• 29.01.2008 19:05

  • von Dieter Rencken

Brawn: Arbeitsmoral und Zuversicht

Ross Brawn im Interview zum neuen Honda RA108, seine Formel-1-Pause und Rückkehr, seine Fahrer Button und Barrichello und die Erfolgsformeln im Motorsport

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Ross, wie hast du deine rennfreie Zeit nach Ferrari erlebt und was brachte dich zurück zum Rennsport?"
Ross Brawn: "Ich hatte bei Ferrari wundervolle Jahre, aber auch sehr anstrengende. Ich war sehr froh, eine Pause nehmen zu können. Es dauerte aber auch etwas, mich da anzupassen. Beim ersten Rennen in Australien war ich in Neuseeland, das war ein sehr seltsames Gefühl. Das war das erste Rennen, das ich seit langer Zeit ausgelassen habe. Ich war einmal nicht in Japan dabei (2002; Anm. d. Red.), weil ich Rückenprobleme hatte. Aber ich war mit dem Kommandostand verkabelt und habe praktisch vom Krankenbett in Maranello mit den Fahrern geredet. Ich habe also nicht wirklich gefehlt."

Titel-Bild zur News: Ross Brawn (Teamchef)

Ross Brawn startet mit viel Optimismus in seine neue Aufgabe

"So gegen Jahresmitte begann ich, mir wieder mehr Gedanken über die Formel 1 zu machen. Ich habe dann im Sommer mit Ferrari geredet, um zu sehen, wie es dort läuft. Aber es war schön, ein Jahr Auszeit zu nehmen. Ich bin froh, dass ich es gemacht habe."#w1#

Frage: "Du siehst auch recht entspannt und erholt aus."
Brawn: "Ich musste hart arbeiten, um das Gewicht wieder runterzubekommen. Als der Stress der Formel 1 weg war, legte ich schon etwas zu. Anstatt die Welt zu bereisen, bereiste ich sie nur kulinarisch."

Die Moral bei Honda stimmt

Frage: "Nach einem Jahr, das für Honda nicht gut lief, wie war die Moral, als du hier angekommen bist?"
Brawn: "Sehr ermutigend, das muss ich sagen. Es war ja ein schwieriges Jahr, aber das Team war von der Antwort von Honda ermutigt. Sie haben gesehen, dass Änderungen passierten, speziell beim Management. Schon vor meiner Ankunft wurden wichtige strategische Änderungen gemacht. Die Belegschaft konnte sehen, dass viel unternommen wurde, um die Organisation zu stärken. Ich kam zurück in die Formel 1 zu Honda zu einer Truppe von sehr motivierten Leuten. Ich war von der Eistellung hier sehr angetan."

Frage: "Wie genau sieht die Arbeitsteilung zwischen dir und Nick Fry aus?"
Brawn: "Ich übernehme die gesamte technische Seite. Nick hat die Kommerzielle unter sich. Das passt mir sehr gut und ihm auch. Er ist ja kein Ingenieur und er mag die Marketingsachen, das ist nun seine Aufgabe. Die Arbeitsteilung passt uns also ganz gut."

Frage: "Bei Benetton und Ferrari hat sich deine Arbeit immer um Michael Schumacher gedreht. Wie passt diese Arbeitsweise auf Honda?"
Brawn: "Ich glaube, dass beide Fahrer die Fähigkeit haben, Rennen zu gewinnen. Es lag in der Vergangenheit mehr am Material. Mit Rubens (Barrichello) hatten wir schon mehrere Siege, Rubens wurde auch zweimal hinter Michael Zweiter in der Weltmeisterschaft. Wir sind mit den beiden Fahrern, die wir haben, sehr zufrieden."

Frage: "War es dein Wunsch, dass Alex Wurz als Testfahrer engagiert wurde?"
Brawn: "Das war wohl meine Wahl. Ich habe nie mit Alex gearbeitet, aber einige im Team haben und sie sind von seinen Fähigkeiten sehr angetan. Bei den Verbesserungen, die wir leisten müssen, brauchen wir einen erfahrenen Testfahrer."

Schwierige Änderungen im Formel-1-Umfeld

Frage: "Sollten die Einschränkungen in der Formel 1 hinsichtlich der Anzahl der Windkanäle kommen, wäre dann ein Team wie Honda, das versucht wieder Boden gutzumachen, stärker betroffen als ein Spitzenteam?"
Brawn: "Es ist immer schwierig, eine Linie zu ziehen, wenn man schon bestimmte Leistungsniveaus erreicht hat. Das ist das Problem bei allen Einschränkungen, ob nun technisch oder finanziell. Wir verstehen, dass die Kosten für die Zukunft kontrolliert werden müssen, aber wir hoffen, dass das technisch für kein Team eine Bestrafung sein wird. Vor allem nicht für Teams, die auch in die Position kommen wollen, Rennen zu gewinnen. Darum geht es ja in der Formel 1. Jeder, der nicht gewinnt, möchte gewinnen. Man sollte nicht die beschützen, die gewinnen."

