• 29.03.2016 10:45

  • von Heiko Stritzke & Roman Wittemeier

LMP1-Rangordnung: Wer liegt nach dem Prolog vorn?

Nach dem WEC-Prolog 2016 sind die drei LMP1-Hersteller dicht beisammen: Was für Porsche spricht und warum sich bis Silverstone noch einiges ändern wird

(Motorsport-Total.com) - Vorsaisontestfahrten sind im modernen Motorsport mit Vorsicht zu genießen: Die Zeiten, als nach einem offiziellen Test die Reihenfolge für den Saisonstart klar war, sind lange vorbei. Dennoch versuchen Fahrer und Teams fieberhaft, in der Performance beim Prolog zur Langstrecken-Weltmeisterschaft (WEC) zu lesen. Einige Lehren vom Paul Ricard HTTT erscheinen auf den ersten Blick: Porsche ist noch immer das Maß der Dinge, Toyota ist wieder da, Audi täuscht und tarnt am meisten. (So lief der Samstag)

Titel-Bild zur News: Porsche 919 Hybrid

Nach dem Prolog steht Porsche mit einem leichten Vorteil da Zoom

Während in den BoP-basierten Klassen niemand bei der Rundenzeit zu sehr auffallen will, wollen auch die LMP1-Hersteller vermeiden, dass die Konkurrenz im direkten Vergleich Erkenntnisse über die eigene Performance gewinnen können. "Die sind sofort auf die Seite gefahren, als ich ankam", berichtet Porsche-Weltmeister Timo Bernhard über Audi. Lediglich der Toyota-Topspeed stach heraus, was er auch am eigenen Leib zu spüren bekam: "Den Toyota habe ich einmal überholt, als er sich gedreht hat. Der ist dann losgefahren und war auf der langen Geraden gleich wieder hinter mir!" (So lief der Freitag)

Allerdings war dies noch am Freitag der Fall, als Toyota eine Le-Mans-Spezifikation ausprobierte. Daher war der erste Tag für eine Standortbestimmung ungeeignet. Am Samstag jedoch fuhren alle drei Hersteller mit einer Aero-Konfiguration, die auch in Silverstone zum Einsatz kommen wird. "Der Samstag war sehr interessant hinsichtlich der Performance", sagt Porsche-LMP1-Chef Fritz Enzinger gegenüber 'Motorsport-Total.com' und fügt erleichtert hinzu: "Wir liegen super im Rennen."

Starker Longrun von Jani bei Nacht

Zumindest über eine Runde ist Porsche nach wie vor das Maß der Dinge. Nur der LMP1-Bolide aus Weissach war in der Lage, 37er-Zeiten zu fahren. Hinzu kommt ein beeindruckender Longrun von Neel Jani am Freitag über 28 Runden, von denen 17 unter der 100-Sekunden-Marke lagen. Dies konnte jedoch kein Hersteller am Samstag wiederholen, weil die Streckentemperatur höher lag. Bei ihren Versuchen mit Silverstone-Abstimmung lagen die Zeiten aller Hersteller meist im 1:40er-Bereich, jedoch wurden keine vollständigen Longruns gefahren.


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Porsche zeigte regelmäßig Longruns mit zweistelliger Rundenzahl und war dabei konstant unterwegs. Ein leichter Vorteil zeichnet sich für Weissach ab, doch der Vorsprung ist gering. Für Porsche spricht vor allem die Konstanz bei den Zeiten, während Audi nach zwei schnellen Runden zu Beginn stets einen Drop von einer Sekunde in den Runden danach hatte. Am Freitag fuhr Benoit Treluyer ebenfalls zwei Longruns und lag nur in vier Runden unter 1:40 Minuten - Porsche hatte hier also die Nase vorn.

"Wir liegen super im Rennen." Fritz Enzinger

Wie sehr dabei ans Limit gegangen wurde, wissen aber nur die einzelnen Teams. Brendon Hartley will gar nicht erst im Kaffeesatz lesen: "Jetzt ist silly season; niemand weiß, wie es aussieht, bis wir in Silverstone sind. Es wird noch weitere Updates bei allen geben." Audi und Toyota testen derzeit noch einmal privat in Le Castellet, Porsche sucht noch nach einem Ersatz für einen abgesagten Aragon-Test. Fest steht: Sollte ein Hersteller noch eine Geheimwaffe haben, wird er sie im Geheimen testen.

Porsche: Mehr Neues als man denkt

Die Weltmeister gehen mit einem Vorteil in die WEC-Saison 2016: Das Fahrzeugkonzept ist bereits bekannt, während sowohl Audi als auch Toyota gerade erst auf die Batterielinie eingeschwenkt sind. "Die Konkurrenten haben viele technische Lösungen übernommen, die wir bereits in der Vergangenheit hatten. Das gibt uns natürlich ein gutes Gefühl für das gesamte Projekt", sagt Hartley zufrieden. Jani fügt hinzu: "Es ist unsere Stärke, dass wir das Konzept kennen. Wir können daran weiterarbeiten und das Konzept ist noch lange nicht am Ende."


