• 14.08.2004 12:45

Brawn: "Wir brauchen neue Mechanismen"

Ferraris Technischer Direktor über die Regeln für die Saison 2005 und die Kompliziertheit der Entscheidungsfindung in der Formel 1

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Eine Frage zum Regelwerk für 2005: Wie schreiten die Verhandlungen in dieser Sache voran?
Ross Brawn: "Bei den Chassis-Regeln haben wir eine Lösung erreicht. Die FIA hat einen Vorschlag gemacht, das ist jener, der im Oktober ohnehin gültig werden würde. Ich denke, dass ihn sich jeder angesehen und festgestellt hat, dass er den unseren sehr ähnlich ist. Die Chassisseite ist also durch. Ich habe auch den Eindruck, dass es genügend Leute gibt, die eine Alternative schwer machen, da jeder mit seinen Autos ja weitermachen möchte. Es wird viel Downforce und damit auch viel Kurvengeschwindigkeit verloren gehen. Insgesamt werden die Autos wohl langsamer werden."#w1#

Titel-Bild zur News: Ferraris Technischer Direktor Ross Brawn

Ross Brawn ist sicher, dass der FIA-Vorschlag verabschiedet werden wird

"Bei den Reifen gibt es einen Vorschlag der Reifenfirmen. Michelin und Bridgestone haben sich zusammengesetzt und einen Vorschlag für das nächste Jahr eingereicht. Bei den Motoren gibt es Unterstützung für beide Vorschläge, also die Zwei-Rennen-Triebwerke und die 2,4-Liter-V8-Aggregate. Der Zeitplan macht das allerdings recht teuer. Über einen längeren Zeitraum wäre es Kosten sparend, aber die V8-Motoren werden wohl vielmehr die Geschwindigkeit der Autos einbremsen, während die Zwei-Rennen-Motoren wohl so Kosten sparend sein werden, dass sie gut für die kleinen Teams sind, daher müssen wir sie unterstützen. Es ist wohl ziemlich offensichtlich, was passieren wird. Am Sonntagmorgen wird sich die Technische Arbeitsgruppe der FIA wieder treffen, um einige Details zu besprechen. Ich denke, dass die meisten Leute schon an den Autos für das nächste Jahr arbeiten."

Alternativen sind kaum mehr möglich

Frage: "Kannst du uns das näher erklären? Was genau wurde in der Technischen Arbeitsgruppe verabschiedet? Welche Änderungen werden kommen? Und ist die Deadline von Max Mosley noch in Kraft?"
Brawn: "Die aerodynamischen Regeln sind schon ziemlich fest. Ich denke, dass die Regeln auch so verabschiedet werden. Fünf oder sechs Teams haben an die FIA geschrieben, dass sie mit den Regeln einverstanden sind, daher wird eine Alternative auch nicht weiter verfolgt. Auch bei den Reifen herrscht Klarheit, denn Michelin und Bridgestone haben an die FIA geschrieben und gemeinsam eine Lösung präsentiert. Diese wurde von der FIA auch akzeptiert. Nur die Motorenregeln müssen noch diskutiert werden. Aber was das Auto und die Reifen angeht, so herrscht durchgehend Klarheit."

Frage: "Aber wie genau werden die Regeln aussehen?"
Brawn: "Der Diffusor wird geändert, um weniger Abtrieb zu produzieren. Der Frontflügel wird angehoben, der Heckflügel nach vorne geschoben. Außerdem gibt es für das Rennen nur einen Reifensatz. Mit der Art und Weise, die das gehandhabt wurde, bin auch ich nicht ganz zufrieden. Aber die FIA hat einen Vorschlag gemacht, den wir akzeptieren werden, weil wir denken, dass er gut ist. Und solange man nicht mit einer Alternative kommt, die achtzig Prozent der Stimmen braucht, so wird dieser Vorschlag auch durchkommen. Sechs Teams haben an die FIA geschrieben und sich mit dem Vorschlag einverstanden erklärt. Damit ist aber auch eine Mehrheit für einen Alternativvorschlag ausgeschlossen."

Frage: "Also sind diese acht Fürstimmen nicht notwendig?"
Brawn: "Wenn es keine Einigung in der Technischen Arbeitsgruppe gibt, dann wird die FIA einen Vorschlag durchsetzen. Es wurden ja drei Vorschläge unterbreitet, von denen wir einen annehmen werden. Ich bin sicher, dass wir bezüglich der Motoren und der Aerodynamik etwas finden werden. So wird es passieren."

Das ewige Streitthema: die Qualifyingregeln

Frage: "Ein weiteres Streitfeld ist das Qualifying. Es gibt von Jaguar-Boss Tony Purnell einen Vorschlag, Minirennen als Qualifikation auszutragen. Was denkst du davon und der Situation in dieser Frage allgemein?"
Brawn: "Interessant an der Qualifyingthematik ist ja, dass es sehr viele aufregende Ideen gibt. Auch Tonys Idee ist aufregend, andere Leute haben aber auch interessante Vorschläge. Einer davon ist, dass alle Autos auf die Strecke gehen. Nach 15 Minuten werden die fünf langsamsten Fahrer herausgenommen, nach weiteren 15 Minuten wieder die fünf langsamsten, bis nur noch fünf Fahrer übrig sind. Es gibt viele gute Ideen. Woran es fehlt ist, diesen Vorschlägen eine Basis zu geben und sie zu bewerten. Die nötige Einstimmigkeit und die 80-Prozent-Regel bei der Zustimmung hilft nicht gerade, wenn man neue Ideen durchsetzen möchte, weil wir alle verschiedene Ansichten haben."

