Warum Jorge Martin für Aprilia ein zweischneidiges Schwert ist
Mit dem amtierenden Weltmeister Jorge Martin will Aprilia die Lücke zur Spitze schließen - Doch damit wächst auch der Druck, wirklich abzuliefern
(Motorsport-Total.com) - Die Verpflichtung von Jorge Martin ist ein klares Signal, dass Aprilia ernsthafte Ambitionen hat, sich endgültig als zweitstärkste Kraft in der MotoGP-Weltmeisterschaft zu etablieren. Doch die neue Ära bringt sowohl Chancen als auch Risiken.

© Aprilia Racing
Massimo Rivola (Mitte) mit Jorge Martin (links) und Marco Bezzecchi Zoom
Im vergangenen Jahr stagnierte der Transfermarkt in der MotoGP eine ganze Weile, bis Ducati Marc Marquez als neuen Teamkollegen von Francesco Bagnaia für die Jahre 2025 und 2026 auserkor. Nach dieser Entscheidung rund um das Rennwochenende in Mugello reagierten Jorge Martin und Aprilia umgehend.
Martin, der sich nicht für den Ducati-Werksplatz qualifizieren konnte, verkündete seinen Wechsel zu Aprilia, noch bevor Ducati und Marquez offiziell ihre Partnerschaft bestätigten.
Aprilia veröffentlichte ein improvisiertes Video auf Instagram, das die Ankündigung vorwegnahm. Dies wurde als geschickter Schachzug der Kommunikation des Herstellers aus Noale gewertet, auch wenn klar war, dass Ducati die Fäden in der Hand hielt.
Ein halbes Jahr nach diesem intensiven Rennwochenende stellte sich Martin Mitte Januar als neues Aushängeschild von Aprilia vor - als amtierender Champion mit der Startnummer 1. Dieser Neuzugang ist für Aprilia eine enorme Chance, aber auch eine Verpflichtung, endlich die nächste Stufe zu erreichen und nicht wie in den letzten beiden Saisons am Ende hinter den Erwartungen zurückzubleiben.
Ausgangslage für Aprilia erscheint ideal
Aprilia ist sich der Herausforderung durchaus bewusst. Während Ducati 2024 sein erfolgreichstes Jahr erlebte und die Saison klar dominierte, fiel Aprilia leicht zurück und landete auf Rang drei in der Konstrukteurswertung - hinter KTM.
KTM verteidigte Platz zwei aus dem Vorjahr trotz interner Schwierigkeiten und massiver Schulden, die die Österreicher dazu zwingen könnten, die MotoGP 2026 zu verlassen.
In diesem Kontext erscheint die Ausgangslage für Aprilia ideal, um KTM zu überholen. Gleichzeitig bleiben Honda und Yamaha in einer tiefen Krise stecken. Trotz technischer Zugeständnisse und Freiheiten dürften beide Schwierigkeiten haben, den Rückstand bis zur Reglement-Revolution 2027 aufzuholen.
Aprilia hat also das perfekte Szenario vor sich, um weiter zu wachsen, aber es läuft auch Gefahr, bloßgestellt zu werden, wenn der erwartete Schritt ausbleiben sollte.
Mit Jorge Martin an Bord ist die Frage nach der Qualität des Fahrers vom Tisch und der Fokus liegt nun auf der Maschine - die andere Variable in der Gleichung. "Mit Jorge haben wir Motivation und Verantwortung zugleich", sagte Massimo Rivola, CEO von Aprilia Racing, bei der Präsentation vor anderthalb Wochen.
"Aprilia kann ihm einen guten Platz und ein gutes Motorrad geben, mit dem er gewinnen kann. Es ist klar, dass wir nicht die Benchmark sind, und wir wissen auch, welches Motorrad es ist. Unser Ziel ist es, eine Alternative zu diesem Maßstab zu sein."
Das Duo Martin und Bezzecchi
Aleix Espargaro, der drei von vier Aprilia-Siegen in der MotoGP-Geschichte errang und maßgeblich am Wechsel von Martin beteiligt war, ist überzeugt: "Jorge hat das Talent, um mit diesem Motorrad um den Titel zu kämpfen. Ich sage nicht, dass er es sofort schaffen wird, aber ich glaube, dass er es schaffen kann."
Neben Martin wird Marco Bezzecchi in der kommenden Saison für Aprilia antreten. Von ihm wird erwartet, dass er die Konstanz findet, die ihm im letzten Jahr fehlte. Mit ihm und Martin verfügen Rivola und sein Team über eine der stärksten Fahrerpaarungen im aktuellen Feld. Und diese gilt es zu nutzen.
Dabei deuten mehrere Indikatoren darauf hin, dass die Verpflichtung des Weltmeisters nicht nur das Ergebnis einer einfachen Gelegenheit ist, die der Markt bietet, sondern von einem echten Wachstumswillen begleitet wird. Dieser spiegelt sich auch im neuen Stellenwert des Satellitenteams von Trackhouse wider.
Technische Ambitionen und neue Strukturen
Hier hat Aprilia aus früheren Fehlern gelernt. Während Raul Fernandez die Hälfte der vergangenen Saison noch mit einem Vorjahresmodell auskommen musste, wird das Team bei den ersten Tests in Sepang zehn RS-GP25-Maschinen bereitstellen.
Das bedeutet, zwei aktuelle Prototypen für jeden Fahrer - sowohl im Werksteam (Martin und Bezzecchi) als auch im Satellitenteam Trackhouse (Fernandez und Ai Ogura) - und zwei für das Testteam, das von Lorenzo Savadori angeführt wird.
Fabiano Sterlacchini, der als neuer Technischer Direktor erst kürzlich von KTM zu Aprilia stieß, betonte die Bedeutung dieser Strategie: "Jorge kommt als Weltmeister von der Referenzmaschine. Das wird uns helfen, uns selbst einzuschätzen und zu wissen, worauf wir uns konzentrieren müssen, was ein Schlüsselaspekt ist."
"Wir wollen an die Spitze, aber dafür müssen wir Schritte unternehmen. Als Erstes müssen sich die Fahrer, die neu sind, vollständig an ihr neues Motorrad gewöhnen. Nur dann können sie die maximale Leistung aus dem Motorrad herausholen."
Trotz aller Ambitionen weiß Aprilia, dass die Verpflichtung Martins nicht nur Chancen, sondern auch Risiken birgt. "Wenn wir scheitern, wird es an uns liegen, nicht an ihm", gibt Rivola offen zu. Die Startnummer 1 auf Martins Maschine ist eine Auszeichnung, die Druck erzeugt - und gleichzeitig eine große Chance darstellt, sich als ernstzunehmender Herausforderer in der MotoGP zu etablieren.


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