Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Martin Tomczyk (Abt)

Das nächste bittere DTM-Wochenende für Abt nach dem Lamborghini-Wechsel: Wieso "massiv Druck auf dem Kessel" ist und man die Aufgabe unterschätzt hat

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Titel-Bild zur News: Martin Tomczyk

Nordscheifen-Einsatz: Der Blick zur DTM sorgte bei Martin Tomczyk für Sorgenfalten Zoom

Martin Tomczyk kann nach dem Lausitzring-Wochenende der DTM nicht gut geschlafen haben. Und das, obwohl der Abt-Sportdirektor nicht mal vor Ort war. Denn durch die Qualifyers-Generalprobe für das wichtige 24h-Rennen auf der Nürburgring-Nordschleife wurde der Ex-DTM-Champion durch seinen Chef, Geschäftsführer Thomas Biermaier, vertreten.

Aus der Ferne musste er untätig zusehen, wie seine Truppe nach dem Lamborghini-Markenwechsel ein weiteres Mal weit hinter den Erwartungen zurückblieb: Ein sechster Platz am Sonntag durch den amtierenden Champion Mirko Bortolotti ist nach einem Viertel der Saison das beste Ergebnis.

Das ist viel zu wenig! Zumal Tomczyk selbst vor der Saison die Ansage machte, "wir möchten mit unseren neuen Autos und Fahrern von Anfang an um Siege fahren und um den Titel kämpfen". Beim Auftakt bekam man aber vom Lamborghini-Traditionsteam Grasser Racing, das mit Jordan Pepper als DTM-Leader abreiste, eine ordentliche Abreibung - und einen Reality-Check - verpasst.

"Bei Abt ist aktuell massiv Druck auf dem Kessel"

In der Lausitz sollte die Lücke geschlossen werden und die Abt-Antwort folgen. Doch in den in der DTM so wichtigen Qualifyings kam Bortolotti auf die Plätze 14 und 20! Nicki Thiim war mit den Positionen 17 und 18 nicht besser. Klar, am Samstag war der Lamborghini ungünstig eingestuft, was Biermaier zu einer deutlichen BoP-Kritik vernlasste, aber am Sonntag verzockte sich Abt beim Set-up.

Mirko Bortolotti, Thierry Vermeulen

Auch kein Rennglück: Bortolotti wurde von Vermeulen am Samstag abgeräumt Zoom

Auch wenn Bortolotti am Samstag auf dem Niveau der Markenrivalen war, stellte Abt in keinem Qualifying den schnellsten Huracan. Und das mit einem Bortolotti im Cockpit, der - da sind sich alle im Fahrerlager einig - gerade auf eine Runde eine Macht ist. Das sollte den Verantwortlichen zu denken geben.

"Man merkt schon: Bei Abt ist aktuell massiv Druck auf dem Kessel! Die haben sich das anders vorgestellt", sagt mir ein Abt-Kenner nach dem Lausitzring-Wochenende. Und von einem DTM-Topteam hört man: "Die haben den Markenwechsel vom Audi auf Lamborghini ordentlich unterschätzt!"

Viel zu wenig Erfahrung mit dem Lamborghini

Da ist was dran. Denn während zum Beispiel das HRT-Team nach dem Ford-Mustang-Markenwechsel im Winter über 20 Testtage absolvierte, war Abt neben dem offiziellen Test in Oschersleben vor der Saison gerade mal Ende März zwei Tage in Misano testen, obwohl auch beide Fahrer neu sind.

Und Tomczyk sagt, dass noch unklar ist, ob man die vier Testtage während der Saison überhaupt komplett nutzt. Das sorgt im Fahrerlager für Verwunderung. Denn Teams wie Grasser oder auch das Familienteam Paul Motorsport, das mit Maximilian Paul in allen vier Qualifyings Abt-Pilot Thiim besiegte, sind auch in der GT-World-Challenge Europe am Start und profitieren auch dabei von den Erfahrungen.

Abt setzt den Huracan zwar auch schon seit zwei Jahren auf der Nordschleife ein, doch aus den Erfahrungswerten lässt sich wegen anderer Reifen und Einstellungen fast nichts ableiten.

Profitiert man von "Raketen-BoP" auf der Nordschleife?

Warum Abt dort konkurrenzfähig ist? Im Fahrerlager hört man von einer "Raketen-BoP", weil Abt auf der Nordschleife das einzige siegfähige Team mit dem Lamborghini ist. Der Huracan darf im Vergleich zur DTM mit über 20 Kilogramm weniger Gewicht und einem um 1,5 Millimeter größeren Restriktor eingesetzt werden, während die Konkurrenz ungünstiger eingestuft wird als in der Traditionsserie.

Thomas Biermaier

Schwierige Vertretung: Biermaier leitete den DTM-Einsatz, weil Tomczyk fehlte Zoom

Aber wie konnte es dazu kommen, dass man die Aufgabe unterschätzt hat? Abt versteht sich selbst als absolutes Topteam und war mit dem Audi R8 LMS GT3 meist deutlich stärker als die Konkurrenz von Rosberg. Doch im Jahr 2021, als die DTM das GT3-Reglement einführte und auch Rosberg den R8 nicht kannte, war noch ein Florian Modlinger, der heute für die Porsche-Erfolge in der Formel E verantwortlich zeichnet, Technikchef der Truppe.

Er gilt als einer der wenigen Ingenieure, die ein Verständnis des Gesamtfahrzeugs haben - und es ist gut möglich, dass man von seinem Know-how bei der Set-up-Arbeit jahrelang profitierte. Seitdem haben sich die Zeiten deutlich geändert: Abt ist kein Werksteam mehr, ist finanziell anders aufgestellt als in Class-1-Zeiten.

Wieso hat Abt nach SSR-Auflösung nicht zugeschlagen?

Dennoch hätte man zugreifen müssen, als sich das Meisterteam SSR im Vorjahr im Vorjahr aufgelöst hat und zumindest Lamborghini-erfahrene Ingenieure auf dem Markt waren. Doch ein David Grabengießer, der im Vorjahr Bortolotti als Renningenieur zum Titel führte, arbeitet heute bei Grasser, Performance-Ingenieur Tom Schuster bei Paul Motorsport.

Abt hat sich zwar mit Franco Chiocchetti verstärkt, der früher bei Abt in der Hersteller-DTM Renningenieur war und dann das Formel-E-Projekt von Mercedes-AMG aufbaute, doch der Südafrikaner muss sich auch erst an die GT3-Strukturen gewöhnen. "Im Vergleich zum Werkssport ist GT3 Straßenkampf", sagt mir ein Teamchef. "Da kannst du nicht in diesem Ausmaß auf Simulationen und Herstellerdaten aufbauen."

Man darf nun gespannt sein, wie schnell Abt zurück in die Spur finden wird. Noch hört man nach außen Durchhalteparolen und beschreibt das Lausitzring-Wochenende in der Pressemitteilung als "erstes DTM-Ausrufezeichen mit Lamborghini". Wenn aber nicht bald echte Erfolge kommen, wird es garantiert ungemütlich.

Sven Haidinger