Frage: "Was ist deine Meinung zur Standardelektronik und einem eventuellen Vorteil von McLaren? Und was sagst du den Gerüchten, dass einige Teams es bereits geschafft haben, eine Startautomatik an der ECU vorbei zu entwickeln?"
Brawn: "Das Problem war, dass immer jemand eine Beschuldigung aussprechen konnte und es war schwer, das Gegenteil zu beweisen. Daher wurde die Traktionskontrolle in der Vergangenheit wieder freigegeben. Zu viele haben anderen vorgeworfen, eine Traktionskontrolle zu verwenden. Und von dem, was ich weiß, ist es schon sehr schwierig, das System zu umgehen. Die Systeme sind standardisiert, die FIA hat Zugriff auf die gesamte Software. Es ist nicht so wie früher, als es eine sehr komplexe Software gab. Das war nicht so einfach zu verstehen. Die FIA wird sich alle Autos anschauen und vergleichen. Aber die Gerüchte werden damit nicht aufhören. Sobald jemand besser ist als erwartet, werden die Gerüchte losgehen. Und was McLaren angeht. Vielleicht haben sie einen Vorteil, weil sie das System besser kennen, aber das wird nicht lang Bestand haben. Auch sie müssen sich an das Fehlen der Fahrhilfe gewöhnen."

Frage: "Lässt die Standardelektronik es überhaupt noch zu, dass ihr mit verschiedenen Motoreinstellungen fahrt?"
Brawn: "Ja, man kann mehrere Einstellungen verwenden. Man kann die Zündung beeinflussen, das Gemisch, die Drosselklappen in Bezug auf das Pedal. Das kann man kontrollieren. Man kann aber keine anderen Signale in den Regelkreis einschließen."

Barrichello genießt Brawns Vertrauen

Frage: "Rubens Barrichello wird in Brasilien durchaus als jemand gesehen, der es hätte schaffen können, bisher aber nicht geschafft hat. Warum hast du so ein großes Vertrauen in ihn?"
Brawn: "Bei seiner Zeit bei Ferrari war nicht häufig zu sehen, welchen Beitrag er zur Entwicklung des Autos geleistet hat. Er ist technisch ein sehr scharfsinniger Fahrer. Er hat bei einigen Sachen Dinge gefunden, die Michael (Schumacher) nicht gefunden hat. Das war auch umgedreht so, aber Rubens hat bei Ferrari sehr gut zugehört. Er hatte immer eine wertvolle Meinung zum Auto. Er hatte ein schwieriges Jahr und ich war nicht da, daher kann ich das schwer einschätzen. Aber ich sehe auch nicht, warum er sich in den zwei oder drei Jahren so geändert haben soll. Ich bin zuversichtlich, dass er Erfolg haben wird, wenn wir ihm das Material dazu geben."

Frage: "Das gemeinsame Arbeiten mit Michael Schumacher war für dich ja eine Konstante in den Vorjahren. Wie wird die neue Ära für dich ohne ihn sein?"
Brawn: "Naja, es muss weitergehen. Ferrari hat ja auch ohne Michael und ohne mich Rennen gewonnen. Es wird anders sein, aber ich hatte ein Jahr Pause, um mich an diese Situation anzupassen. Wir beide sind noch immer gute Freunde, waren im Sommer gemeinsam fischen. Aber es geht weiter."

Frage: "Wer hat den größeren Fisch gefangen?"
Brawn: "Er."

Ferrari ohne "besondere" Herausforderung

Frage: "Warum hat es mit Ferrari eigentlich nicht wieder geklappt? Nachdem Jean Todt als Teamchef den Platz geräumt hat, wäre doch Platz für dich gewesen."
Brawn: "Es gibt auch andere Sachen in der Formel 1, bei denen ich mit meiner Meinung beitragen möchte. Ich habe bei Ferrari viele gute Freunde und ich hoffe, dass sie das auch bleiben. Im Sommer gab es einige Gespräche mit Ferrari und dabei gab es ein paar Sachen, die ich attraktiv fand. Aber es wäre etwas Besonderes nötig gewesen, damit ich zurückgehe, denn ich hatte dort eine wundervolle Zeit. Es geht um die Herausforderung und die ist dort nicht mehr so groß. Wir kamen überein, dass es nicht genug gibt, damit ich zurückkomme. Wir bleiben Freunde, werden aber gegeneinander kämpfen."

