MotoGP-Kolumne: Das Reifenchaos von Argentinien

Das Chaos in Argentinien steigert das Interesse an der MotoGP - Redakteur Ruben Zimmermann macht sich Gedanken, ob das für die Serie wirklich positiv ist

Liebe MotoGP-Fans,

Titel-Bild zur News: Scott Redding

Der Hinterreifen an Scott Reddings Ducati platzte aus bisher unbekannten Gründen Zoom

ein altes Sprichwort besagt: "Jede Publicity ist gute Publicity!" Wenn dieser Satz stimmt, dann hat unsere geliebte MotoGP an diesem Wochenende alles richtig gemacht, denn Schlagzeilen fabrizierte die Königsklasse des Motorradsports in Argentinien zur Genüge. Der einzige Haken an der Sache: Die meisten dieser Schlagzeilen waren stark negativ behaftet. Auslöser des ganzen Dramas war der Reifenplatzer von Scott Redding im vierten Freien Training.

Ab diesem Moment explodierte das Interesse an der MotoGP geradezu. Das konnten wir unter anderem auch anhand unserer Aufrufzahlen erkennen. Unser Live-Ticker hatte beispielsweise ab Samstagabend deutlich mehr Aufrufe zu verzeichnen als an einem "normalen" Rennwochenende. Selbst die Kollegen von der Formel 1 hängten wir teilweise (deutlich!) ab - das passiert nur in absoluten Ausnahmefällen.

Trotzdem hätte vor allem Reifenhersteller Michelin wohl gerne auf diese Art der Publicity verzichtet, denn für die Franzosen war das Wochenende in Termas de Rio Hondo ein absolutes Desaster. Und damit meine ich noch nicht einmal zwingend den Reifenplatzer selbst, sondern vielmehr die anschließende Farce, bei der es gefühlt alle zwei Minuten eine neue Entwicklung gab.

Wochenende verkommt zur Farce

Das ging bereits im vierten Training los, als man die Strecke nach dem Vorfall zunächst wieder freigab, die Session kurze Zeit später aber noch ein weiteres Mal unterbrach - und anschließend doch noch ein drittes Mal freigab. Wenn Michelin die Sicherheit zu diesem Zeitpunkt bereits nicht mehr garantieren konnte, hätte man die Session eigentlich komplett absagen müssen - und auch das folgende Qualifying.

Eins ist klar: Die Sicherheit der Piloten muss immer im Vordergrund stehen. Trotzdem wirkte der erneute Abbruch in FP4 eher wie eine Panikreaktion, die sogar noch zusätzlich zur Verunsicherung beitrug. Diesen Schuh muss sich natürlich nicht nur Michelin selbst anziehen, auch die Rennleitung hatte hier einen Anteil an dem Chaos. Richtig absurd wurde es allerdings ohnehin erst nach dem Qualifying.

Michelin kündigte an, beide Reifenmischungen zu streichen und für Sonntag einen komplett neuen Pneu zu bringen. Das alleine ist schon kurios, weil keiner der Piloten jemals zuvor mit diesem ominösen "Spezialreifen" gefahren ist. Am Sonntagvormittag dann die nächste Rolle rückwärts: Doch kein Ersatzreifen, stattdessen waren die ursprünglichen Mischungen plötzlich wieder im Spiel. Dieses Hin und Her (die aktuelle Qualifyingdiskussion in der Formel 1 lässt grüßen...) wirkte alles andere als professionell.

PR-Debakel für Michelin

Nicolas Goubert

Nicolas Goubert würde das Wochenende in Argentinien wohl gerne schnell vergessen Zoom

Zugegeben, der Regen in der Nacht von Samstag auf Sonntag hat die Situation für Michelin zusätzlich erschwert. Trotzdem kamen sich viele Fans vor wie in einer Slapstick-Komödie mit Michelins Technikchef Nicolas Goubert in der Hauptrolle. Dass das Rennen letztendlich doch noch über die Bühne gehen konnte, wenn auch nur mit einem vorgeschriebenen Bikewechsel, grenzt da fast schon an ein Wunder.

Bei vielen Motorsportfans kamen unweigerlich Erinnerungen an das Formel-1-Rennen 2005 in Indianapolis hoch. Auch damals hielten die Reifen von Michelin im Training nicht, was letztendlich dazu führte, dass in dem besagtem Rennen lediglich die drei Bridgestone-bereiften Teams an den Start gingen. Dieses dunkle Kapitel hatte man in Clermont-Ferrand eigentlich bereits ganz tief im Giftschrank verschlossen.

Besonders bitter: Als sich Michelin im vergangenen Jahr für eine Rückkehr in die Formel 1 interessierte, erklärte Sportchef Pascal Couasnon noch, dass man "keinen Reifen für zehn Runden" herstellen wolle. Dass die MotoGP-Piloten in Argentinien nun maximal elf Runden auf den Pneus fahren durften, ist aus PR-Sicht nach den vollmundigen Aussagen von damals nichts anderes als ein komplettes Debakel.

Wie geht es nun weiter?

Und auch auf die MotoGP, die diese Art von Publicity eigentlich gar nicht nötig hat, wirft der ganze Vorfall kein gutes Licht. Dass die Dorna auf diese Art von Schlagzeilen gut verzichten kann, ist spätestens seit der verbalen Schlammschlacht zwischen Valentino Rossi und Marc Marquez im vergangenen Jahr klar. Der Promoter versuchte damals alles, um nicht noch weiteres Öl ins Feuer zu gießen - wenn auch nur mit mäßigem Erfolg.


Fotos: MotoGP in Termas de Rio Hondo


Letztendlich muss jeder für sich selbst entscheiden, was für eine MotoGP er sehen möchte. Ja, der Vorfall hat das Interesse an der Serie ganz sicher gesteigert - zumindest kurzfristig. Doch um welchen Preis? Wollen wir uns wirklich in Richtung der Formel 1 bewegen, die eigentlich nur noch durch (politisch geprägte) Negativschlagzeilen auf sich aufmerksam macht? Diese Befürchtung haben viele unserer Leser bereits.

Oder wollen wir auch weiterhin eine Serie, in der spannende Rad-an-Rad-Kämpfe und heiße Duelle bei weit mehr als 300 km/h im Vordergrund stehen? Davon gab es an diesem Wochenende nämlich auch wieder eine ganze Menge. Wirklich interessiert hat das allerdings offenbar nur die Wenigsten...

Ihr

Ruben Zimmermann

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