• 22.04.2010 14:51

  • von Pete Fink

Leute mit Biz: Hermann Tilke, "Herr der Ringe"

Fast jede moderne Formel-1-Strecke hat das Design von Hermann Tilke: Über die komplexen Anforderungen und die Legende der "eierlegenden Wollmilchsau"

(Motorsport-Total.com) - "Die Formel 1 ist alle zwei Wochen für zwei Stunden Sport, aber dazwischen knallhartes Business", hat der große Frank Williams einmal gesagt. Für 'Motorsport-Total.com' Grund genug, eine Artikelserie ins Leben zu rufen, die sich mit dem Businessaspekt des Motorsports beschäftigt. In unregelmäßigen Abständen stellen wir eine Persönlichkeit vor, die sich im Motorsportbusiness durchgesetzt hat und mit Biss an ihre Sache herangeht - "Leute mit Biz" eben. Heute in der 22. Edition: Hermann Tilke, der sich als Formel-1-Streckenplaner und Erbauer in den vergangenen Jahren zum "Herrn der Ringe" aufgeschwungen hat.

Titel-Bild zur News: Hermann Tilke

Seit vielen Jahren baut Hermann Tilke Rennstrecken - nicht nur für die Formel 1

Die ganz im Südwesten von Südkorea gelegene Hafenstadt Mokpo mit ihren knapp 250.000 Einwohnern kennt hierzulande kaum jemand. Noch. Einer der wenigen, die sich seit vielen Monaten regelmäßig dort aufhalten, ist Hermann Tilke. Der deutsche Streckenplaner baut gerade etwas südlich von Mokpo den Korean International Circuit, auf dem die Formel 1 am 24. Oktober 2010 gastieren wird. Spätestens dann wird die Provinz Yeongam zu einem festen Bestandteil auf der Landkarte des weltweiten Motorsports.#w1#

Zu etwa zwei Drittel sind die Baumaßnahmen erledigt. "Es ist noch viel zu tun, aber die werden es schaffen", ist Tilke überzeugt. Insgesamt soll die neue Strecke in Südkorea Platz für 120.000 Zuschauer bieten. Dazu werden bis Oktober noch ein paar Hotels gebaut, denn die Veranstalter hoffen auch auf zahlreiche Besucher aus Japan und China. "Das kann ich mir gut vorstellen, denn es gibt viele Japaner, die hier gerne shoppen gehen", weiß der 55-Jährige.

Auch Tilkes zweites großes und aktuelles Formel-1-Projekt in Indien liegt "voll im Zeitplan. Aber dort sind wir natürlich noch nicht soweit, denn da ist es ja noch über ein Jahr hin." Erst Malaysia, Bahrain, China, die Strecke auf dem asiatischen Teil Istanbuls, dann Singapur und zuletzt das gewaltige Projekt in Abu Dhabi - schon rein berufsbedingt hält sich der Streckenplaner seit einigen Jahren sehr oft in Asien auf.

Asien und der Nachholbedarf

Korean International Circuit Mokpo Südkorea

Hermann Tilke ist zuversichtlich: Südkorea wird rechtzeitig fertig Zoom

Nun also Korea und Indien. Wird dieser riesige Kontinent langsam aber sicher zu seinem ganz persönlichen Steckenpferd? "Das ist Zufall", lacht Tilke und begründet: "Hier sind ganz einfach die größten Entwicklungsmöglichkeiten. Nicht nur für Formel-1-Strecken, sondern auch für ganz normale Rennstrecken. Denn die machen wir ja auch noch - und auch gerne."

Das Geld spielt dabei natürlich eine Rolle, doch der Westfale kennt noch einen ganz anderen Grund: "In Asien gibt es einen Nachholbedarf. Es existierten kaum Rennstrecken und die Rennsportkultur ist gerade erst dabei, sich zu entwickeln. So entsteht dieser Bedarf." Wie es Formel-1-Mastermind Bernie Ecclestone vorausgesehen hat. "Und da hat er ja auch Recht gehabt - zu einem Zeitpunkt, als noch kaum einer daran gedacht hat."

Singapur und Abu Dhabi waren zuletzt zwei spektakuläre neue Grand-Prix-Strecken. In Südkorea und Indien wird es wieder etwas konventioneller zugehen. Für Tilke kein Problem: "Es ist nicht immer möglich, dass ein spektakuläres Event ein anderes toppen kann. Es gab jetzt zum Beispiel schon ein Nachtrennen. Man kann schon noch ein zweites oder drittes Nachtrennen veranstalten, aber das Neue, die Premiere, die ist schon passiert."

