• 01.08.2010 13:43

  • von David Pergler

Ärger aus der Heimat für Massa

Die stolzen Brasilianer sahen sich nach Hockenheim in ihrer Ehre verletzt und beschuldigen den "Verräter" Massa - Domenicali beharrt auf seiner Sichtweise

(Motorsport-Total.com) - Vor einem Jahr wurde Felipe Massa von einem losen Aufhängungsteil am Helm getroffen und musste für den Rest der Saison pausieren. Vielerorts fragte man sich, ob sich der schnelle Brasilianer je wieder von diesem Vorfall erholen könnte, er wäre nicht der erste Rennfahrer, der nach einer schweren Verletzung viel von seinem Biss verloren hätte.

Titel-Bild zur News: Fernando Alonso

Ferrari beschert der Formel 1 ihren jährlichen Skandal

Dazu muss er sich nun mit einem bärenstarken Fernando Alonso auseinandersetzen, dem nicht gerade der Ruf eines angenehmen Teamkollegen anhaftet. All das hatte Massa in Hockenheim locker weggesteckt, bis die 49. Runde kam. Der verlorene Sieg und die Erniedrigung durch die Stallregie ist eines, aber nun muss sich der Ferrari-Pilot auch noch mit Beschimpfungen aus der brasilianischen Presse auseinandersetzen, die Massa Verrat an seinem Heimatland vorwerfen.#w1#

Das weckt ein wenig Erinnerungen an Rubens Barrichello, der seit der unrühmlichen Zeltweg-Affäre auch nie mehr hoch in der Gunst seiner Landsleute stand. Für Martin Brundle ist das daher besonders bitter, wie er gegenüber der 'Sunday Times' erklärt: "Er könnte sich nie mehr davon erholen, seinem Teamkollegen den Sieg überlassen haben zu müssen. Wieder daheim wurde er beschuldigt, Brasilien verraten zu haben und auch die Fragen der Medien nach dem Thema 'Stallregie' waren unerbittlich. Er tut mir so leid. Er ist dazu gezwungen worden und hat einen verdienten Sieg verloren."

Der Auffruhr der stolzen Sportnation Brasilien, die scheinbar vergessen hat, dass Massa in China 2008 auch von Stallregie profitiert hat, ist auch zu Bernie Ecclestone vorgedrungen: "Davon habe ich schon gehört. Aber auch wenn es Teamorder war, konnte er nichts machen. Er hat Teamanweisungen befolgt und das sollten die Leute honorieren", erläuterte der Formel-1-Boss gegenüber der brasilianischen 'O Estado de Sao Paulo' und stellt sich damit auf Massas Seite. Ferrari sollte aber seiner Meinung nach seine aktuelle Politik beibehalten, denn das wäre zumindest konsequent.

Brundle hofft auf Milde für Ferrari vor dem FIA-Weltrat

Martin Brundle ist nicht glücklich mit Ferraris Stallregie Zoom

Doch nicht nur für Massa war es ein unangenehmer Tag, auch die übrigen Teammitglieder waren sichtlich nicht hundertprozentig glücklich mit der Situation: "Es war nicht schön anzusehen, wie sich die Ferrari-Teammitglieder, die ich respektiere, davor gedrückt haben, die Wahrheit zu sagen, nachdem sie gegen eine klare Regel verstoßen haben", führt Brundle weiter aus.

"Einerseits halte ich das komplette Teamorder-Debakel für irrational, andererseits kann ich verstehen, dass die Fans toben, weil sie das Gefühl haben, eines echten Rennens beraubt worden zu sein. Die Teams müssen mit zwei Wagen operieren, es kann aber nur einen Weltmeister geben." Die Situation mit dem legendären Stallorderskandal am A1-Ring vor einigen Jahren hält er mit dem diesjährigen Vorfall aber für nicht vergleichbar.

"Was in Österreich 2002 passiert ist, wurde verständlicherweise als unakzeptabler aufgefasst, als Barrichello Schumacher passieren lassen musste, obwohl Schumacher doppelt so viele Punkte Vorsprung auf seine nächsten Rivalen hatte. Vergangene Woche war für Ferrari ein entscheidender Punkt, um ihre schwierige Saison noch zu reparieren, wenn sie sich noch Hoffnungen auf die Meisterschaft machen wollen."

Daher hofft Brundle auf Milde für Ferrari bei der Verhandlung vor dem FIA-Weltrat. "Es wird spannend sein, zu beobachten, was vor dem FIA-Weltrat passieren wird", fährt Brundle fort. "Ich hoffe, der Weltrat wird sich nicht dazu entschließen, das Rennergebnis nachträglich noch zu korrigieren." Ganz ungeschoren dürfte die Scuderia aber nicht davon kommen, denn Regeln bleiben einmal aufgestellt nun mal Regeln, egal wie diskussionswürdig und sinnlos sie sein mögen.

Auch für Profiteur Fernando Alonso sieht der ehemalige Benetton-Teamkollege von Michael Schumacher keine Konsequenzen: "Die Ironie an der Geschichte ist, dass Fernando Alonso alias 'Teflonso , der stets im Mittelpunkt jeder Kontroverse der vergangenen paar Jahre zu stehen schien und in Deutschland einige Extra-Punkte geholt hat, nichts falsch gemacht hat. Er hat ein langsames Auto überholt, auch wenn er sich dafür eingesetzt haben sollte, dass das so passiert."

Ferrari hofft auf Abschaffung der Regel

Ferrari-Führungstrio

Die Mutter aller Stallregien - Rubens Barrichello und Michael Schumacher Zoom

Ferrari fühlt sich trotz der ganzen Kontroverse weiterhin keiner Schuld bewusst: "Formel-1-Rennen sind Teamsport, bei dem das Team als Einheit arbeiten und das beste Resultat erzielen muss", beharrt Teamchef Stefano Domenicali gegebüber 'Welt Online'. "Das sollte man auch der Öffentlichkeit deutlich sagen, statt künstlich eine Regel hochzuhalten, die die Realität nicht reflektiert."

"Alle Beteiligten sollten in der Sache ehrlicher sein, statt sich etwas einzureden, was in der Praxis nicht funktioniert und auch nicht existiert. Wenn man so verfährt wie im Moment, verfehlt man die Realität. Das ist wie beim überzogenen Testverbot, das eine kontraproduktive Wirkung hat und somit wenig Sinn macht, weil es keine Kostenersparnis bringt und weniger Effizienz zur Folge hat."

"Das Verbot der Stallregie ist für mich genau so eine Überreaktion, damals auf die Ereignisse beim Rennen in Österreich 2002, aber es berücksichtig die Gesetzmäßigkeiten des Grand-Prix-Sports halt nicht." Ob das Thema Stallorder den Höhepunkt der alljährlichen "Formel Skandal" darstellt, bleibt abzuwarten, ausgestanden ist für Ferrari die Situation aber noch lange nicht.