ist das, was uns wirklich unsere Energie raubt. Außerdem geht es in der Formel 1 um viel mehr: Du musst ein bisschen Politiker, ein bisschen Sportler, ziemlich korrekt und vor allem du selbst sein."

Sainz und das Klischee vom emotionsgeladenen Latino

Die Arbeit an sich selbst habe Früchte getragen, versichert der Sohn von Ex-Rallye-Weltmeister Carlos Sainz Sen.: "Ich denke, dass ich in den letzten Jahren viel erwachsener geworden bin. Wenn ihr mich 2013 kennengelernt hättet, hättet ihr vielleicht gesagt: 'Dieser Kerl ist viel zu emotional.' Jedoch habe ich es hinbekommen, etwas gesetzter zu werden und den typisch emotionalen Latino-Charakter beiseite zu packen. Das Extra an Erwachsensein hilft, um die Dinge aus einer anderen Perspektive zu betrachten."

"Wahrscheinlich kann man sagen, dass mein Speed immer da war", vergleicht er sich noch einmal mit seinem "früheren Ich": "Aber Erfahrung sammeln und die Tatsache, dass ich jetzt meine Emotionen in- und außerhalb des Autos besser im Griff habe, hat mir definitiv geholfen, ein besserer Fahrer zu werden."


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