• 18.08.2015 08:16

  • von Roman Wittemeier

1991: Ein Belgien-Grand-Prix für die Ewigkeit

Der Startschuss einer unvergleichlichen Formel-1-Karriere: Michael Schumacher mischt die Szene in Spa 1991 auf - Dreiste Lüge des Managers öffnet die Jordan-Tür

(Motorsport-Total.com) - Vor 24 Jahren wurde im Rahmen des Grand Prix von Belgien in Spa-Francorchamps ein Stück Geschichte geschrieben - dabei hatte es im August 1991 noch niemand der Anwesenden ahnen können. Michael Schumacher bestritt unter schwierigen und teils kuriosen Umständen sein allererstes Grand-Prix-Wochenende, beeindruckte dabei nachhaltig und startete damit in eine unvergleichliche Formel-1-Karriere, die ihm den Rekordwert von sieben Fahrertiteln bescheren sollte.

Titel-Bild zur News: Michael Schumacher

Neuer Stern am Formel-1-Himmel: Michael Schumacher 1991 in Spa im Jordan 191 Zoom

Der damals 22-jährige Nachwuchspilot aus Kerpen kam kurzfristig ins Team von Eddie Jordan. Er überzeugte am Steuer des Jordan 191 in der berühmten 7up-Lackierung in den Trainings und sorgte im Qualifying für eine regelrechte Sensation. In 1:51.212 Minuten fuhr Schumacher die achtschnellste Zeit, stieg in der Startaufstellung wegen einer Strafversetzung von Riccardo Patrese (Williams) sogar noch einen Rang auf. Im Rennen war nach wenigen Metern Schluss: Kupplungsschaden. Aber der Reihe nach...

Schumacher hatte sich bis zum August 1991 in den Nachwuchsklassen einen guten Namen erworben, sodass er die Mercedes-Förderung genoss und an der Seite von Karl Wendlinger und Heinz-Harald Frentzen als Mitglied des Juniorkaders der Stuttgarter in der Sportwagen-WM fahren durfte. Der eifrige Manager Willi Weber wollte seinen Schützling über den Umweg Formel 3000 zur Saison 1992 in die Formel 1 bringen, doch dann ergab sich eine ungeahnte Gelegenheit.

Gachot im Gefängnis, Schumacher im Jordan

Gary Anderson

Damals bei Test und Renneinsatz ganz nahe dran: Formel-1-Designer Gary Anderson Zoom

Ausgerechnet vor seinem Heimspiel in Spa-Francorchamps widerfuhr dem damaligen Jordan-Pilot Bertrand Gachot erhebliches Ungemach. Der Belgier wurde wegen einer angeblichen Reizgas-Attacke auf einen Taxifahrer kurzerhand ins Gefängnis gesteckt. Alle Appelle von Fahrerkollegen, die mit T-Shirts mit dem Aufdruck "Lasst Gachot frei" auftraten, halfen nichts: Jordan brauchte kurzfristigen Ersatz für den Stammfahrer.

Während sich Teammanager Trevor Foster und Designer Gary Anderson für den jungen Schumacher stark machten, hatte der Teamchef andere im Sinn. Eddie Jordan wollte Keke Rosberg reaktivieren, aber der Finne forderte ebenso ein gutes Gehalt wie die Alternativen Stefan Johansson und Derek Warwick. Ständige Anrufe von Schumacher-Manager Weber ließen Jordan schließlich doch aufhorchen. Der irische Teamchef wollte jedoch sichergehen. Hat Schumacher überhaupt Erfahrung mit der wilden Bahn in Spa?


Fotostrecke: Triumphe & Tragödien in Belgien

"Ich habe ihm gesagt: 'Ich denke, er ist schon hundert Mal dort gefahren'. Das war eine Lüge. Michael war noch nie zuvor in Spa gefahren", berichtet Weber später von der Anbahnung des Deals. Dank einer Bürgschaft von Mercedes wurde der Traum wahr: Der Kerpener durfte in Silverstone testen. "Ich stand an der Leitplanke und habe ihn beobachtet: Er hat sofort Vollgas gegeben", sagt Mark Gallagher. Der spätere Cosworth-Boss war damals im Team von Eddie Jordan.

Der erste Formel-1-Test in Silverstone

Michael Schumacher Spa 1991

Weil de Cesaris nicht mitspielte: Michael Schumacher erkundete Spa auf dem Rad Zoom

"Bei der Ausfahrt der Südschleife in Silverstone gab es eine Art Schikane aus Leitplanken. Er kam dorthin, verlor das Auto und wir alle dachten, dass er einschlagen wird. Er brachte den Wagen aber im Rallyestil um die Ecken. Das war beeindruckend", erklärt Gallagher. "Er sollte zuerst nur Shakedownrunden fahren, blieb aber für sieben Runden draußen. Er war nur zu stoppen, indem jemand winkend auf die Strecke ging. Er hatte so unendlich viel Spaß im Auto, war sofort nur um wenige Zehntel langsamer als die Schnellsten auf der Südschleife."

