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Wer letzte Nacht am schlechtesten geschlafen hat: Livio Suppo (Suzuki)

Auf den Schock vom Suzuki-Aus in der MotoGP folgt ein Komplettausfall in Le Mans: Warum Teammanager Livio Suppo vor schwierigen Wochen und Monaten steht

Titel-Bild zur News: Livio Suppo

Livio Suppo muss eine Mannschaft motivieren, die bald arbeitslos ist Zoom

Liebe Freunde der MotoGP,

nach dem gestrigen Grand Prix in Le Mans haben mit Sicherheit einige Protagonisten schlecht geschlafen. Da wäre zu allererst natürlich der Name von Francesco Bagnaia zu nennen, der 20 wichtige Punkte wegwarf. Durch seinen Sturz hat sich "Pecco" die Aufgabe für den Rest der Saison noch einmal zusätzlich erschwert (was Bagnaia zum Sturz sagte).

Aber auch Ducati-Markenkollege Jorge Martin sowie die weiteren Sturzopfer haben wohl ziemlich schlecht geschlafen, denn aktuell geht es für viele Fahrer darum, einen guten Eindruck für 2023 zu hinterlassen. Ehrlich gesagt kann ich mir nicht mehr vorstellen, dass sich Ducati bei der Besetzung des Werksteams gegen Enea Bastianini entscheidet, der gestern seinen dritten Saisonsieg feierte (zur Reaktion des Le-Mans-Siegers).

Jack Miller, Enea Bastianini

Bestätigt Ducati Enea Bastianini bereits in Mugello als Nachfolger von Jack Miller? Zoom

Vielleicht erfolgt die Bekanntgabe ja bereits beim kommenden Rennen in Mugello. Für Noch-Ducati-Werkspilot Jack Miller, der gestern einen starken zweiten Platz einfuhr, sind das natürlich keine guten Nachrichten. Aktuell kursiert das Gerücht, dass Miller 2023 für KTM fährt.

Ich würde den sympathischen Australier lieber weiterhin in der Ducati-Familie sehen. Und Ducati-Sportdirektor Paolo Ciabatti auch. Man hat ja mindestens acht Bikes. Eines davon wird doch für die wohl charismatischste Person des MotoGP-Starterfeldes übrig sein, oder?

Suzuki geht beim Grand Prix von Frankreich komplett leer aus

Doch genug von den Spekulationen um die Silly Season und zurück zu den Fakten. Für Suzuki war der Grand Prix von Frankreich eine absolute Nullnummer (zu den Reaktionen von Joan Mir und Alex Rins). Aktuell möchte ich echt nicht in der Haut von Teammanager Livio Suppo stecken.

Meine Freude war groß, als Suzuki vor dem Saisonstart verkündete, dass Suppo in die MotoGP zurückkehrt. Ein Typ mit Ecken und Kanten, der klare Aussagen tätigt und auch über die nötige Schlitzohrigkeit verfügt. Vor zwei Wochen allerdings erfuhr Suppo, dass seine Dienste in sechs Monaten nicht mehr benötigt werden.

Nach der Schocknachricht des MotoGP-Rückzugs am Saisonende stand Suzuki zu Beginn des Wochenendes in Le Mans klar im Fokus. Erstmals mussten sich Fahrer und Manager den Fragen stellen. Und was Suppo im Moment leisten muss, kann ich mir nur schwer vorstellen.

Livio Suppo muss eine Mannschaft motivieren, die bald arbeitslos sein wird

Er weiß, dass er demnächst arbeitslos sein wird, muss teamintern aber alles dafür tun, um die Moral oben zu halten. Zu den Aufgaben eines Teammanagers zählt auch, aus jedem einzelnen Teammitglied das Maximum herauszuholen. Nur wie motiviert man Leute, die in absehbarer Zeit ihren Job verlieren? Das ist keine einfache Aufgabe.

Joan Mir und Suzuki-Teamkollege Alex Rins stürzten beim ersten MotoGP-Rennen nach der Schockbotschaft. Ob die Gedanken an das Suzuki-Aus dabei eine Rolle spielten? Ich meine, die Annahme liegt in diesem Fall ja sehr nahe.

Dass die Stürze eine Folge der Schocknachricht waren, denke ich aber nicht. Es waren Fehler, die passieren können, wenn man 45 Minuten lang am absoluten Limit fahren muss.

Alex Rins zählt nicht mehr zu den unmittelbaren WM-Anwärtern

Mit einem Blick auf die WM-Hoffnungen war die doppelte Nullrunde natürlich ein herber Rückschlag. Für Rins war es bereits das zweite Rennen in Folge ohne Punkte. Den Anschluss an die WM-Spitze hat der Spanier dadurch vorerst verloren.

Alex Rins

Glück im Unglück: Alex Rins hätte beinahe die Führungsgruppe torpediert Zoom

Genau genommen kann sich Rins nach dem Rennen sogar glücklich schätzen. Sein Ausritt in Kurve 1 hätte auch anders enden können. Ich will mir gar nicht vorstellen, was passiert wäre, wenn Rins mit seiner Suzuki weiter innen auf die Strecke zurückgekehrt und mit der Spitzengruppe kollidiert wäre.