Gut gefallen hat dem Streckenplaner die Idee, wenn wie in Abu Dhabi in die Dämmerung hinein gefahren wird. Hatte er bei der dortigen Premiere Ende 2009 nach so vielen Jahren noch einen erhöhten Puls? "Ja klar, sogar ein richtiges Kribbeln im Bauch. Bevor es losgeht, wenn die Formel 1 zum allerersten Mal kommt, bin ich immer nervös, ob auch alles funktionieren wird. Beim ersten Mal gibt es immer Kleinigkeiten, die nicht hundertprozentig klappen. Das erste Mal ist immer aufregend, beim zweiten Rennen ist dann die Technik eingespielt und erprobt. Dann wird es ruhiger."

Alles begann am Nürburgring

Hermann Tilke

Ab und zu greift Tilke auch noch selbst ins Lenkrad: Am Liebsten auf der Nordschleife Zoom

Fälschlicherweise wird Tilke oft als Architekt betitelt. Dabei ist der gebürtige Westfale ein gelernter Bauingenieur, der in seiner Firma mit seinem Partner Peter Wahl heute über 300 Mitarbeiter beschäftigt. Begonnen hat alles im Jahr 1983. Damals bekam der rennbegeisterte Jungunternehmer einen kleinen Auftrag vom Nürburgring. "Es ging um Ausbesserungsarbeiten an einem Rettungsweg", erinnert sich Tilke. Dieser kleine Job war mit einem sagenhaften Volumen von 600 D-Mark dotiert.

Trotzdem bezeichnet er diesen Auftrag auch heute noch als die Wiege seines Unternehmens. Denn darauf folgten weitere Tätigkeiten - auch an anderen Rennstrecken. 1989 baute Tilke dann seinen ersten echten Kurs: Es war das Race of Champions, das in jenem Jahr ein einziges Mal auch auf dem Nürburgring stattfand. Seine damalige Auftraggeberin war Michelle Mouton. Der Amateur-Rennfahrer weiß: "Das war unsere erste wirkliche selbst entworfene Rennstrecke."

Anschließend kamen die Arbeiten am Sachsenring und fast zeitgleich der neue A1-Ring in Österreich. Damals geschah in der Planungsphase auch der erste Kontakt mit Ecclestone. Dieser wurde wenig später intensiviert, als die Formel 1 zum Nürburgring zurückkehrte, die Strecke Formel-1-tauglich gemacht werden musste und Tilke mit dem Bau der Mercedes-Tribüne auf dem Nürburgring beauftragt wurde. "Danach galten wir als Experten in Sachen Rennstreckenbau."

Tilke und seine Mannschaft erarbeiteten sich über die Jahre also ein Spezialistentum. "Heute sagt man ganz einfach über uns: Die können so was", formuliert er. Ein durchaus wichtiges Image, denn in der Nischendisziplin Rennstreckenbau gibt es nur ganz selten offizielle Ausschreibungen. "Die Auftraggeber suchen sich die Leute mit der größten Erfahrung und diejenigen, die die wenigsten Fehler machen."

Puzzlespiel um die eierlegende Wollmilchsau

Abu Dhabi Yas Marina Circuit

Das bislang letzte fertige Tilke-Projekt: Der spektakuläre Yas-Marina-Circuit Zoom

Nach der Auftragsvergabe beginnen die eigentlichen Vorbereitungsarbeiten, die kaum im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses geschehen. "Es ist wie ein Puzzlespiel, eine Kombination aus allem: Wir sammeln alle Informationen, wir besichtigen das Grundstück, wir holen uns die notwendigen Pläne der Topografie." Auch das kleinste Detail wird plötzlich wichtig. "Was ist die Haupt-Windrichtung? Woher kommen die größten Zuschauerströme? Wie steht es um die Straßenanbindung, die gesamte Infrastruktur?"

Ein entscheidendes Kriterium ist auch der Zweck, den die entstehende Rennstrecke in den kommenden Jahren ausfüllen soll, denn Tilke baut nicht nur reine Formel-1-Strecken. "Es ist ein großer Unterschied, ob ein Kurs auch für Motorräder geeignet sein soll oder auch für Tourenwagen oder GT-Autos oder rein für Testzwecke. Jedes Mal gibt es unterschiedlichste Komponenten, die in unsere Überlegungen einfließen müssen."

Ganz komplex wird es dann, wenn "der Auftraggeber eine Strecke möchte, die alles können muss. Dann wird es Kompromisse geben müssen, denn eine eierlegende Wollmilchsau gibt es ganz einfach nicht." In diesem Fall müssen sich alle Beteiligten am "größtmöglichen Event" orientieren - und das ist natürlich nur allzu oft die Formel 1.

