Bringen fünf Freunde Lotus an die Spitze?

Mike Gascoyne hat fünf befreundete Ingenieure in sein Team gelotst - Da wird auch schon mal abends beim Ausgehen über Aero-Updates diskutiert

(Motorsport-Total.com) - Lotus hat im Vorjahr einen anderen Stil im Fahrerlager eingeführt. Kein Team ist so offen wie die Neulinge rund um Teamchef Tony Fernandes. Technikleiter Mike Gascoyne kommuniziert während des Rennens via 'Twitter' mit den Fans, Journalisten erhalten selbst während der Rennen Zutritt zur Lotus-Box - man fühlt sich an Zeiten erinnert, als die Formel 1 noch zugänglicher und vor allem menschlicher war als heute.

Titel-Bild zur News: Heikki Kovalainen

Auch an der Bar wird nächtens überlegt, wie man Lotus nach vorne bringen kann

Genau darauf scheint man bei Lotus auch intern großen Wert zu legen. Gascoyne, der die technische Verantwortung trägt, ist es gelungen, zahlreiche langjährige Wegbegleiter in seinem Rennstall zu vereinen. Mit Neo-Technikchef Mark Smith ist nun der letzte Puzzleteil an seinem Platz - der ehemalige Force-India-Technikchef, der Gascoyne auch von Jordan und Renault kennt, trat erst vor wenigen Tagen seinen Dienst bei Lotus an.

Bereits im Vorjahr lotste Gascoyne Chefaerodynamikerin Marianne Hinson, Chefdesigner Lewis Butler, Chefingenieur Jody Egginton und Haltbarkeits-Ingenieur Merv Dempsey von seinem Ex-Team Force India zu Lotus. "Diese Leute wissen, wie man arbeitet, hatten gemeinsam Erfolg und haben hart gearbeitet und hoch gepokert", erklärt Gascoyne, warum er auf dieses Gespann setzt.

Smith komplettiert das befreundete Quintett

Was noch dazu kommt, ist in der Formel 1 eine Seltenheit: Alle kennen sich seit langem und sind obendrein gut befreundet. "Ich kenne Jody, Lewis, Mark und Merv bereits von Force India", bestätigt Aerodynamikerin Hinson. "Und Mike erwähnt bei jeder Gelegenheit, dass ich ihm 1999 meinen ersten Job zu verdanken habe." Tatsächlich engagierte Gascoyne damals die junge Britin bei Jordan. "Ich habe mit ihm aber auch an anderen Orten zusammengearbeitet", outet sie sich als treue Weggefährtin Gascoynes.

"Ich glaube, dass es ein enormer Boost für das Team ist, dass Smith jetzt bei uns ist." Jody Eddington

Chefdesigner Butler gilt hingegen eher als Weggefährte Smiths, denn der Brite folgte seinem Chef auch zu Red Bull, ehe Smith dort 2006 als Technikchef von Adrian Newey abgelöst wurde. Das gilt auch für Haltbarkeits-Ingenieur Dempsey: "Ich traf Mark zum ersten Mal 2007 und er machte auf Anhieb einen sehr besonnenen Eindruck. Ich erinnere mich, dass alle Leute fragten, wie er so ist, bevor er zum Team kam, und jeder sagte, dass er sehr ruhig und überlegt ist - und sehr viel Wert auf Details legt."

Chefingenieur Eddington freut sich auf das Wiedersehen mit Smith: "Ich glaube, dass es ein enormer Boost für das Team ist, dass Mark jetzt bei uns ist. Er hat extrem viel Erfahrung und er hat in der Vergangenheit lange bei kleineren Teams gearbeitet. Das hilft uns dabei, dieses Team vorwärts zu bringen. Er wird im Zeichenbüro seinen eigenen Stil einführen - nachdem wir jetzt eineinhalb Jahre lang alleine geschuftet haben, ist es gut, dass wir einen frischen Einfluss haben."

Viel Lob für Chef Gascoyne

Die fünf Ingenieure haben eines gemein: den Chef. Gascoyne gilt in Formel-1-Kreisen nicht überall als einfacher Charakter - dennoch scheint die Arbeitsatmosphäre bei Lotus zu passen. "Ich kenne Mike seit 1998 bei Jordan", erinnert sich Gascoynes rechte Hand Smith. "Und ganz ehrlich: Ich hatte von Anfang an eine gute Beziehung zu ihm. Es ist sein Stil, den Leuten Macht und Verantwortung zu geben. Viele Leute sagen, dass sie das tun, aber er tut das wirklich."

"Es ist Gascoynes Stil, den Leuten Macht und Verantwortung zu geben." Mark Smith

Smith hat mit Gascoynes Stil nur positive Erfahrungen gemacht: "Er gibt dir Rat, wenn die Dinge schief laufen, aber die Leute sprechen auf seinen Managementstil an. Wie es bei Lotus ist, kann ich aber nicht sagen, weil ich eben erst begonnen habe."

Der Eindruck, dass die Beziehung des Gespanns durchaus über ein freundschaftliches Verhältnis hinausgeht, täuscht offenbar nicht. "Wir alle haben uns in der Vergangenheit gut verstanden und tun dies immer noch", bestätigt Hinson. "Nach der Arbeit gehen wir ziemlich regelmäßig aus. Das ist das Schöne an Lotus - die Leute arbeiten gerne zusammen und passen aufeinander auf."

Wenn der gemütliche Abend zur Reifendebatte wird

Wenn man gemeinsam ausgeht, ist es aber laut Hinson gut möglich, dass man zu später Stunde noch über das nächste Aerodynamik-Update diskutiert. "Einmal waren Lewis' Eltern dabei, als wir ausgingen, und da versucht man natürlich, über normale Dinge zu sprechen und nicht über Aero-Updates oder Reifenabbau", grinst die Aerodynamikerin. "Wenn nur wir unterwegs sind, dann sprechen wir letzten Endes doch oft über die Arbeit, manchmal fällt es uns schwer, das nicht zu tun. Es ist schwierig, ein Gespräch über die EastEnders oder so etwas anzufangen - nicht, dass wir um diese Zeit schon zuhause wären, um das anzusehen."

"Nach der Arbeit gehen wir ziemlich regelmäßig aus. Das ist das Schöne an Lotus." Marianne Hinson

Auch Smith möchte die tolle Atmosphäre bei Lotus nicht missen: "Spaß beiseite, aber eines der wichtigsten Dinge in der Formel 1 sind die Menschen und wie sie zusammenarbeiten. Zuerst muss man die richtige Richtung finden, dann muss aber jeder in diese Richtung gehen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir eine gemeinsame Herangehensweise haben. Das ist so viel Wert. Wenn die Leute anfangen, in unterschiedliche Richtungen zu gehen, dann kommt man nicht vom Fleck."

Laut Hinson ist Lotus diesbezüglich einmalig: "Noch nie war ein Team, in dem ich gearbeitet habe, so unpolitisch wie dieses. Das liegt an der Tatsache, dass sich jeder versteht und weiß, wie der andere arbeitet."