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Brundle testet Force India: "Neue Autos sind kompliziert"

TV-Experte Martin Brundle nimmt am Steuer des Force India VJM08 Platz und lernt auf harte Art und Weise, dass die Autos der Saison 2015 nicht einfach zu fahren sind

(Motorsport-Total.com) - Martin Brundle ist ein echter Routinier in der Formel 1. Zwischen 1984 und 1996 nahm der Brite an insgesamt 165 Grands Prix teil. Nach dem Ende seiner Karriere wechselte der heute 55-Jährige auf die "andere Seite" und arbeitet mittlerweile als TV-Experte. In Silverstone nahm Brundle nun erstmals in einem aktuellen Formel-1-Auto der Saison 2015 Platz. Die Bilanz seines Tages im Force India VJM08: 37 Runden, viele neue Erfahrungen - und ein ungemütlicher Kontakt mit der Leitplanke.

Titel-Bild zur News: Martin Brundle

Martin Brundle durfte im neuen Force India in Silverstone 37 Runden drehen Zoom

"Man kann nicht sagen, dass die 2015er-Autos zu einfach zu fahren sind", berichtet Brundle bei 'Sky Sports F1' nach seinem Test und erklärt: "Der Hauptgrund, warum diese Autos nicht einfacher zu fahren sind, liegt meiner Meinung nach darin, dass es, im Vergleich zum Grip, einen Überschuss an Leistung und Drehmoment gibt. Du musst dich an das Limit tasten und das bedeutet, dass du Grip und Geschwindigkeit verlierst."

"Du musst herausfinden, wie viel Leistung und Grip es gibt. Du kannst nicht einfach Vollgas geben und das Drehmoment seinen Job erledigen lassen", so der TV-Experte. Seit Brundles aktiver Zeit hat sich einiges verändert. Es gibt technische Innovationen wie das Energierückgewinnungs-System ERS oder die Überholhilfe DRS. Das Lenkrad des Autos erinnert heutzutage teilweise eher an einen Minicomputer.

"Mental eine größere Herausforderung"

"Nachdem ich den Force India gefahren bin, denke ich, dass es mental eine größere Herausforderung ist, weil im Cockpit viel mehr los ist", hat auch Brundle festgestellt und erklärt: "Ich bin mir sicher, dass man sich schnell an diese Dinge gewöhnt. Aber für mich war es definitiv eine 'Überbelastung', all diese Systeme zu verstehen. Force India hat mir eine Menge von den Spielzeugen auf dem Dashboard gegeben."

"Dabei hat mich besonders beeindruckt, wie sensibel sie waren. Jede Veränderung oder Einstellung war sehr einflussreich und sehr beeindruckend", so der Brite, der zwar zuletzt 1996 einen Jordan unter echten Rennbedingungen fuhr, seitdem allerdings häufig auch aktuelle Autos testen durfte. Er erinnert an eine Ausfahrt vor zwei Jahren: "Ich fuhr Lewis Hamiltons Weltmeisterauto von 2008."


Martin Brundle: Heutige Autos schwierig zu fahren

Martin Brundle testet einen Force India VJM08 und ist beeindruckt, wie schwierig dieser zu fahren ist. Weitere Formel-1-Videos

"Es war das beste Auto, das ich jemals gefahren bin, denn es klebte an der Oberfläche. Jeder Rennfahrer möchte primär, dass das Auto schneller fährt. In allen Tests und Debriefings sucht man nur nach Möglichkeiten, um schneller zu werden. Wenn du ein Auto wie den McLaren von 2008 hast, der so haftet, dann fühlt sich das großartig an. Ich kann verstehen, warum die Piloten diese Ära der Autos mögen, und warum sie physisch viel schwerer zu fahren waren."

"Es war das beste Auto, das ich jemals gefahren bin." Brundle über den McLaren MP4-23

Wie viel Power kann man verwenden?

"Aber ich kann auch verstehen, warum es heute solche Unterschiede zwischen Fahrern und Teamkollegen gibt. Es gibt so viel potenziellen Speed, den du verlieren kannst, wenn du nicht nah genug am Limit bist. Es ist eine Frage des Gefühls: 'Wie viel Power kann ich verwenden, bevor es zu viel ist?'", erklärt Brundle, der in seiner Formel-1-Karriere zwar nie ein Rennen gewinnen konnte, allerdings mit Teamkollegen wie Michael Schumacher oder Mika Häkkinen zusammenarbeitete.

"Ich hatte ziemliche Angst, denn jeder Fahrer, mit dem ich gesprochen hatte, hatte mich gewarnt, dass ich mit dem Gas vorsichtig sein soll, weil sie den Spielraum des Gaspedals geändert haben", verrät Brundle und erklärt: "In Zeiten der Traktionskontrolle hatte ein Gaspedal ungefähr 25 Millimeter Spielraum, denn du hast es so schnell wie möglich durchgedrückt und dann die Elektronik den Rest erledigen lassen."


Der neue Renault-Motor für 2015

"Bei diesen Autos sind es 60 bis 70 Millimeter, damit man progressiver sein kann. Die Distanz, die das Gaspedal zurücklegen muss, zeigt einem sofort die Schwierigkeiten mit der Fahrbarkeit auf, die es momentan gibt", so Brundle, der vor seiner Fahrt im VJM08 zunächst einmal im Simulator testen musste. "Das war eine wertvolle Lektion, die mir einen Dreher erspart hat", verrät er.

"Du musst dich an das Limit tasten." Martin Brundle

Brundle fliegt ab

Ganz ohne Dreher überstand der Brite seine insgesamt 37 Runden allerdings trotzdem nicht. Ausgangs der Brookslands-Kurve verlor er die Kontrolle über seine Wagen und rutschte in die Leitplanken. Der Frontflügel war anschließend zwar nicht mehr zu gebrauchen, nach einer kurzen Pause konnte er allerdings weiterfahren. Fazit: "Man kann in diesen Dingern nicht einfach rausgehen und etwas herumfahren."

Obwohl die Autos der Saison 2015 den Fahrern körperlich nicht so viel abverlangen wie ihre Vorgänger in der Vergangenheit, ist Brundle davon überzeugt, dass dieser "Vorteil" durch die erhöhte mentale Beanspruchung sofort wieder egalisiert wird. Im Rennen kommen außerdem noch Faktoren wie das Reifenschonen mit hinzu, mit denen Brundle bei seinem Test gar nicht in Berührung kam. Sein Abschlussfazit zu den Autos der Saison 2015 ist - entgegen der allgemeinen Vermutung - daher klar: "Sie sind nicht einfach, sie sind kompliziert."