WEC-Kolumne: Woran das Goldene Zeitalter noch scheitern kann
Die Hypercar-Party geht los und es ist an der Zeit zu ernten - Doch es drohen Stolperfallen, wenn der ACO seine Fehler aus der Vergangenheit wiederholt
(Motorsport-Total.com) - Liebe Freunde der gehypten Hypercars,
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Die Sauregurkenzeit ist vorbei: 2023 läutet das Goldene Zeitalter der Hypercars in der WEC endgültig ein Zoom
Es ist nichts Neues, dass die Vorfreude auf den Beginn einer neuen Ära besonders groß ist. Neustarts, bei denen auf den großen Wurf gehofft wurde, hat es schon viele gegeben. WEC 2014, IndyCar 2018, WTCR 2018, DTM 2021. Mal haben sich die Hoffnungen zumindest teilweise erfüllt, mal gar nicht.
Doch dieses Mal ist es anders. Man spürt: Hier ist etwas Großes im Anmarsch. Schon in diesem Jahr erlebt die Langstrecken-Weltmeisterschaft die größte Herstellerbeteiligung ihrer Geschichte in der Königsklasse, die 24 Stunden von Le Mans seit 1999.
Und nicht nur das. Vorbei sind auch die Zeiten, in denen Fahrzeuge derselben Klasse fast zehn Sekunden pro Runde langsamer waren. Die Ernte wird jetzt eingefahren. Und es wird in den kommenden Jahren nur noch besser werden.
Die Unkenrufe sind nicht zu überhören: "Der ACO wird schon einen Weg finden, auch das zu versauen", heißt es sarkastisch in Fankreisen. Zweifellos ist die Erwartungshaltung angesichts der Herstellerflut und des seit Jahren beschworenen Goldenen Zeitalters hoch, es gibt viel zu verlieren.
Am offensichtlichsten ist natürlich das Thema BoP. Hier hat sich das Langstrecken-Komitee (seit 2023: WEC-Komitee) aus FIA und ACO in letzter Zeit nicht gerade mit Ruhm bekleckert. Die automatisierte BoP in der GTE Pro, die eigentlich alle Probleme beseitigen sollte, war nach unseren Informationen während der gesamten Saison 2022 außer Betrieb.
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Einstufungsdebakel wie bei der Corvette C8.R 2022 dürfen sich bei den Hypercars nicht wiederholen Zoom
Stattdessen wurden alle Einstufungen manuell vorgenommen. Die Folge: Die Corvette C8.R war chancenlos. Der Spritspar-Sieg von Monza war ein Coup von Pratt & Miller.
Und das war die GTE Pro. Der Einsatz jetzt ist ein ganz anderer. Der Gesamtsieg in Le Mans wird in einer BoP-Formel vergeben. Das bedeutet zunächst einmal, dass das Rennen noch mehr in Richtung Langstrecken-Sprint geht. Für kleinere Autos wird es gefährlicher, weil die Top-Teams auf der Strecke noch stärker Vollgas geben müssen. Schließlich sind sie in Sachen Strategie und Tempo gleichauf.
Vor allem aber erlaubt es dem Veranstalter, alle Fäden in der Hand zu halten. Und hier hat der ACO bereits gezeigt, dass er bereit ist, Rennen nach seinem Gusto zu gestalten. Bestes Beispiel waren die 24 Stunden von Le Mans 2016, als in der GTE Pro alle Fahrzeuge gegen Ford und Ferrari chancenlos gemacht wurden, nur um das große Duell ein halbes Jahrhundert zuvor nachzustellen.
So etwas darf nicht passieren, wenn es um den Gesamtsieg geht. Noch einmal: GTE Pro schön und gut, aber der Gesamtsieg in Le Mans ist eine ganz andere Hausnummer. Er darf weder zu einer vorgefertigten Geschichte nach ACO-Gusto verkommen, noch zu einem Basar, bei dem der Meistbietende die beste Einstufung (und damit die halbe Miete zum Sieg) bekommt.
Hinzu kommt das Misstrauen vor allem auf amerikanischer Seite, ob LMDh-Fahrzeuge in Le Mans wirklich siegfähig sind oder ob der ACO "seine" Le Mans-Hypercars bevorzugt. Das Verhältnis zwischen ACO und IMSA ist immer wieder schwierig, wie zuletzt die Äußerungen der Franzosen zum gemeinsamen Sebring-Wochenende zeigten.