Die sportlichen Voraussetzungen für einen erfolgreichen Start in der Formel 1 waren somit gegeben. Nun ging es noch einmal um Geld. Mit einer weiteren Zusage von Mercedes gab sich Eddie Jordan zufrieden. Michael Schumacher wurde für den Grand Prix von Belgien 1991 neuer Teamkollege des erfahrenen Andrea de Cesaris. Dem Italiener schmeckte das so gar nicht. Der Bitte, den Neuling im Straßenfahrzeug eine Runde lang in Spa mitzunehmen, um Brems- und Schaltpunkte zu zeigen, kam er schlichtweg nicht nach.

Schumacher, der sich für das Spa-Wochenende in einer Art Jugendherberge einquartiert hatte, holte aus dem Kofferraum seines Autos ein Fahrrad. Auf diesem Drahtesel erkundete er die "Ardennen-Achterbahn", nahm Tuchfühlung zu einer Strecke auf, die im Verlauf der weiteren Karriere (unter anderem erster Sieg 1992) eine solch besondere Rolle spielen sollte. Die kleine Radtour über zwei Runden in Spa lohnte sich.


Fotostrecke: Fahrer über Spa: Die geilsten Kurven der F1

Im Training am Freitag legte Schumacher sofort los wie die Feuerwehr. Auf einer Strecke, die er nie zuvor mit einem Rennwagen befahren hatte, setzte er sich im Jordan 191 auf Rang acht. Am Folgetag die Qualifikation: Wieder Rang acht, fast acht Zehntelsekunden schneller als der Teamkollege. "Das war bemerkenswert", sagt Gallagher. "De Cesaris war kein Nasenbohrer. Dass Michael einfach mal daherkam und solch eine Leistung zeigte, war unfassbar." Gespannt blickte die Formel 1 auf den Renntag.

Aus der Traum: Die Kupplung streikt in erster Runde

"Ich war entspannt und ganz ruhig. Ich weiß selbst nicht, warum", erklärt Schumacher seine Emotionen bei der Fahrt in die Startaufstellung zum ersten Formel-1-Grand-Prix-Einsatz später. "Es lief einfach alles so gut." Zumindest bis zum frühen Nachmittag des 25. August 1991, als der Jordan 191 bei den Vorbereitungen auf den Start keinerlei Gebrechen zeigte. Als die Meute schließlich losgelassen wurde, schoss sich Schumacher sofort vorbei an Jean Alesi (Ferrari) und Nelson Piquet (Benetton): Rang fünf!

Beim Anbremsen der La Source blockieren die Räder am Jordan, Schumacher betätigt die Kupplung erneut, um das Auto zu fangen. Das war für das Bauteil zu viel. Die Kupplung versagte den Dienst, Schumacher rollte in seinem ersten Formel-1-Rennen enttäuscht nach wenigen Metern aus. Wegen zahlreicher Pannen und Schäden an den Autos der Topfahrer konnte Jordan-Teamkollege de Cesaris phasenweise auf Rang zwei Fahren. Man mag sich ausmalen, was für Schumacher möglich gewesen wäre...


Saisonbilanz 1991: Michael Schumacher berichtet

Nachdem der damals noch recht junge Jean Alesi seinen ersehnten ersten Grand-Prix-Sieg verlor, als der kreischende Ferrari-V12 sein Leben in Führung liegend aushauchte, konnten Ayrton Senna und Gerhard Berger einen Doppelerfolg für McLaren-Honda einfahren. Auf Rang drei folgte Nelson Piquet, der fortan für den Rest der Saison 1991 Schumachers Teamkollege bei Benetton sein sollte, weil sich die Italiener von Roberto Moreno (4.) trennten und den Jungstar aus Deutschland unter Vertrag nahmen.

"Dort hat alles begonnen, dort sind so viele besondere Dinge für mich passiert. Spa ist zu meinem Wohnzimmer geworden", so Schumacher nach seiner Mercedes-Rückkehr 2010. Im Jahr 1991, nach dem kurzen, aber erfolgreichen ersten Grand-Prix-Auftritt in Spa, hatte er den Jordan-Leuten mit auf den Weg gegeben: "Ich habe einen jüngeren Bruder, der noch schneller ist." Jener Ralf Schumacher war es, der 1998 gemeinsam mit Damon Hill einen Doppelerfolg für Jordan einfahren konnte. Wo? Natürlich in Spa-Francorchamps.