• 11.03.2011 15:14

  • von Stefan Ziegler & Dieter Rencken

Brawn: "In diesem Jahr werden wir mehr Action sehen"

Probieren geht über studieren: Mercedes-Teamchef Ross Brawn erläutert, wie sich die Teams mit den Neuerungen in der Formel 1 auseinander setzen

(Motorsport-Total.com) - In einem Punkt sind sich die Experten einig: Die neuen Pirelli-Reifen werden 2011 eine Schlüsselrolle spielen, wenn die Formel-1-Saison in wenigen Tagen ihren Auftakt nimmt. Mercedes-Teamchef Ross Brawn ist in diesem Zusammenhang fest davon überzeugt, dass die Testfahrten nur die halbe Wahrheit wiedergeben - am Rennwochenende werden die Teams erneut die Schulbank drücken.

Titel-Bild zur News: Nico Rosberg

Nico Rosberg und seine Rivalen werden 2011 oft zum Boxenstopp erwartet

"Ich denke, es gibt reichlich Möglichkeiten, um fatale Entscheidungen zu treffen", gibt Brawn am Rande der Tests im spanischen Barcelona zu Protokoll. "Der Verschleiß der Reifen wird die Formel 1 in vielerlei Hinsicht beleben. Wir müssen natürlich erst einmal schauen, wie sich die Dinge entwickeln, sobald wir Rennen fahren. Wer zuerst in die Box abbiegt, wird zunächst Zeit einen Vorteil haben."

"Man wird in diesem Fall aber mitunter nicht umhin kommen, einen Extrastopp zu absolvieren - sonst sind die Reifen gegen Ende des Rennens hinüber und man wird angreifbar", erläutert der Teamchef der Silberpfeile. "Kommt man dann herein und riskiert, bei einem Boxenstopp viel Zeit zu verlieren, oder bleibt man draußen und hofft, durchzuhalten? Die letzten Runden werden sehr taktisch sein."

"Mit diesem Thema muss man sich sehr genau auseinander setzen. Meiner Meinung nach wird es einige Rennen brauchen, bis wir diesbezüglich Bescheid wissen. Dann werden wir auch eine Ahnung davon haben, wie die Reifen bei heißen Bedingungen funktionieren. Das konnten wir bisher noch nicht in Erfahrung bringen", hält Brawn fest. Mercedes-Sportchef Norbert Haug pflichtet Brawn bei.

Wer zu lange draußen bleibt, verliert

"Wenn man sich Bahrain 2010 in Erinnerung ruft, dann hat man dort andere Strategien gesehen als später in der Saison", sagt Haug und erläutert: "Im ersten Rennen des Jahres will man Punkte holen und versucht daher wahrscheinlich, eher auf der sicheren Seite zu sein, was die Taktik anbelangt. Es kommt aber immer auf das Qualifying an und natürlich auch auf die Geschwindigkeit des Autos."

"Es dürfte deutlich lebhafter am Kommandostand zugehen." Ross Brawn

Zudem ist bei den Testfahrten nur das halbe Starterfeld vertreten - und Rahmenserien sind dort auch nicht unterwegs, wie Brawn zu bedenken gibt. "Es dürfte deutlich lebhafter am Kommandostand zugehen", meint der Mercedes-Teamchef. "Vor ein paar Jahren war das noch anders, denn da gab es Rennen, bei denen man fast eingeschlafen wäre, weil die Reifen so überaus konstant waren."


Fotos: Mercedes, Testfahrten in Barcelona


"Es gab keinen großen Unterschied zwischen alten und neuen Pneus. In diesem Jahr werden wir hingegen deutlich mehr Action sehen", vermutet der ehemalige Technische Direktor von Ferrari und verweist auf die stark nachlassenden Pirelli-Pneus. "Bei diesen Reifen kannst du es dir nicht erlauben, in die Phase einzutauchen, in welcher der Verschleiß ungeheuer hoch ist", erläutert Brawn.

Drei oder vier Stopps? Das ist hier die Frage...

"Zunächst lassen die Pneus zwar linear nach, doch zum Ende ihrer Lebensspanne fällt die Leistung rapide ab. Das will man auf der Strecke eher nicht erleben, denn dabei verliert man sehr viel Zeit. Im Idealfall stellt man sein Auto und seine Fahrer so ein, dass das Paket mit der minimalen Anzahl an Boxenstopps die beste Rennzeit erzielen kann. Drei Reifenwechsel sind wohl an der Tagesordnung."

"Drei Reifenwechsel sind wohl an der Tagesordnung." Ross Brawn

"Wenn man vier Mal an die Box muss, nimmt man die Reifen möglicherweise etwas zu hart ran. Dann wäre es wohl recht schwierig, die Zeit für den zusätzlichen Stopp wettzumachen. Es kommt allerdings immer auch darauf an, mit welcher Strecke wir es zu tun haben. Auf manchen Kursen ist die Stoppzeit schließlich deutlich geringer als auf anderen Pisten. Auch die Umstände spielen eine Rolle."

"Sollte dein Rennplan vier Boxenstopps als schnellste Variante aufzeigen und du der Meinung sein, dass das dafür nötige Tempo drin ist, dann könnten wir durchaus auch Vierstopp-Rennen sehen", sagt Brawn, der mit einer spannenden Experimentierphase rechnet. Schon jetzt sei schließlich ersichtlich, dass einzelne Piloten ihren Spaß mit den neuen Regeln hätten, während andere quengeln würden.

Der Kommandostand ist gefragter denn je

"Es ist recht interessant zu beobachten, welche Fahrer sich mit den Herausforderungen dieser Saison unwohl fühlen und welche sich damit arrangieren können. Die Messlatte in einer Meisterschaft auf allerhöchstem Niveau ist nun eben die Fähigkeit, einige Dinge zur gleichen Zeit zu tun. Jeder Weltmeister ist ein Pilot, der so etwas vollbringen kann", gibt Brawn diesbezüglich zu Protokoll.

"Es gibt eine Balance zwischen dem Fahren des Autos und dem Maximieren des reinen Talents." Ross Brawn

"Es ist einfach ein Teil der Herausforderung der Formel 1. Es gibt eine Balance zwischen dem Fahren des Autos und dem Maximieren des reinen Talents. Auch die Intelligenz und die Kompetenz spielen dabei eine Rolle. Das soll meiner Meinung nach aber auch so sein", erklärt Brawn. "An der Boxenmauer müssen wir schnelle Entscheidungen treffen, wenn sich die Dinge plötzlich verändern."

"Wir müssen den entscheidenden Moment abpassen, um die Boxenstopps einzulegen. Eine Runde hin oder her kann sich auf den Ausgang des Rennens auswirken. Wir werden wohl einen regen Funkverkehr mit den Fahrern haben", meint der Mercedes-Teamchef. Die neue Formel-1-Saison nimmt am 27. März 2011 im australischen Melbourne ihren Auftakt - Bahrain wurde gestrichen.