Frage: "Hast du das Gefühl, dass die Italiener Ferrari wieder übernommen haben?"
Brawn: "Nein, das sehe ich nicht so. Es gibt dort immer noch eine große Mischung an Nationalitäten. Es ist oftmals aber einfach, einen italienischen Ingenieur zu wählen, denn es ist ihr Land, ihre Sprache. Aber am wichtigsten ist immer, die richtige Person zu wählen. Und das ist auch der Fall."

Frage: "Nun bist du Teil des Honda Earthdreams-Projektes. Was denkst du darüber?"
Brawn: "Ich glaube, das ist eine tolle Initiative. Als ich zu Honda kam, habe ich das noch nicht ganz verstanden. Aber nun verstehe ich, was Honda damit sagen möchte. Das ist schon einzigartig, vielleicht verstehen es daher nicht alle. Den Sport zu verwenden, um etwas zu auszudrücken, ist sehr kraftvoll."

Positiver Einstand

Frage: "In der Formel 1 werden noch viele Änderungen kommen. Glaubst du, dass alle Ziele, zum Beispiel beim Benzinverbrauch, realistisch sind?"
Brawn: "Wir dürfen nie vergessen, was die Formel 1 aufregend macht. Es ist ein aufregender Kampf zwischen Ingenieuren und Fahrern. Das ist sehr aufregend und schnell. Wenn man das wegnimmt, dann zerstört man das, worum es in der Formel 1 geht. Aber die Entwicklungsgeschwindigkeit ist sehr hoch. Die Technologie schreitet sehr schnell voran. Im nächsten Jahr kommt die Energierückgewinnung. Solch eine Entwicklung zur durchschreiten, ist für einen Hersteller wie Honda sehr gewinnbringend. Wir wollen für die Zukunft schauen, mit was sich die großen Hersteller identifizieren können. Da kann die Formel 1 eine wichtige Rolle spielen."

Frage: "Was ist dein erster Eindruck der Tests des in Valencia?"
Brawn: "Es ist schwierig zu wissen, was man erwarten soll, denn dieses Auto wurde aus Teilen zusammengesetzt, die nie im Windkanal waren. Wir mussten im vergangenen November einen Zeitpunkt auswählen, zu dem die Teile eingefroren wurden. Das war eine Mischung aus Flügeln und Teilen, die wir so nicht kannten. Für Barcelona haben wir einige Teile und danach werden wir Teile haben, die auch im Windkanal waren. Aber aus Valencia kann man nichts herauslesen. Ermutigend war, dass das Auto stabiler aussah als das alte. Das alte Auto hatte recht gute Abtriebswerte, war aber sehr sensibel zu fahren. Dieses Auto wiederum sah sehr stabil aus. Die ersten Anzeichen sind gut, aber wir müssen erst noch das Aerodynamikpaket einführen, dann sehen wir halbwegs genaue Rundenzeiten."

Frage: "Ist das Potenzial für aerodynamische Entwicklungen nun größer?"
Brawn: "Die meisten Entwicklungen aus diesem Jahr werden für 2009 verloren sein. Da die Aerodynamikregeln 2009 so anders sein werden, müssen die Teams auch früher Ressourcen in die Entwicklung stecken. Wir müssen sehen, wo wir am Saisonstart stehen, und dann über ein Programm entscheiden. Es ist schwierig vorherzusagen, wie sich die Balance geben wird. Es mag Dinge geben, die wir für 2009 schon mit diesem Auto lernen wollen. Die Charakteristik der Aufhängungen wird weiter wichtig sein, auch wenn die Reifen anders sind. Es wird Dinge geben, die schon für 2009 relevant sind. Aber das Aerodynamikpaket ist einzigartig. Es gibt Pläne, mehrere Upgrades im Jahr zu bringen. Das Erste ist ungefähr für Barcelona angedacht. Dann wird es alle drei oder vier Rennen weitergehen. Wir müssen auf die Zukunft schauen und sicherstellen, dass 2009 ein gutes Barometer für die Zukunft wird."

