Mercedes verärgert: Geht es nun vor den EuGH?

Weil Bernie Ecclestone vor allem Ferrari und Red Bull den roten Teppich ausrollt, Mercedes aber vernachlässigt, könnte es theoretisch vor Gericht gehen

(Motorsport-Total.com) - Sieben von zwölf Teams sind sich laut Informationen von 'Motorsport-Total.com' mit Bernie Ecclestone über die kommerzielle Zukunft der Formel 1 nach 2012 einig, doch fünf Teams haben noch nicht zugestimmt. Während Caterham, HRT und Marussia bisher schlicht und einfach nicht zu den Verhandlungen eingeladen wurden, gibt es für das noch fehlende grüne Licht von Mercedes und Williams ganz andere Gründe.

Titel-Bild zur News: Mercedes-Stern

Der Mercedes-Stern ist seit 1993 fester Bestandteil der Formel-1-WM

Besonders bei Mercedes ist der Ärger über die heutige Bekanntgabe von Ecclestone groß. Zwar hatte der Formel-1-Geschäftsführer das deutsch-britische Team vor dem Saisonauftakt in Melbourne zur Präsentation seines Angebots nach London eingeladen, doch während Red Bull und Ferrari aufgrund von ihnen angebotenen Sonderkonditionen relativ rasch einlenkten, hielt sich die Begeisterung beim Stuttgarter Automobilhersteller in Grenzen.

Sonderkonditionen vor allem für zwei Teams

Denn versteckt hinter vermeintlich neutralen Boni für das "am längsten teilnehmende Team" oder "Teams, die in zwei oder mehr aufeinanderfolgenden Saisons seit 2008 die Konstrukteurs-Weltmeisterschaft gewonnen haben" befinden sich in Wahrheit gezielte Lockangebote für Ferrari (angeblich eine Beteiligung in Höhe von bis zu 2,5 Prozent am Formel-1-Imperium) und Red Bull (ein Doppelweltmeister-Bonus in der Höhe von 35 Millionen US-Dollar).

Selbst an McLaren wurde gedacht, denn auch jedes Team, das einmal Konstrukteurs-Weltmeister war und seinen Namen seither nicht geändert hat, kommt in den Genuss von Sonderzahlungen, wenngleich diese dem Vernehmen nach für Ferrari und Red Bull am üppigsten ausfallen werden. Diese beiden Teams dürfen angeblich sogar einen Repräsentanten in den Formel-1-Vorstand entsenden. Mercedes schaut hingegen durch die Finger.

Stefano Domenicali und Norbert Haug

Das "Sonderangebot" für Ferrari kommt bei Mercedes nicht besonders gut an Zoom

Denn das Team hat zwar zuletzt als Brawn 2009 die Konstrukteurs-WM gewonnen, aber seither seinen Namen geändert, und auch für diverse andere Sonderkonditionen, die kürzlich von Wirtschaftsblogger Mark Kleinman über 'Sky News' an die Öffentlichkeit gebracht wurden, qualifizieren sich die Silberpfeile nicht. Also hat man bisher nicht zugestimmt - und sich heute auch ganz bewusst nicht zum Thema Concorde-Agreement geäußert.

Mercedes schließt EuGH-Klage nicht aus

Mercedes-Sportchef Norbert Haug bittet dafür um Verständnis: "Wir werden informieren, sobald wir die Sache kommentieren können." Indes hat 'Motorsport-Total.com' aus dem Umfeld eines Daimler-Vorstandsmitglieds erfahren, dass hinter den Kulissen angeblich in Betracht gezogen wird, die derzeit auf dem Tisch liegende kommerzielle Vereinbarung juristisch anzufechten. Dafür käme am ehesten der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg in Frage.

Auf Anfrage von 'Motorsport-Total.com', ob ernsthaft in Erwägung gezogen wird, den EuGH einzuschalten, lässt ein Sprecher des Formel-1-Teams von Mercedes lediglich ausrichten: "Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es dazu von unserem Team nichts zu sagen und wir bitten dafür um Verständnis. Selbstverständlich werden wir zum gegebenen Zeitpunkt umgehend informieren." Klare Dementis klingen anders...

Die Möglichkeiten des Vertrags von Lissabon

Juristische Grundlage für einen Gang zum EuGH könnte zum Beispiel Artikel 101 des EU-Vertrags sein, der "alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche (...) eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Binnenmarkts bezwecken oder bewirken", verbietet, insbesondere "die unmittelbare oder mittelbare Festsetzung von Geschäftsbedingungen".

Analog dazu könnte mit Artikel 102 des Vertrags von Lissabon argumentiert werden, in dem es wörtlich heißt: "Mit dem Binnenmarkt unvereinbar und verboten ist die missbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung auf dem Binnenmarkt oder auf einem wesentlichen Teil desselben durch ein oder mehrere Unternehmen, soweit dies dazu führen kann, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen."

Dieter Zetsche

Daimler-Konzernchef Dieter Zetsche ist angeblich ordentlich verstimmt Zoom

Im schlimmsten Fall, so die traditionell heiß kochenden Gerüchteköche im Formel-1-Paddock, könnte Mercedes sein Engagement als Team sogar beenden und stattdessen nur noch als Motorenhersteller auftreten. "Das hoffe ich nicht", meint McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com'. "Daimler ist momentan der einzig bedeutende OEM. Ich denke, wir sollten alle zusammenarbeiten, damit sie in der Formel 1 bleiben."

Mercedes verlässlichster Hersteller

Auf die Frage, ob nicht die Optik schief sei, wenn Deals hinter dem Rücken von anderen gemacht werden, antwortet er aber nur: "Ja, das stimmt." Denn genau wie Mercedes ist auch McLaren nicht restlos glücklich über die Lockangebote, die Ecclestone Ferrari und Red Bull unterbreitet hat. So oder so: Das letzte Wort hat vermutlich der Daimler-Vorstand - und der lässt sich von Ecclestone sicher nur ungern auf der Nase rumtanzen.

Zumal Mercedes der einzige große Automobilhersteller ist, der für die Formel 1 in den vergangenen Jahrzehnten einen verlässlichen Partner dargestellt hat. Werke wie BMW, Ford, Honda, Lamborghini, Peugeot, Toyota und Yamaha haben die Formel 1 seit dem Mercedes-Einstieg im Jahr 1993 komplett verlassen, Renault war zumindest zwischenzeitlich weg. Die einzige Konstante ist Ferrari - doch der Sportwagenhersteller spielt wirtschaftlich in einer viel kleineren Liga als Daimler.