Sind alle planerisch wichtigen Elemente zusammengetragen, beginnt die eigentliche Phase der Konzeptualisierung: "Im Prinzip sitzen wir im Team an einem gemeinsamen Tisch. Jeder hat einen dicken Stift in der Hand und jeder hat Ideen. Es wird viel diskutiert, vieles landet ganz einfach im Papierkorb. Bis dann irgendwann eine Idee kommt, von der alle sagen: Das könnte es jetzt sein."

Die verflixten Rahmenbedingungen

Shanghai International Circuit

Aufwendige Bauarbeiten mitten in China: 40.000 Pfähle in den Sumpf gerammt Zoom

Spätestens zu diesem Zeitpunkt wird das Arbeitsgerät gewechselt. Der Computer ersetzt den Stift. "Wenn diese Daten alle in den Rechner eingegeben worden sind, dann sieht man, dass einige Elemente vielleicht doch nicht gut oder nicht möglich sind, und es muss wieder geändert werden." Dieser gesamte Prozess kann "zwischen drei Wochen und drei Monaten" andauern.

Denn vor allem die Probleme mit den Rahmenbedingungen sind zahlreich: "Die Leute glauben immer, dass wir die Strecken genau so bauen können, wie wir es gerne möchten, aber das ist nicht so. Zum Beispiel ist der Rennstreckenbau sehr flächenintensiv. Gerade in der Nähe einer Stadt bekommen wir Flächen, wo sonst keiner hin will. Das Idealgrundstück würde ganz einfach zu teuer werden. Ein anderes Kriterium ist auch das zur Verfügung gestellte Budget, in dem man sich bewegen muss."

Bestes Beispiel dafür war Schanghai. "Auf dem einzigen Grundstück, was wir kriegen konnten, befand sich ein 300 Meter tiefer Sumpf", erinnert sich der Westfale. Rein bautechnisch war China Tilkes bislang aufwendigstes Projekt, in dem über 40.000 Pfähle in den Sumpf gerammt wurden. Das gesamte Formel-1-Areal mit seinen riesigen Bauwerken wurde anschließend schwimmend auf einer 14 Meter dicken Styroporschicht errichtet.

Zu diesen Komplikationen kommt in den allermeisten Fällen noch eine immer unterschiedliche Mentalität der Auftraggeber: "Wir sind zu Gast im Land. Es ist immer anders, man muss sich immer auf andere Gegebenheiten einstellen. Schon in Österreich oder in Spanien ist es anders als in Deutschland. In Indien oder China ist es natürlich noch einmal anders. Wir müssen uns ganz einfach auf die Menschen einstellen, nicht sie auf uns."

Der Schnellere und der Langsamere

Manama Bahrain International Circuit

Ab und zu lassen sich Prozessionen nicht verhindern - wie zuletzt in Bahrain Zoom

Doch letztendlich geht es immer um das, was am Ende für viele Millionen Zuschauer und Motorsportfans rund um den Globus dabei herauskommen soll: eine neue Strecke. "Das Wichtigste an einem Theater ist schließlich auch die Bühne", weiß Tilke - und in diesem speziellen Fall natürlich die Streckenführung. Dabei gibt es zwei zentrale Überlegungen: "Wie viel können die Zuschauer sehen und wie werden spannende Rennen möglich?"

Denn eines ist klar: Es wird niemals der Fall sein, dass jedes Rennen im Motorsport zu einem absoluten Klassiker wird. "Das ist wie im Fußball. Auch da gibt es nicht immer spannende Spiele. Wenn im Motorsport der Schnellere vor dem Langsameren fährt und wenn das Feld gut sortiert ist und nichts Unvorhergesehenes geschieht, dann wird das Rennen nicht das Spektakulärste."

Doch wie kann der Streckenplaner in diese Gegebenheiten eingreifen? Tilkes Musterbeispiel dafür ist das alte Castrol-S am Nürburgring: "Am Start gab es immer Action, aber nur in der ersten Runde. Danach war das Feld meistens weit auseinander gezogen." Der Grund: "Durch das Castrol-S passt nur einer durch. Wenn zwei Autos nebeneinander durchwollten, hat einer den Kürzeren gezogen. Das Feld hat sich voneinander entfernt."

Ergo hat das Castrol-S auf dem alten Nürburgring spannende Rennen verhindert. Abhilfe schaffte da die neue Mercedes-Arena, deren hauptsächliche Funktion es ist, das Feld wieder zusammenzustauchen. Tilke weiß: "Der Langsamere überholt den Schnelleren nie. Und wenn sich alles ordnet, dann ist es eben nicht spannend. Außer es passiert etwas Außergewöhnliches. Wenn zum Beispiel durch das Ergebnis der Qualifikation oder durch das Wetter eben plötzlich der Langsamere vor dem Schnelleren fährt."