Joan Mir noch ohne Podium in der laufenden MotoGP-Saison

In der anderen Seite der Box wächst der Frust spürbar. Ex-Weltmeister Joan Mir verlässt Le Mans nur als WM-Neunter. In der laufenden Saison schaffte es Mir noch nicht einmal aufs Podium. Und für 2023 hat der Champion von 2020 noch keinen Vertrag.

Joan Mir

Ex-Weltmeister Joan Mir schied in Le Mans durch einen Sturz aus Zoom

Das gilt auch für Rins. Ich frage mich, wie viel Zeit und Geld Suzuki in diesem Jahr noch in die GSX-RR stecken wird. Ich meine, wozu sollte man noch einmal wertvolle Ressourcen opfern, wenn in sechs Monaten ohnehin alles zugesperrt wird? Für Rins und Mir sind das keine guten Aussichten, denn sie müssen sich empfehlen.

Kann Livio Suppo das Team und die Fahrer noch einmal richtig antreiben?

Und das bringt mich zurück zu Livio Suppo. Die Motivation der Fahrer ist eine seiner wichtigsten Aufgaben. Ich hoffe, dass die Gedanken an die offene Zukunft bei den kommenden Grands Prix keine zu große Ablenkung darstellen für das Suzuki-Duo.

Livio Suppo

Livio Suppo steht vor schwierigen Wochen und Monaten Zoom

Unterm Strich sind auch MotoGP-Superhelden nur Menschen. Und wenn der Kopf zu Beginn eines Wochenendes nicht frei ist, dann dreht sich die Abwärtsspirale immer schneller. Und in der modernen MotoGP geht es extrem eng zu. Kleinste Unterschiede werfen Spitzenfahrer schnell aus den Top 10.

Also ich möchte wirklich nicht mit Suppo tauschen, der sein eigenes Ego vorerst komplett ausblenden muss, um zu retten, was zu retten ist. Vor dem vorerst letzten Suzuki-Teammanager in der MotoGP stehen harte Wochen und Monate.

Verabschiedet sich Suzuki für immer aus der MotoGP?

Seit der Nachricht über Suzukis bevorstehenden Rückzug aus der MotoGP geistert mir eine Frage durch den Kopf. Wird man die Traditionsmarke mit dem großen "S" jemals wieder im Grand-Prix-Sport sehen? Werden die Vorstände in Japan in der Zukunft noch einmal die Mittel haben, um so ein großes Projekt zu ermöglichen?

Joan Mir, Alex Rins

Aktuell ist ungewiss, ob Suzuki jemals wieder in die MotoGP zurückkehrt Zoom

Allzu optimistisch bin ich da leider nicht, wenn ich ehrlich sein soll. Die MotoGP entwickelt sich schnell weiter und die neuen Herausforderungen der Zukunft werden sicher nicht dafür sorgen, dass es einfacher wird, den Anschluss erneut herzustellen, wenn man einige Jahre pausiert hat.

Superbike-WM als Alternative zum MotoGP-Projekt?

Und auch das Light-Programm, die Rückkehr in die Superbike-WM, sehe ich aktuell überhaupt nicht. Erstens verfügt Suzuki aktuell über kein besonders aktuelles Serien-Superbike.

Die GSX-R1000 ist sicher kein schlechtes Motorrad, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass man damit in der WSBK vorne mitmischen kann. Man muss sich ja nur anschauen, welche Probleme Honda hat, obwohl man ein waschechtes Werksteam an den Start schickt.

Alex Lowes

In der WSBK-Saison 2015 gab es zuletzt ein Suzuki-Team Zoom

Zweitens sehe ich nicht, dass Suzuki zeitnah eine nachgeschärfte GSX-R1000 auflegt, wenn man sich vor Augen führt, dass sportliche Motorräder momentan nicht gerade als Cashcow gelten. Warum also große Summen in die Entwicklung eines Modells investieren, mit dem man keinen oder kaum Gewinn erzielt?

Das dritte Argument gegen ein WSBK-Engagement ist das fehlende Budget für irgendeine Art des Rennsports. So wie ich es verstanden habe, hat Suzuki wirklich jedes Racing-Budget gestrichen. Klar, die Superbike-WM ist sicher günstiger als die MotoGP. Aber ohne zweistellige Millionenbeträge ist auch in der WSBK nicht viel zu machen.

Suzuki GSX-R1000

Suzuki GSX-R1000: Moderne MotoGP-Technologien sucht man vergeblich Zoom

Welche Erwartungen habt ihr? Zieht sich Suzuki in sechs Monaten für immer aus dem Motorrad-Rennsport zurück oder besteht Hoffnung, dass man die Japaner doch noch einmal wiedersieht? Sagt es mir doch, auf Facebook unter "Sebastian Fränzschky - Motorsport-Journalist". Dort gibt es meine Texte, Insiderinfos, Meinungen und Einschätzungen zu aktuellen Themen. Und natürlich die Möglichkeit, diese Kolumne zu diskutieren!

Livio Suppo dürfte ein mögliches Suzuki-Comeback in der fernen Zukunft reichlich egal sein. Suppo feiert in zwei Jahren seinen 60. Geburtstag und wird sicher nicht mehr ewig um die Welt fliegen wollen. Zuerst einmal muss er den Rest der MotoGP-Saison 2022 meistern. Und das wird keine einfache Aufgabe.

Sportliche Grüße,

Sebastian Fränzschky