Nur Konstruktives bei Honda

Frage: "Gibt es von Honda hinsichtlich der Ergebnisse Druck?"
Brawn: "Solange es ein sinnvolles Argument gibt, werden sie die richtige Strategie für die Zukunft unterstützen. Sie sind nicht an kurzfristigen Lösungen interessiert, die das Gesichten wahren. Honda ist ein starkes Unternehmen und sie sind klar enttäuscht über das, was 2007 passiert ist. Sie wollen 2008 einen Fortschritt sehen. Aber sie sollen auch einen schrittweisen Fortschritt, das Team soll in die richtige Richtung gehen. Es gibt keine Frist. Wir ändern Dinge und wenn sie einen Fortschritt in den nächsten Jahren sehen, sind sie zufrieden."

Frage: "Hattest du einen Einfluss auf das neue Auto?"
Brawn: "Ich hatte keinen großen Einfluss auf das Auto. Vielleicht habe ich die Prioritäten des Entwicklungsprogramms geändert. Im Laufe des Jahres gibt es einige Entwicklungsprogramme, auf die ich besonders achten werde. Aber auf dieses Auto hatte ich nur wenig Einfluss. Aber als ich ankam und die Ingenieure mir gezeigt haben, wie sie das Auto angegangen sind, dann war das eine intelligente Antwort auf die Probleme des Vorjahres."

"Sie haben erkannt, dass die Fahrzeughöhe und die Aerodynamikleistung ziemlich instabil waren. Ich war lange nicht so tief in der Windkanalarbeit drin, aber ich weiß, welche Eigenschaften ein gutes Formel-1-Auto braucht. Wir versuchen nun, eine stabile aerodynamische Basis zu kreieren. Über die nächsten Jahre ist es eine meiner Prioritäten, die Arbeitsmethoden und -philosophien parat zu haben. Das Team konzentriert sich klar auf die Aerodynamikleistung, denn das war der Schwachpunkt des 2007er Autos, aber man darf auch die anderen Bereiche nicht aus dem Auge verlieren. Wir müssen sicherstellen, dass wir auch auf den anderen Gebieten alle Anstrengungen übernehmen."

Frage: "Wie schätzt du eure Fahrer ein?"
Brawn: "Ich kenne nur Rubens, und er hätte zweimal Weltmeister werden können, wenn Michael Schumacher nicht da gewesen wäre. Jenson (Button) habe ich nur aus der Ferne beobachtet, aber ich war immer sehr beeindruckt. Seine Leistungen 2007 waren unter sehr schwierigen Bedingungen außergewöhnlich. Er hatte einige tolle Rennen im Mittelfeld. Wir haben zwei sehr gute Fahrer."

Die wichtige Arbeitsmoral

Frage: "Was würde nötig sein, damit Honda aus Button wieder einen Rennsieger macht?"
Brawn: "Nur das Material. Wir müssen ihm das richtige Auto geben, denn er hat seine Zuversicht und Entschlossenheit behalten. Seine Vorbereitungen auf die Saison waren so gut wie bei jedem anderen Fahrer. Es liegt also nur am Auto, dann wird er wieder Rennen gewinnen."

Frage: "Kannst du ihm etwas beibringen, was du von Michael Schumacher gelernt hast?"
Brawn: "Womit ich Jenson helfen kann, ist hoffentlich die technische Seite der Arbeitsweise. Ich bin kein Experte darin, das Auto zu fahren. Aber ich kann ihm helfen, effektiv mit den Ingenieuren zu arbeiten und herausfinden, wie er alles aus dem Auto herausholt. Eines, was ich von Michael lernte, ist die Arbeitsmoral. Rubens hat das auch sehr gut gelernt und ich bin sicher auch bei Jenson ist das so."

"Die Arbeitsmoral ist in der Formel 1 sehr wichtig, man kann sehr viel verpassen, wenn man früh vom Training weggeht und nicht mit den Ingenieuren redet und nicht fleißig mit allen arbeitet. Ich glaube aber nicht, dass es Jenson daran mangelt, ich habe noch nicht mit ihm gearbeitet. Ich möchte ihn also gar nicht kritisieren. Aber wir ich Jenson helfen kann? Ihm ein gutes Auto geben und ich möchte sehen, wie er mit dem Team arbeitet."

Frage: "Wirst du auch wieder an der Boxenmauer für die Strategie verantwortlich sein?"
Brawn: "Wir entwerfen eine Struktur, bei der ich nicht direkt involviert bin, aber genau Bescheid weiß. Das betrifft dann den schmalen Grat, Leuten eine Verantwortung zu geben und nicht im Nachhinein noch einzugreifen. In einem Rennen ist das zum Teil schwierig. Das würde mir auch die Freiheit geben, andere Sachen zu machen. Wenn es geht, würde ich gern andere ermutigen, das zu tun. Aber ich liebe den Rennsport und habe viel Erfahrung. Es wird sich also entwickeln, wo ich eingebunden sein werde."