"Es wäre wohl gut, wenn wir eine Gruppe bilden - mit Leuten von den Medien, Ingenieuren und einigen Teamchefs - und dann sollte jeder akzeptieren, was diese Gruppe bezüglich des Qualifyings beschließt. Vielleicht sollte es dann auch ein Rennen im Jahr geben, bei dem wir ein neues System probieren. Es ist ja ärgerlich, wenn wir ein Auto bauen, dass mit den Qualifying-Regeln dann nicht mehr in Einklang zu bringen ist, daher würden wir es dann auch ablehnen. Man sollte ein Rennen für solche Experimente offen halten. Das 'Race of Champions' (ein nicht WM-Rennen, das bis in die 80er Jahre hinein stattfand) wäre dafür ideal. Ich möchte Tonys Vorschlag gar nicht einschätzen, auch wenn er interessant ist, aber wir brauchen einen Mechanismus, um herauszufinden, ob etwas gut oder schlecht ist."

"Ein Problem an Tonys Vorschlag könnte aber sein, wenn es eine Progression wird. Wenn wir zwei Rennen à zehn Runde haben, welche die Startaufstellung bilden, dann würde ich ein Auto wie den Renault bauen, der unheimlich gut startet, denn darauf käme es dann an. Man kann natürlich argumentieren, dass die Öffentlichkeit das entscheiden sollte, aber ich denke, dass die Öffentlichkeit nicht immer gut dafür geeignet ist. Es wurde gesagt, wir sollten von der Traktionskontrolle ablassen. Das würde den Rennsport attraktiver machen und für mehr Überholmanöver sorgen, aber das ist so nicht richtig. Wir haben keine Startautomatik mehr, aber nichts hat sich geändert. Ich respektiere die öffentliche Meinung, aber man muss schon verstehen, für was man eigentlich plädiert. Bei zwei Zehn-Runden-Rennen könnte sich die Formel 1 dann so entwickeln, dass das Aufregende an dieser Form wieder verschwindet."

Ungarn 2003 war Ferraris Ansporn

Frage: "Aber die Zuschauerzahlen sind ja gar nicht so schlecht. Muss in der Formel 1 wirklich etwas geändert werden, oder ist es einfach ein Kampf großer Egos?"
Brawn: "Die Sicherheit ist sicher ein Problem. Wir haben ein Sicherheitsproblem, und der Technischen Arbeitsgruppe ist das seit einigen Jahren bewusst. Bisher konnten wir uns untereinander aber nicht einigen. Meistens klappt das, aber in diesem Fall war es schwierig. Die meisten Vorschläge in diesem Jahr kamen von der Technischen Arbeitsgruppe, aber wir hätten früher damit beginnen sollen. Die Autos werden weiter sehr schnell bleiben, aber wir haben bei der Streckensicherheit eine Grenze erreicht. Nun müssen wir einen Schritt zurück machen und neu beginnen."

Frage: "Eine Frage zum Deutschland-Grand-Prix. Wir alle wissen, dass die Ferrarimechaniker sehr effizient sind und dass euer Motor auch sehr Benzin sparend ist. Wenn man aber die Boxenstoppzeiten von Michael Schumacher addiert, so war er langsamster aller Piloten, die drei Stopps einlegten. Warum?"
Brawn: "Da muss man sich anschauen, wie diese Zeiten zustande kommen. Die Zeiten der FIA werden von der Boxeneinfahrt bis zur Boxenausfahrt gemessen. Bei zwei Stopps mussten wir warten, weil andere Autos in der Boxengasse an uns vorbei fuhren. Daher konnten wir das Auto nicht wieder auf die Bahn schicken und warten. Die Zeit sagt also nichts über den Stopp aus. Wenn man mit der Stoppuhr die Zeit des Stopps an sich nimmt, dann sind die Zeiten auch besser. Wir haben das nach dem Rennen auch selbst analysiert."

Frage: "Der Ungarn-Grand-Prix im vergangenen Jahr war für Ferrari eine schwere Niederlage, danach habt ihr aber fast alles gewonnen. War die schlechte Performance 2003 ein Ansporn für euch?"
Brawn: "Das ist bei allen in der Formel 1 so. Jede schlechte Leistung ist ein Ansporn, es besser zu machen. Das kann man immer beobachten. Wenn ein Team mit Ressourcen Probleme hat, dann arbeiten sie noch härter, um die Situation zu lösen. Bei McLaren konnte man das in diesem Jahr beobachten, und wir waren von unserer Leistung im vergangenen Jahr in Ungarn klar enttäuscht. Als ich Michael damals sagte, dass er Platz machen solle, weil Alonso ihn überrundet, da sagte er: 'Du veralberst mich, oder?' Es war schon eine seltene Situation für ihn. Ungarn war sicher eine große Enttäuschung. So was bleibt natürlich hängen, und wir haben viel getan, damit wir in Ungarn konkurrenzfähiger sind. Und wir sind es auch offensichtlich. Wir haben ein besseres Auto und bessere Reifen, gerade die neuen Reifen sind sehr gut hier. Ungarn ist dennoch schwierig, weil sich die Strecke ständig verändert. Was heute ist, muss kein Gradmesser für morgen sein. Aber im vergangenen Jahr hatten wir bereits am Freitag Probleme, die hatten wir nun nicht."