Crutchlow cruist in Brünn zu "bestem Gefühl" seiner Karriere

Der frischgebackene MotoGP-Sieger Cal Crutchlow spricht nach dem Brünn-Rennen über seine perfekte Strategie & den hüpfenden Teamchef - Kampf mit Miller?

(Motorsport-Total.com) - 35 Jahre mussten sich die Briten gedulden, bis am verregneten Rennsonntag in Brünn die Sternstunde des Cal Crutchlow schlagen sollte. Der LCR-Honda-Pilot holte überraschend seinen ersten MotoGP-Erfolg vor Valentino Rossi und Marc Marquez. Sein Trumpf waren die harten Regenreifen, für die er sich kurz vor dem Start entschieden hatte. Damit konnte er bei auftrocknenden Bedingungen den Unterschied ausmachen und Barry Sheene als bisher letzten Briten auf dem Siegespodest ablösen.

Titel-Bild zur News: Cal Crutchlow

Cal Crutchlow hat in Brünn allen Grund zur Freude: Erster Sieg in der MotoGP Zoom

"Carmelo (Ezpeleta; Anm. d. Red.) hat mich daran erinnert, dass es bereits 35 Jahre her ist, seit Barry Sheene ein Rennen gewonnen hat. Allein schon im gleichen Satz mit Barry Sheene genannt zu werden, ist bereits sehr speziell", freut sich der 30-Jährige am Sonntagabend. "Den schönsten emotionalen Moment hatte ich vor drei Wochen, als Willow geboren wurde. Das kann man also nicht vergleichen. Aber es ist der beste Tag und das beste Gefühl in meiner Karriere als Rennfahrer. Hoffentlich passiert das bald wieder. Nichts ist besser, als zu gewinnen", plaudert der Vater einer Tochter.

Am Vortag sah die Situation hingegen noch etwas anders aus: "Gestern habe ich ein Desaster angerichtet, ich musste mich bei meinem Team und Honda entschuldigen", schildert der frischgebackene Sieger. Er kam im vierten Training kurz vor dem Qualifying in Kurve elf zu Sturz, seine Honda wurde durch die Wucht des Aufpralls in die Luft und über den Fangzaun geschleudert. "Ich denke nicht, dass da ein einziges Teil am Bike ganz geblieben ist, nachdem es sechs Meter in die Luft geschleudert wurde. Nur der Motor blieb ganz. Sie haben also hart gearbeitet, damit ich heute ein Bike hatte. Es tut gut, ihnen das jetzt zurückzugeben", freut er sich über das versöhnliche Ende.

Reifenwahl erst in der Startaufstellung

Er bestätigt in der Pressekonferenz am Abend, dass die Strategie entscheidend war: "Wir haben ein schwieriges Rennen gewonnen und die beste Reifenwahl getroffen." Für ihn war klar: Fährt er mit dem harten Hinterreifen, dann muss auch auf der Vorderachse der harte Pneu montiert werden: "Ich dachte, dass es auf der Honda schwierig sein würde, einen weichen und einen harten Reifen zu verwenden." Ansonsten traute sich lediglich Loris Baz, der sensationeller Vierter wurde, diese Reifenstrategie zu fahren. Die Yamahas fuhren weich vorne und hart hinten.


MotoGP in Brünn

"Die Entscheidung habe ich erst in der Startaufstellung getroffen", verrät er. "Ich bin mit den weichen Reifen auf den Grid gefahren. Ich dachte, der harte Hinterreifen würde das Rennen nicht überstehen. Ich wusste nicht, ob das die beste Entscheidung ist. Dann habe ich aber gesagt: Okay, wenn ich schon mit dem harten Hinterreifen fahre, dann auch mit dem harten Vorderreifen. Bei jenen Bedingungen war ich mir sicher, dass zumindest der harte Vorderreifen passen würde, nur hinten war ich mir nicht sicher."

In den ersten fünf Runden sei es schwierig gewesen, vor allem den Hinterreifen auf der linken Seite aufzuwärmen. In dieser Phase - vom zehnten Platz aus gestartet, fiel er zu Beginn bis auf den 15. Rang zurück - wäre er "fast ein paar Mal" gecrasht. "Als es aufgetrocknet hat, war es perfekt." Denn: "Ich hatte so viel Grip im Vergleich zu den anderen Jungs auf den weichen Reifen, ich habe mit ihnen gespielt. Ich bin herumgecruist."

