1998: Ein Großbritannien-Grand-Prix für die Ewigkeit
Regenchaos und Regelkontroverse in Silverstone: Michael Schumachers legendärer Sieg in der Boxengasse beim britischen Grand Prix 1998
(Motorsport-Total.com) - Michael Schumacher war im Laufe seiner langen und erfolgreichen Formel-1-Karriere mehr als einmal in kontroverse Situationen verwickelt. Man erinnere sich an den Rammstoß gegen Jacques Villeneuve beim WM-Finale 1997 oder seine Park-Aktion im Qualifying von Monaco 2006. Doch 1998 sorgte beim Großbritannien-Grand-Prix das Verhalten der Rennkommissare für den wohl kuriosesten Sieg in der Laufbahn des siebenmaligen Weltmeisters, denn Schumacher gewann das Rennen in der Boxengasse.
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Sieg in der Boxengasse: Michael Schumachers wohl kuriosester Erfolg Zoom
Es war das bizarre Ende eines turbulenten Regenrennens, bei dem Mika Häkkinen lange Zeit wie der sichere Sieger aussah. Doch ein Dreher, eine Safety-Car-Phase und das besagte Verhalten der Rennkommissare sorgten dafür, dass der Finne am Ende mit dem zweiten Platz vorliebnehmen musste.
Das Unheil für nahm für Häkkinen in Runde 42 von 60 seinen Lauf. Nachdem sich sein McLaren-Teamkollege David Coulthard bei immer stärker werdendem Regen auf abgefahrenen Intermediates von der Strecke gedreht hatte, führt Häkkinen das Rennen mit 49 Sekunden Vorsprung vor Schumacher an.
Häkkinen gleitet der Sieg aus den Händen
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Silverstone 1998: Start in ein geschichtsträchtiges Formel-1-Rennen Zoom
Doch dann wurden auch ihm die immer schwieriger werdenden Verhältnisse zum Verhängnis. Häkkinen drehte sich in der schnellen Bridge-Kurve und trudelte wild über Rasen und Kiesbett im Infield, schnitt die Priory-Kurve ab, ehe er in Luffield wieder auf die Strecke zurückkam. Häkkinen hatte dabei Glück im Unglück und verlor nur etwa zehn Sekunden seines gewaltigen Vorsprungs. An der McLaren-Box atmete man auf - aber nur kurz.
Denn der Regen wurde immer stärker, und nachdem sich innerhalb kurzer Zeit mehrere Fahrer von der Strecke gedreht hatten, wurde es der Rennleitung zu bunt und sie schickte das Safety-Car heraus. Damit war Häkkinens schöner Vorsprung beim Teufel, er und Schumacher waren plötzlich nur noch durch den überrundeten Giancarlo Fisichella voneinander getrennt.
An dem ging Schumacher nach dem Neustart in Runde 49 rasch vorbei, und kurz darauf war auch Häkkinen fällig. Bei nun nachlassendem Regen schlug Schumachers große Stunde, pro Runde fuhr er mehrere Sekunden schneller als Häkkinen und zog auf über 20 Sekunden davon. Doch dann drohte dem Deutschen Ungemach.
Strafstopp nach Rennende
Die Rennkommissare verhängten eine 10-Sekunden-Strafe gegen Schumacher, weil er während der Safety-Car-Phase verbotenerweise Alexander Wurz überholt hatte. Darüber wurde das Team kurz vor Rennende informiert. Allerdings ging aus der handschriftlich verfassten Entscheidung der Rennleitung nicht hervor, ob damit eine Stopp-and-go-Strafe oder um eine Zeitstrafe handelt, die am Ende auf die Rennzeit addiert würde.
Dabei war das Regelwerk zu diesem Zeitpunkt klar: Überholen hinter dem Safety-Car wird mit einer 10-Sekunden-Stopp-and-go-Strafe geahndet. Dieses Wissen im Hinterkopf, holte Ferrari Schumacher wie vorgeschrieben innerhalb von drei Runden an die Box. Allerdings war der 60. Umlauf, an dessen Ende Schumacher hereinfuhr, die letzte Runde des Rennens - und die Start-Ziel-Linie befand sich vor der Box von Ferrari.
Schumacher beendete das Rennen in der Boxengasse, saß anschließend brav die zehn Sekunden bei seinem Team ab und ging dann auf die Auslaufrunde. Doch damit fingen die Diskussionen erst an. McLaren protestierte gegen diesen Trick von Ferrari. Schumacher habe seine Stopp-and-go-Strafe nicht während des Rennens angetreten, daher sei diese in eine Zeitstrafe von 25 umzuwandeln. Da Schumacher 22,4 Sekunden vor Häkkinen über die Ziellinie gefahren war, wäre der Sieg an den Finnen gefallen.
McLaren protestiert, Ferrari argumentiert
Ferrari hatte jedoch gute Argumente gegen den Protest von McLaren, und brachte diese auch vor: Zum einen sah das Reglement die Möglichkeit, eine 10-Sekunden-Stopp-and-go-Strafe in einer Zeitstrafe von 25 Sekunden umzuwandeln, nur für Vergehen vor, die sich in den letzten zwölf Runden des Rennens ereignen. Das war bei Schumacher nicht der Fall.
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Michael Schumacher jubelt, Mika Häkkinen kann es nicht fassen Zoom
Zudem argumentierte Ferrari, die Rennkommissare hätten sich mit ihrer Entscheidung zu viel Zeit gelassen. Damals war vorgeschrieben, dass innerhalb von 25 Minuten, nachdem sich ein Zwischenfall ereignet hat, ein Urteil gefällt werden muss. Dieses Limit hatten die Rennkommissare zwar mit 24 Minuten so gerade eingehalten, allerdings dauerte es weitere sieben Minuten, bis die Entscheidung an das Team übermittelt wurde.
Doch vor allem einem Argument konnte sich der Automobil-Weltverband FIA bei der Berufungsverhandlung nicht verschließen: Der Tatsache, dass die Entscheidung dem Team auf einem handschriftlich erstellten Zettel mitgeteilt wurde, aus dem nicht hervorging, ob eine Zeitstrafe oder eine Stopp-and-go-Strafe gemeint ist. Daher wurde entschieden: Im Zweifel für den Angeklagten. Schumachers Rennzeit werden zehn Sekunden aufgeschlagen, und er behält den Sieg.
Rennkommissare stehen blamiert da
Dieses Urteil blieb nicht ohne Folgen. Die verantwortlichen Rennkommissare Nazir Hoosein, Roger Peart und Howard Lapsley nahmen sie Schuld für den Vorfall auf sich und gaben bei einer außerordentlichen Sitzung des Motorsport-Weltrates der FIA ihre Lizenzen zurück. Zudem wurden die Vorgaben, wie eine Meldung des Rennleiters an die Teams auszusehen hat, überarbeitet.
Und nicht zuletzt wurde festgelegt, dass eine nicht abgeleistete Stopp-and-go-Strafe, unabhängig vom Zeitpunkt des Vergehens, grundsätzlich in eine Zeitstrafe von 25 Sekunden umgewandelt wird. Schumachers Sieg in der Boxengasse bleibt damit ein kurioser Einzelfall in der Geschichte der Formel 1.