Die Mischung aus langsam und schnell

Fernando Alonso, Nelson Piquet Jr.

Streckenplanerisch hat die letzte Sektion in Istanbul eine ganz klare Funktion Zoom

Für den Streckenplaner bietet diese grundlegende Überlegung einige Erkenntnisse: "Es kommt also darauf an, wie die schnellen Kurvenpassagen über die Strecke verteilt sind. Das ist kritisch, denn weil die Autos dort nicht dicht hintereinander herfahren können, verteilt sich das Feld gerne." Wie im Beispiel Istanbul, wo "die vier langsamen Kurven vor Start und Ziel das Feld wieder zusammenstauchen".

Denn auf die schnellen Kurven, die für Fahrer und Material eine echte Herausforderung darstellen, für ein spektakuläres Rennen aber eher kontraproduktiv sind, will Tilke nicht verzichten: "Per Definition ist eine schnelle Kurve eine Kurve, die bei einem Tempo jenseits der 200 Stundenkilometer und eben nicht ganz mit Vollgas gefahren werden kann."

"Genau so etwas planen wir. Wir reden mit den Fahrern, wir führen Simulationen durch und finden das Ergebnis ganz toll. Aber die Formel 1 entwickelt ständig weiter, sodass die Kurven dann doch wieder voll gefahren werden können und im schlimmsten Fall die Fahrer die Kurven kaum noch bemerken, weil sie recht einfach voll auf dem Gas stehen bleiben können."

Die Eau Rouge und die Simulationen

Eau Rouge

Früher war die Eau Rouge auch mit einem Formel 1 eine Herausforderung Zoom

Bestes Beispiel dafür ist die legendäre Eau Rouge in Spa-Francorchamps: "In der Formel 1 lupft da keiner mehr. Schade drum, denn mit einem Cup-Porsche ist sie immer noch eine gewaltige Herausforderung. In der Formel 1 aber nicht, weil die Autos so gut sind." Es ist also das ewige Spannungsfeld zwischen den unterschiedlichen Interessen, in dem sich Tilke und seine Mannschaft bewegen.

"Die Formel 1 wird durch das Reglement eingebremst und zurückgeholt. Dann entwickeln sie wieder und alles geht von vorne los. Alles passiert rasend schnell. Nur wir bauen für eine kleine Ewigkeit." Der Streckenplaner hat in diesem ungleichen Kampf also eher stumpfe Waffen. Ein probates Tilke-Mittel ist es daher, die Piloten in Fehler zu locken. Oder wie er es formuliert: "Fahrfehler leicht zu machen."

Aber auch das ist "wahnsinnig schwierig geworden, weil die Fahrer und das Material fast perfekt sind, sodass es kaum noch Fehler gibt. Die Fahrer probieren das vorher 100.000 Mal im Simulator, dann machen sie einfach keine Fehler mehr." Tilke will "das überhaupt nicht verteufeln, aber die Perfektion der Formel 1 ist für unsere Arbeit eigentlich eher kontraproduktiv". Das nächste große Fallbeispiel folgt im Oktober 2010 auf dem Korean International Circuit.

Hermann Tilke im Kreuzverhör:

Geburtsdatum: 31. Dezember 1954

Geburtsort: bei Olpe

Wohnhaft in: Aachen

Familienstand: ledig

Erstes Fahrzeug: MINI Cooper

Aktuelles Fahrzeug: Porsche

Erlernter Beruf: Diplom-Bauingenieur

Im Motorsport involviert seit: ich 18 Jahre alt bin

Größter beruflicher Erfolg: dass der Beruf Spaß macht

Größtes Ziel: dass es so bleibt

Lieblingsfahrer und -team in der Formel 1: viele

Online oder Print? Print

Business- oder Economy-Class? Business-Class

Boulevard oder Feuilleton? alles zu seiner Zeit

Festgeld oder Optionsschein? Festgeld

T-Shirt oder Sakko? T-Shirt

Opernball oder Oktoberfest? Oktoberfest, aber manchmal auch Opernball

Arbeit oder Hobby? Arbeit ist Hobby

Lieblingslektüre: prähistorische Artikel

Person, die ich am meisten bewundere: meine Freundin, meine Freunde

Person, mit der ich mal auf ein Bier gehen möchte: Angela Merkel

Geld bedeutet für mich... Sicherheit

Motorsport fasziniert mich, weil... es eine Kombination aus menschlich Möglichem und Technik ist

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