Der eigene Teamchef sorgt für Ablenkung

Crutchlow sorgt außerdem für gute Stimmung im Pressezentrum, als er erzählt, was ihn in Führung liegend wirklich abgelenkt hat: "Das war ein langes Rennen, vor allem wenn Lucio (Cecchinello; Anm. d. Red.) über der Boxenmauer hängt. Am liebsten hätte ich den Finger rausgestreckt und ihm gesagt, er soll gefälligst in die Box gehen und einen Kaffee trinken. Das hat mich ziemlich abgelenkt." In Runde 16 von 22 konnte er die Führung von Andrea Iannone übernehmen: "Was sollst du auch machen, wenn dir jemand sagt, dass du langsamer machen sollst, wenn du eh nur noch cruist. Aber natürlich verstehe ich seine Situation - ich wäre wahrscheinlich noch schlimmer draufgewesen, wenn mir das Team gehören würde", schmunzelt er.

Cal Crutchlow

Von Platz 15 auf Platz eins in 16 Runden: Cal Crutchlow zündet im Regen den Turbo Zoom

In den letzten sechs Führungsrunden hat er sich trotzdem nicht ablenken lassen, nur Rossi im Nacken bereitete ihm vorerst noch Sorgen: "Das ist jetzt kein Scherz: Ich habe auf die Leinwand geschaut, und dort habe ich gesehen, dass Valentino rankommt. Zumindest dachte ich das. Eigentlich war es Hector, der jemanden überholt hat, glaube ich. Dann wusste ich, dass ich wegfahren muss. Ich wusste nicht, ob er auch den harten Vorderreifen draufhatte. Ich habe begonnen zu pushen, dann sah ich, dass der Abstand immer größer wird - von einer auf über vier Sekunden." Im Ziel hatte er sogar sieben Sekunden Vorsprung auf Rossi, bereits neun auf Marquez. (Zum Ergebnis des Rennens!)

In dieser für Crutchlow neuen Situation musste er sich erst zurechtfinden: "In der viertletzten Runde hatte ich fast einen Crash in Kurve zehn. Ich habe in den sechsten Gang geschaltet, wo wir eigentlich mit dem fünften fahren. Danach habe ich zu mir gesagt, ich muss mich jetzt beruhigen. Aber eigentlich bin ich nur gecruist. Als ich verstanden habe, dass mich keiner mehr einholen wird, bin ich nur noch herumgefahren und wollte sichergehen, dass ich das Rennen beende."

Crutchlow: "Hätte Kampf mit Miller gegeben"

Crutchlow gibt aber auch zu, dass er einen härteren Sonntag gehabt hätte, wäre sein Kumpel und Assen-Sieger Jack Miller, der verletzungsbedingt aussetzen musst, mitgefahren: "Zehn Minuten vor dem Rennen haben wir über die Reifenwahl gesprochen und ich sagte ihm, dass ich vielleicht mit den harten Reifen fahren werde. Er sagte mir, dass er das auch gemacht hätte. Es wäre ein Kampf mit ihm geworden, weil er auch riskiert hätte."

Doch auch ein Valentino Rossi, der selbst eine starke Aufholjagd von Platz zwölf aus startete und noch Zweiter wurde, konnte ihn heute nicht gefährden. Er freut sich mit dem Briten: "Ich habe Cal schon gratuliert, er verdient den Sieg. Ich freue mich sehr für ihn, weil er einer der lustigsten Jungs in der MotoGP ist. Wir haben eine gute Beziehung. Der Sieg kommt zu einer speziellen Zeit, weil er ja auch Vater geworden ist."

Und auch WM-Leader Marc Marquez schließt sich der Gratulation an: "Ich stimme Valentino zu. Wir haben schon so manchen Abend gemeinsam verbracht und über das Bike gesprochen. Ich freue mich für ihn und seine kleine Familie. Er ist wirklich ein netter Kerl", so der Markenkollege, der sogar noch ein paar Küsschen in Richtung Crutchlow hinterherschickt.

Vorfreude auf Silverstone - Verbesserungspotenzial im Qualifying

Die bisherige Saison des Briten verlief durchwachsen. Die ersten beiden Saisonrennen konnte er nicht beenden, dazu kamen Ausfälle in Le Mans und Assen. Doch bereits in Deutschland konnte er mit dem zweiten Platz im Regen aufzeigen. "Es war nicht so schlimm, wie es auf dem Papier aussieht. Am vergangenen Wochenende dachte ich, wir können in Österreich sogar im Trockenen ein gutes Ergebnis einfahren. Der Saisonbeginn war nicht so toll. Wir hatten Probleme mit den Michelin-Reifen und meinem Fahrstil."

Er sieht immer noch Verbesserungsbedarf: "Wir müssen uns vor allem über eine schnelle Runde noch verbessern. Wir müssen sichergehen, dass wir sofort im Q2 sind und dort einen besseren Job machen." Nun steht sein Heimrennen in Silverstone bevor. Was erwartet der frischgebackene Sieger dort? "Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Diese Strecke sollte besser für unser Bike sein. Die meisten Kurven schlingen sich um den Kurs, daher ist die Beschleunigung nicht so schlimm. Wir sehen ein bisschen konkurrenzfähiger aus, und natürlich freue ich mich auf mein Heimrennen."