• 07.04.2024 19:09

  • von Casanova, Gomez, Übersetzung: Fritzsche

Carlos Ezpeleta im Interview: "Alles, was Liberty einbringen kann, wird gut sein"

Dorna-Sportdirektor Carlos Ezpeleta spricht ausführlich über den Einstieg von Liberty Media in die Motorrad-WM: Stand der Dinge, Auswirkungen, Pläne und mehr

(Motorsport-Total.com) - Angesichts des Datums der Bekanntgabe glaubten manche an einen Aprilscherz. Aber das, was am 1. April verkündet wurde, ist tatsächlich wahr: Liberty Media, der in den Vereinigten Staaten ansässige Rechteinhaber der Formel 1, übernimmt Dorna Sports, den in Spanien ansässigen Rechteinhaber der Motorrad-Weltmeisterschaft mit ihrer Königsklasse MotoGP.

Titel-Bild zur News: Carlos Ezpeleta

Carlos Ezpeleta, Dorna-Sportdirektor und Sohn von Dorna-CEO Carmelo Ezpeleta Zoom

Aufsetzend auf die offizielle Bekanntgabe vom 1. April, die sich wenige Tage vorher abgezeichnet hatte, gibt Dorna-Sportdirektor Carlos Ezpeleta für Por Orejas, dem Podcast von Motorsport.com Spanien, einer Schwesterplattform von Motorsport-Total.com im Motorsport Network, nun tiefere Einblicke in die Materie.

So spricht Ezpeleta im Interview unter anderem über den aktuellen Stand der Übernahme, über die Auswirkungen auf die Motorrad-WM, über die Zukunft der MotoGP-Szene in den USA, über mögliche gemeinsame Rennwochenenden mit der Formel 1 oder der Superbike-Weltmeisterschaft (WSBK) sowie über den aktuellen und zukünftigen Status der kleinen Klassen Moto2 und Moto3.

Frage: "Herr Ezpeleta, der MotoGP-Verkauf von Dorna an Liberty ist unterzeichnet worden. Ist das in Ihren Augen eine positive Nachricht?"

Carlos Ezpeleta: "Ja, die Vereinbarung wurde kürzlich bekanntgegeben. Wir sind sehr glücklich. Es gibt da natürlich mehrere Blickwinkel. Aber in erster Linie ist es ein Glücksgefühl für die gesamte Weltmeisterschaft und natürlich für die Dorna. Meiner Meinung nach ist es eine Anerkennung für die Arbeit, dass ein Konzern wie Liberty in MotoGP und die anderen Meisterschaften der Dorna investieren wollte. Darüber sind wir sehr glücklich."

"Zunächst einmal bedeutet das, dass die Transaktion wegen der Wettbewerbsfrage in Europa (Formel 1 und MotoGP unter einem Dach; Anm. d. Red.) etwa neun Monate dauern wird. Liberty ist überzeugt davon, dass die Transaktion reibungslos verlaufen wird. Für den Moment haben wir also diese Übergangszeit. Für die Zukunft glaube ich, dass alles, was Liberty einbringen kann, gut sein wird."

"Ich denke, MotoGP ist im Moment ein unglaublich guter Sport. Drei Jahrzehnte lang hat er zusammen mit der FIM, den Teams und den Herstellern sehr gut funktioniert. Der Einstieg von Liberty bedeutet, dass wir den Sport für unser Publikum öffnen, eine neue Art von Fans zu diesem Sport bringen und auch in der Lage sind, unseren bestehenden Fans ein besseres Erlebnis zu bieten. Ich denke, das alles ist gut."

Was sich mit Liberty verändern wird und was nicht

Frage: "Welche Veränderungen erwarten Sie und wann werden diese eintreten?"

Ezpeleta: "Nun, zunächst einmal ist es nicht MotoGP, sondern die Dorna, also die Firma, die sowohl die MotoGP-WM als auch die Superbike-WM sowie die MotoE-WM und das gesamte Portfolio der anderen Meisterschaften verwaltet. Bislang hatten wir zwei Finanzpartner, die zusammen etwa 80 Prozent der Unternehmensanteile hielten. Das ist im Grunde der Teil, den jetzt Liberty erwirbt."

Start zum MotoGP-Sprint beim GP Portugal 2024 in Portimao

Start zum MotoGP-Sprint beim GP Portugal 2024 in Portimao Zoom

"Das Management wird fortgesetzt, die Leitung des Unternehmens geht weiter, und wir halten für den Moment weiterhin 15 Prozent der Dorna-Anteile. Es gibt also keine drastischen Veränderungen in dem Sinne, denn das Management wird fortgesetzt mit dem Erbe, wie die Dinge bisher gelaufen sind. Da es sich um ein so großes Unternehmen handelt, gibt es immer ein paar undichte Stellen, die für Lärm sorgen. Das ist nun mal so."

"Ich glaube, dass die MotoGP-Fans glücklich sein dürfen, dass sie weiterhin einen unglaublichen Sport genießen können. Um es, milde ausgedrückt, wenig objektiv zu betrachten, sprechen wir hier vielleicht vom unterhaltsamsten Motorsport weltweit. Unser Ziel ist es, das Ganze so fortzusetzen wie es über viele, viele Jahre aufgebaut wurde. Das beinhaltet auch kontinuierliche Verbesserungen der Regeln, wann immer wir können. Das bleibt das Hauptziel des Unternehmens."

Frage: "Obwohl die endgültige Vereinbarung noch von den Wettbewerbsbehörden genehmigt werden muss, hat man den Eindruck, dass das Thema schon so gut wie durch ist, oder?"

