Überholmanöver: "Kein Grund zur Panik"

Selbst der konservative Frank Williams hat radikale Ideen für mehr Überholmanöver, andere sehen das Thema jedoch viel entspannter

(Motorsport-Total.com) - Seit vielen Jahren schon wird diskutiert, wie man wieder mehr Überholmanöver in die Formel 1 bringen könnte. Längst vergangen sind Rennen wie Monza 1971, wo in 55 Runden 24 Mal die Führung wechselte und fünf Autos innerhalb von 0,61 Sekunden über die Ziellinie fuhren - wohlgemerkt ohne neutralisiertes Safety-Car-Finish.

Titel-Bild zur News: Kimi Räikkönen und Lewis Hamilton

Überholmanöver wie dieses sind in der Formel 1 recht selten geworden

Viele Fans wünschen sich diese glorreichen Zeiten zurück. Um zumindest einen Schritt in diese Richtung zu machen, wurde die Arbeitsgruppe Überholen gegründet, in der sich Ingenieure von drei Topteams (Ferrari, McLaren und Renault) ausschließlich damit beschäftigten, wie man den Einfluss der Luftverwirbelungen minimieren und das Hinterherfahren hinter einem gegnerischen Fahrzeug wieder einfacher gestalten könnte. Ergebnis war das aktuelle Reglement.#w1#

Gebracht haben die aerodynamischen Einschnitte, das Comeback der Slicks und die Einführung des Energierückgewinnungssystems KERS in Summe aber wenig: "So interessant es aus Sicht der Strategen auch gewesen sein mag, aber wenn wir weiterhin Rennen wie in Valencia bieten, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn uns die Fans davonlaufen", meint etwa Williams-Geschäftsführer Adam Parr selbstkritisch.

Hohes Niveau verhindert Überholmanöver

"Hoffentlich wird es nächstes Jahr mit dem Tankverbot besser, aber wenn zehn bis zwölf sehr kompetente Teams und 20 bis 24 sehr kompetente Fahrer gegeneinander antreten und man diese in der Reihenfolge ihrer Performance ins Rennen schickt, dann ist es unmöglich, jemanden zu überholen. Und je enger diese Teams beisammen liegen, desto unwahrscheinlicher sind Überholmanöver", analysiert Parr.

"Wir müssen über das Überholthema nachdenken, aber Grund zur Panik sehe ich nicht." John Howett

John Howett widerspricht - er sieht gerade in den knappen Abständen die Würze der modernen Formel 1: "Wir hatten einige gute Rennen und die Autos liegen sehr, sehr eng beisammen. Im Qualifying waren einige Male nur ein paar Tausendstel ausschlaggebend - neun Autos in einer Sekunde, manchmal sogar mehr. Wir müssen über das Überholthema nachdenken, aber Grund zur Panik sehe ich nicht", findet der Toyota-Teampräsident und FOTA-Vizechef.

Das sieht ausgerechnet der konservative Frank Williams anders. Parr berichtet von wilden Ideen, die dem "Rollstuhlgeneral" durch den Kopf geistern: "Ich war ein wenig überrascht, als Frank am Montag zu mir gesagt hat: 'Wir müssen etwas unternehmen. Machen wir doch zwei Rennen - eines am Vormittag und eines am Nachmittag. Und wenn das auch nichts bringt, drehen wir im zweiten die Startaufstellung um!'"

Ein revolutionärer Vorschlag, den Flavio Briatore schon vor Jahren zur Diskussion gestellt hat - kein Wunder, schließlich war der Renault-Teamchef seinerzeit mitverantwortlich für die Konzeption der Nachwuchsserie GP2, die genau nach diesem System spannende Rennen produziert. Denn eines ist klar: Wenn nächstes Jahr wieder das schnellste Auto vorne steht und das langsamste hinten, unabhängig von der Strategie, wie soll es dann zu Überholmanöver kommen?

Schnellere Rundenzeiten als 2008

"Die Rundenzeiten", bringt sich Christian Horner von Red Bull in die Diskussion ein, "sind dieses Jahr auf einigen Strecken sogar schneller geworden. Leider spielt der Doppeldiffusor dabei eine Rolle. Die Fahrer finden es sehr schwierig, einem anderen Auto zu folgen. Ich meine, dass die aerodynamische Weiterentwicklung, die in diese Autos gesteckt ist, mindestens genauso kritisch ist wie in den vergangenen Jahren."

"Solange wir nicht mit 600 PS starken Formel-Ford-Autos fahren, werden wir auf diesen Strecken keinen großen Unterschied sehen." Christian Horner

"Man sollte sich auch die Streckenlayouts ansehen", fordert er. "Auf einigen Strecken wird mehr überholt als auf anderen. Dieses Wochenende werden wir mehr Überholmanöver sehen als zum Beispiel in Singapur. Solange wir nicht die ganze Aerodynamik runternehmen und mit 600 PS starken Formel-Ford-Autos fahren, werden wir auf den Strecken, auf denen wir derzeit fahren, keinen großen Unterschied sehen, was die Anzahl der Überholmanöver angeht."

Im Fahrerlager ist man sich allerdings nicht einig darüber, ob das überhaupt ein großes Problem darstellt. Die meisten Formel-1-Fans wünschen sich zwar tatsächlich mehr Überholmanöver, andererseits gibt es aber auch Anhänger der Max-Mosley-Theorie. Diese besagt, dass Fußball die Europäer mehr interessiert als Basketball, weil weniger Treffer fallen und deren Wertigkeit höher ist - genau wie bei Überholmanövern in der Formel 1 beziehungsweise der Motorrad-WM.

"Ich verfolge die Formel 1 seit den 1980ern und habe noch nie extrem viele Überholmanöver gesehen", erinnert sich Horner. "Natürlich ist die Show wichtig - es ist wichtig, dass ein Fahrer einem Gegner folgen kann. Ich finde aber, dass wir dieses Jahr schon sehr aufregende Rennen hatten. Trotzdem ist das ein Thema, dem wir uns in Zukunft widmen müssen. Hoffentlich fällt uns etwas ein, wie wir die Situation verbessern können."