Highlights: WEC Prolog in Le Castellet

Video-Eindrücke vom WEC Prolog in Le Castellet: Neue Autos, neue Teams und faszinierende Technik!

Teamchef Andreas Seidl mahnt im Gespräch mit 'Motorsport-Total.com' jedoch an, dass auch am neuen 919 Hybrid nicht alles komplett bewährt sei: "Das Monocoque ist zwar noch das gleiche, aber ansonsten haben wir alle Gruppen des Fahrzeugs angefasst. Wir haben eine neue Vorder- und Hinterachse, die Aero ist überholt, der Verbrennungsmotor überarbeitet. Natürlich haben wir in der Theorie einen Vorteil, weil wir das Konzept schon kennen." Ob sich das aber in der Praxis durchschlagen wird, bleibt abzuwarten.

Audi kämpft mit Problemen

Zumindest Audi hatte mit dem neuen Konzept noch seine Probleme. So musste über Nacht das Chassis getauscht werden, was nicht vorgesehen war. "So wie es hier aussieht, hat Audi schon noch ein paar Kinderkrankheiten auszusortieren", bemerkt Neel Jani. Zwar hat das Joest-Team noch die zwei Testtage in Frankreich, doch der Schweizer ist skeptisch: "Es wird schwierig für sie, die noch schnell auszusortieren. Ich frage mich, was sie da noch machen. Das Auto scheint nicht langsam zu sein - das Potenzial ist groß. Die Frage ist, wie viel sie davon abrufen können."

Audi R18 2016

Wie schwerwiegend sind die Kinderkrankheiten an Audis radikalem R18? Zoom

Bei den Ingolstädtern geht man solchen Fragen aus dem Weg. Der radikale R18 hält zumindest performancetechnisch, was er verspricht, wie Andre Lotterer im Interview mit 'Motorsport-Total.com' preisgibt: "Ich habe ein gutes Gefühl im Auto, wie es liegt, wie es lenkt und bremst, die Balance fühlt sich echt gut an." Die Konkurrenten sind sich einig: Audi ist von allen am schwierigsten einzuschätzen. Zumindest lief der zweite R18 am Samstag problemlos.

Sollte das radikale Aerodynamik-Konzept funktionieren, hat Audi eine Waffe am Start. Lotterer gibt sich verwundert über die Konkurrenz: "Ich hätte da vielleicht schon ein bisschen mehr erwartet", sagt er über den neuen Toyota TS050 Hybrid. "Der Trend für die Aerodynamik geht schon in eine gewisse Richtung und da hat man nicht sehr viel Neues erlebt - so wie bei Porsche auch. Es ist eben nicht so extrem wie bei uns."

Toyota: Dicht dran, aber dicht genug?

Über eines darf man sich nach dem Prolog sicher sein: Toyota wird 2016 längst nicht so weit abgeschlagen sein wie noch vergangene Saison. Der TS050 Hybrid fuhr gute Longrunzeiten, kam nur im Quali-Trimm nicht an den Porsche heran. Das Problem, dass sich der Diffusor beim Überfahren von Randsteinen auflöste, sollte bis zum Saisonstart noch zu lösen sein.


Fotos: WEC-Prolog in Le Castellet


Für Anthony Davidson wäre es logisch, wenn kein Hersteller in der Performance abfällt: "Wir haben den Berg der Performance auf unterschiedliche Weise erklommen, aber kommen doch irgendwie alle auf dem Gipfel an. Je länger die Regeln gleich bleiben, umso kleiner wird der Raum für Verbesserungen. Normalerweise sollte es enger werden, und das hoffe ich." Gegenüber 'us.motorsport.com' fürchtet er aber, dass Porsche einen Schritt voraus sei: "Es fühlt sich an, als wären wir dichter als letzten Jahr, aber nicht dicht genug."

Wird Überholen schwieriger?

Die unterschiedlichen Fahrzeugkonzepte erlaubten in der Vergangenheit fantastisches Racing mit vielen Überholmanövern. Daran sollte sich auch nach der Angleichung der Konzepte nichts ändern, glaubt Timo Bernhard: "Überholen war in den vergangenen Jahren einfach; man muss abwarten, ob das dieses Jahr auch noch so ist. Wobei man sagen muss, dass es im Langstreckensport wegen der GT-Fahrzeuge nie langweilig wird, denn einer wird immer mal geblockt. Deshalb sehe ich das nicht so kritisch. Aber die Rundenzeiten dürften enger beisammen liegen."

Fritz Enzinger bringt es schließlich auf den Punkt: "So eng, wie die Autos jetzt zusammenliegen, bin ich überzeugt, dass es eine richtig gute WEC-Saison werden wird. Es wird vielleicht Strecken geben, auf denen der eine stark ist und andere, auf denen andere vorne liegen. Wenn es in Silverstone so aussehen sollte wie beim Prolog, wird es richtig spannend werden."