Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Toprak Razgatlioglu

Selbst auf der Paradestrecke in Donington muss sich Toprak Razgatlioglu geschlagen geben: Ein weiterer WM-Erfolg des Ausnahmekönners rückt in weite Ferne

Liebe Freunde der Superbike-WM,

Titel-Bild zur News: Toprak Razgatlioglu

Toprak Razgatlioglu wirkte nach dem Wochenende in Donington ernüchtert Zoom

hinter uns liegt ein weiteres ereignisreiches WSBK-Wochenende mit tollen Rennen, aber auch einigen dramatischen Momenten. Mehr als 50.000 Fans fanden den Weg nach Donington Park und sahen auf der Traditionsstrecke in der Grafschaft Leicestershire spannende Zweikämpfe und guten Rennsport.

Unter uns: Einen Besuch der Anlage in Donington Park kann ich wärmstens empfehlen. Motorsport ist in England nach wie vor eine Herzensangelegenheit. Im Vergleich zu modernen Rennstrecken herrscht in Donington eine ganz besondere Atmosphäre. Man spürt regelrecht die Magie der Vergangenheit, die Tradition und die Liebe zum Motorsport.

Strecken mit derart viel Charakter sind im Kalender der MotoGP mittlerweile rar geworden. Ich bin froh, dass sich die Superbike-WM diesbezüglich klar abgrenzt. Mit Imola und Most folgen zwei weitere Oldschool-Strecken, die in der Vergangenheit tollen Rennsport produzierten. Das sind erstklassige Aussichten.

Honda blamiert sich weiterhin bis auf die Knochen

Doch kommen wir zum Thema der heutigen Montags-Kolumne. Richtig schlecht geschlafen haben dürften die Beteiligten von Honda. Iker Lecuona und Teamkollege Xavi Vierge fanden in Donington zu keinem Zeitpunkt in Schwung, was weniger auf den Einsatz der beiden Spanier als viel mehr auf das technische Paket zurückzuführen war.

Iker Lecuona

Die Honda Fireblade war in Donington nicht konkurrenzfähig Zoom

Bei den Herstellern verlor man viele Punkte auf BMW und läuft Gefahr, erneut auf den letzten Platz zurückzufallen. Das Fireblade-Projekt tritt auch im vierten Jahr auf der Stelle. Selbst die Super-Concessions scheinen Honda nicht voranzubringen. In der erfolgsverwöhnten Motorsport-Abteilung von Honda läuft momentan einiges schief. Enttäuschend!

Die Pechsträhne von Michael Rinaldi reißt nicht ab

Und auch Ducati-Werkspilot Michael Rinaldi erlebte ein richtig schlechtes Wochenende. Zuerst einmal bin ich natürlich sehr froh, dass sich der Italiener beim Sturz im finalen Rennen nicht ernsthaft verletzt hat (zum Verletzungsupdate von Rinaldi und Sykes).

Das sah unmittelbar nach dem Crash überhaupt nicht gut aus. Im Media Center wurde es nach dem Zwischenfall in Coppice ziemlich still und alle warteten gebannt auf positive Neuigkeiten zum Gesundheitszustand der Beteiligten.

Michael Ruben Rinaldi

Michael Rinaldi wurde nach dem Crash minutenlang erstversorgt Zoom

Aktuell fährt Rinaldi um seine Zukunft im Ducati-Werksteam. Dass er sich im ersten Rennen und im Sprintrennen bereits zu Beginn grobe Schnitzer leistete, war sicher nicht hilfreich für die Verhandlungen.


Fotos: Superbike-WM 2023: Donington (Großbritannien)


Für den Sturz im zweiten Rennen konnte Rinaldi hingegen nichts. Das Heimrennen in Imola dürfte die letzte Chance für Rinaldi sein, sich in Szene zu setzen, um auch 2024 die Aruba-Farben zu tragen. Ich hoffe, dass Rinaldi mit diesem Druck umgehen kann und vor den heimischen Fans endlich etwas mehr Glück hat.

Bittere Niederlage für Toprak Razgatlioglu in Donington

Für die Hauptrolle in der heutigen Kolumne nominiere ich aber Toprak Razgatlioglu, der auf seiner absoluten Lieblingsstrecke in Donington weitere Punkte im WM-Duell mit Alvaro Bautista verlor.

Toprak Razgatlioglu

Nicht happy: Toprak Razgatlioglu konnte in diesem Jahr noch kein Hauptrennen gewinnen Zoom

Vor dem Wochenende war "El Turco" der klare Favorit. Ich unterhielt mich am Donnerstag mit einigen Kollegen, aber auch mit Fahrern und Teammanagern. Alle tippten geschlossen auf Razgatlioglu, der im Vorjahr alle drei Donington-Rennen für sich entschied.