Die WEC-Hypercars 2023 in Action
Angesichts von Namen wie Porsche und General Motors auf Seiten der LMDh ist nicht zu erwarten, dass der ACO diese benachteiligt. Der Verdacht würde aber sofort aufkommen, sollten die LMH-Boliden das Bild bestimmen.
Das Fundament, auf dem das zweigeteilte Hypercar-Reglement steht, ist solide. Jeder bekommt, was er will, und doch sind alle gleich, zumindest in der Theorie. Aber auch das stärkste Fundament kann Risse bekommen, wenn es nicht richtig behandelt wird.
LMP2 ein nötiges Opfer, GT3 Premium fraglich
In diesem Jahr verabschieden sich nicht nur die GTE-Boliden aus der WEC, die noch ein Jahr Gnadenfrist in der Amateurklasse erhalten, sondern auch die LMP2. Damit entledigt sich der ACO endgültig einer Klasse, die immer etwas zu erfolgreich war.
Viel zu oft war sie die heimliche Königsklasse der WEC. 2011 wurde in der LMP2 ein Kostendeckel eingeführt, der allerdings eine Schwachstelle hatte. Teams begannen, ihre eigenen Autos zu entwickeln, um das Kostenlimit zu umgehen. Das prominenteste Beispiel war der BR01 von SMP Racing.
So gab es zwischen 2012 und 2015 jede Menge LMP2-Projekte, von denen nicht alle umgesetzt wurden. Doch der ACO hatte genug. Eigene Autos sollten in der LMP1-Klasse gebaut werden. So wurde 2017 die LMP2 auf vier Chassishersteller beschränkt.
Doch auch damit wurde die Kategorie nicht kleingehalten, denn nun professionalisierten sich die Teams. Mannschaften wie Jota, United Autosports und WRT haben die LMP2 in den vergangenen Jahren auf ein völlig neues Level gehoben und lieferten oft die größte Show hinter der vor sich hin dümpelnden LMP1 und den ersten Hypercars.
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Die LMP2 war mit ihren engen Rennen oft der heimliche Star der WEC Zoom
Ab 2024 ist damit Schluss, die LMP2 fliegt aus der WEC raus. Letztlich ist sie ein notwendiges Opfer für die florierende Hypercar-Klasse. Und machen wir uns nichts vor: 35 Autos in zwei Klassen sind besser als die gleiche Menge aufgeteilt auf vier Klassen.
Sicher, es wäre denkbar gewesen, aus der WEC eine reine Prototypen-Meisterschaft zu machen und die GT-Welt Stephane Ratel zu überlassen, vielleicht mit der Ausnahme Le Mans. Aber darüber hat der ACO nicht ernsthaft nachgedacht. Es gibt zu viele treue Kunden in der GT-Welt.
Hier gibt es allerdings große Zweifel am Konzept "GT3 Premium". So hatte der ACO ernsthaft gehofft, die GT3-Hersteller würden speziell für Le Mans ein Longtail-Kit entwickeln, um an die Zeiten des McLaren F1 GTR oder des Porsche 917 anknüpfen zu können.
Anscheinend hat sich der ACO in den Medien schlecht informiert, denn in der Vergangenheit sind weitaus weniger weitreichende "GT3+"-Projekte gescheitert: 2012 bei der Umstellung der GT1-Weltmeisterschaft von GT1 auf GT3 (okay, man hatte einen lauteren Auspuff, aber das war's) und 2021 bei der Umstellung der DTM von Class 1 auf GT3.
Warum man sich beim ACO so sicher war, dass die Hersteller begeistert mitmachen und einen zweistelligen Millionenbetrag in die Entwicklung eines Longtail-Kits stecken würden, lässt sich wohl nur mit Großmachtsphantasien erklären, die den ACO in der Vergangenheit immer wieder befallen haben.
Jedenfalls hat der FIA-Motorsport-Weltrat bereits Ende 2022 klargestellt, dass die GT3 ohne Änderungen startberechtigt sein werden. Und das ist auch gut so. Rechnen wir für die 24 Stunden von Le Mans 2024 mit einem dreistelligen Nennergebnis. Das Goldene Zeitalter ist Realität - wenn es der ACO nicht verbockt.
Euer
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