Der Favoritenrolle wurde Razgatlioglu am vergangenen Wochenende allerdings nicht gerecht. Ich behaupte nicht, dass er nicht hart genug kämpfte. Im Gegenteil: Mehr war einfach nicht drin. Und diese Erkenntnis ist bitter.

Fast 100 Punkte Rückstand zur Halbzeit der Saison

Selbst die schwierigen Bedingungen mit Regenschauern, Wind und niedrigen Temperaturen konnte er nicht zu seinem Vorteil nutzen. Das sind genau die Bedingungen, die Bautista überhaupt nicht mag. Dennoch setzte der spanische Ducati-Pilot seine Siegesserie in den Hauptrennen fort. Razgatlioglu blieb lediglich der Sieg im Sprintrennen. Ein schwacher Trost.

Vom Traum, Yamaha als Weltmeister zu verlassen, kann sich Razgatlioglu spätestens nach dem WSBK-Wochenende in Donington verabschieden. Zur Halbzeit der Saison liegt der Ex-Champion bereits 93 Punkte zurück. Aus eigener Kraft hat Razgatlioglu praktisch keine Chance, das WM-Duell zu drehen. Bautista strotzt aktuell nur so vor Selbstvertrauen.

Toprak Razgatlioglu; Alvaro Bautista

Selbst mit viel Risiko konnte sich Toprak Razgatlioglu nicht gegen Alvaro Bautista durchsetzen Zoom

Es ist offensichtlich, dass Razgatlioglu und die anderen Herausforderer aktuell mit stumpfen Waffen kämpfen. Am Sonntag meinte Razgatlioglu, dass er beim Kampf gegen Bautista das Gefühl hatte, eine 600er zu pilotieren. Schaut man sich die Onboard-Aufnahmen von Razgatlioglus Yamaha an, dann wirkt diese Aussage alles andere als übertrieben.

Auf den Geraden zieht Bautista auf der Ducati spielerisch vorbei. Selbst auf kurzen Geradeausstücken macht der Titelverteidiger so viele Meter gut. Zudem funktioniert die Panigale V4R in ihrer fünften Saison auch in den Kurven richtig gut. Für Ducati gibt es praktisch keine Angstrecken mehr.

Bei BMW wartet viel Arbeit auf Toprak Razgatlioglu

Und auch Razgatlioglus Aussichten für die WSBK-Saison 2024 sind alles andere als vielversprechend, denn das WSBK-Projekt von BMW hinterlässt nach wie vor einige Fragen. BMW schaffte es am Sonntag zwar in die Top 4, doch im Vorjahr war man in Donington noch ein Kandidat für das Podium. Scott Redding konnte sich zuden nicht so richtig erklären, warum es am Sonntag besser lief. Ein Zufallstreffer?

Scott Redding

Scott Redding wurde im zweiten Rennen Vierter, konnte sich den Aufschwung aber nicht erklären Zoom

Aktuell ist schwer vorstellbar, dass Razgatlioglu mit BMW bereits 2024 um die WM kämpfen kann. Vielleicht liege ich auch falsch und BMW findet die Antworten für die schwankenden Leistungen. Vielleicht ist Razgatlioglu auch das fehlende Puzzlestück.

Hat Alvaro Bautista in der Saison 2024 noch leichteres Spiel?

Angesprochen auf die Ergebnisse der BMW-Piloten, versteckte sich Razgatlioglu hinter einem Grinsen. Dass in Zukunft viel Arbeit auf ihn wartet, dürfte allen Beteiligten klar sein.

Zumindest auf den Geraden sollte Razgatlioglu im kommenden Jahr besser dastehen. Die M1000RR lag bei den Topspeeds auf Augenhöhe zur Ducati. Wenn es die BMW-Ingenieure über den Winter hinbekommen, das Handling und den Reifenverschleiß in den Griff zu bekommen, dann könnte Razgatlioglu für Überraschungen sorgen.

Alvaro Bautista

Alvaro Bautista gewann alle zwölf Hauptrennen in der laufenden Saison Zoom

An diese Hoffnung klammern sich im Moment sicher nicht nur die Beteiligten des BMW-Projekts, denn die stagnierende Entwicklung bei Kawasaki und die Probleme von Honda versprechen in Kombination mit der Dominanz von Bautista und Ducati wenig Spannung.

Unterm Strich hat niemand etwas davon, wenn ein Fahrer ohne Mühe von Sieg zu Sieg fährt. Rechnet man eins und eins zusammen, dann wird Bautista im kommenden Jahr noch doinanter sein, sofern sich nichts ändert.

Wer hat Ihrer Meinung nach schlecht geschlafen? Teilen Sie mir Ihre Meinung auf Facebook unter "Sebastian Fränzschky - Motorsport-Journalist" mit. Dort gibt es meine Texte, Insiderinfos, Meinungen und Einschätzungen zu aktuellen Themen. Und natürlich die Möglichkeit, diese Kolumne zu diskutieren!

Sportliche Grüße,

Sebastian Fränzschky