Ezpeleta: "Nun, das ist eine Frage für Liberty. Sowohl sie als auch wir sind sehr zuversichtlich, dass es gut laufen wird. Wir sind überzeugt, dass es das wird."

Frage: "Der neue Eigentümer ist ein Unternehmen, das sich auf Entertainment und Showbusiness konzentriert. Wie wird sich das auf die MotoGP-Welt auswirken?"

Ezpeleta: "Was die Art des Investors angeht, so sind wir sehr stolz, dass Liberty in die MotoGP-Welt einsteigt. Wir sind seit 30 Jahren mit Finanzpartnern verbunden, die es uns ermöglicht haben, dorthin zu kommen, wo wir jetzt sind. In den vergangenen paar Jahren hatten wir ein unglaubliches Wachstum, sowohl finanziell als auch was die Ausbreitung dieses Sports weltweit betrifft."

"Jetzt haben wir einen anderen Partner, der meiner Meinung nach noch viel mehr und andere Dinge einbringen wird. Natürlich sind die gesamte Marke, die Sichtbarkeit für die Fans und die Kommunikation sehr wichtig für sie. Das alles war auch schon für uns wichtig."

Mit Liberty mehr MotoGP-Rennen in den USA?

Frage: "Könnte der Einstieg eines so großen amerikanischen Unternehmens ein schnellerer Weg sein, um mehr Grands Prix in den Vereinigten Staaten auszurichten?"

Ezpeleta: "Zunächst einmal ist das Interesse an den Vereinigten Staaten allen Sportarten gemein, unabhängig davon, woher die Investoren kommen. Es ist etwas, das alle Sportarten anstreben: ein Wachstum in den Vereinigten Staaten. Es liegt auf der Hand, dass Liberty als Partner dieses Wachstum sicherlich begünstigen wird."

USA-Flagge

Gibt es neben Austin künftig weitere MotoGP-Rennen in den USA? Zoom

"Wir verweisen auf eine bedeutende Vergangenheit in den Vereinigten Staaten. Es überrascht viele Leute, sogar diejenigen von uns, die in der Weltmeisterschaft arbeiten, dass die Vereinigten Staaten mehr Champions in der Königsklasse hatten als zum Beispiel Spanien. Tatsächlich sind es sogar fast doppelt so viele. Es gibt also eine wichtige Vergangenheit, die mit diesem Markt verbunden ist."

"Zweifellos ist dieser Markt interessant, weil er kulturell, gesellschaftlich, wirtschaftlich und auch wegen seiner wirtschaftlichen Auswirkungen auf das Geschäft weltweit führend ist. Es ist auch ein Markt, der zu einem großen Teil in einer Zeitzone liegt, die sehr gut für Europa ist. Es ist also unser Markt, immer noch unser Hauptmarkt. Auf der anderen Seite ist es auch für die Vereinigten Staaten sehr attraktiv, Rennen zu haben, die in Europa am Nachmittag stattfinden. Auch das ist ein interessanter Aspekt."

"Und dann sind da all die Unternehmen, die nach dem Kauf der Formel 1 aufgetaucht sind, um in den Sport, die Teams, die Fahrer und so weiter zu investieren. Das Ganze ist also sehr interessant und es ist klar, dass Liberty uns mehr helfen kann als andere. Ehrlich gesagt sind wir schon lange darauf fixiert."

"Grundsätzlich ist es ein sehr komplizierter Markt für alle Sportarten. Was die Formel 1 geschafft hat, das ist eher die Ausnahme als die Regel. Es gab schon viele Sportarten, die versucht haben, in den Vereinigten Staaten zu wachsen, aber das ist wirklich kompliziert."

"Was noch hinzukommt: Sie sehen es als einen völlig anderen Sport an als ihre Sportarten. Abgesehen davon glaube ich, dass wir extrem wichtige und positive Qualitäten für die Vereinigten Staaten haben. Es gibt keine vergleichbaren, starken Meisterschaften, um die man auf nationaler Ebene kämpfen müsste, wie es die Formel 1 vielleicht mit NASCAR oder IndyCar tun musste. Das haben wir nicht. Wir sind ganz klar die weltweite Referenz im Zweiradsport."

"Das Einzige, was fehlt, ist die Sichtbarkeit in den Vereinigten Staaten. Aber wir haben ein Produkt, das sehr einfach zu verstehen ist. Wir haben ein Produkt von 22 bis 25 Minuten am Samstag und 45 Minuten am Sonntag. Das ist extrem positiv für ein junges Publikum und mehr noch für ein amerikanisches Publikum. Wir glauben, all das kann uns zusammen mit den sportlichen Werten zu einer Referenz auf diesem Markt machen."

Gemeinsame Wochenenden mit Formel 1 oder WSBK?

Frage: "Schon seit einiger Zeit gibt es Gerüchte über ein gemeinsames Rennwochenende von Formel 1 und MotoGP. Ist diese Möglichkeit nun in dieser Vereinbarung enthalten?"

Ezpeleta: "Das ist etwas, was im Moment aus offensichtlichen Gründen nicht in den unmittelbaren Plänen steht und woran wir nicht arbeiten. Aber es ist auch nichts, was wir für die mittelfristige Zukunft ausschließen. Ehrlich gesagt ist es aber nur bedingt sinnvoll."

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"Schließlich unterscheidet sich unsere eigene Fangemeinde in den meisten Fällen von der Fangemeinde der Formel 1. Deren Rennen sind auf vielen Strecken ausverkauft und das gilt auch für unsere Rennen. Daher ist es schwierig, uns alle zu einer Veranstaltung am selben Wochenende zusammenzubringen. Der Mehrwert ist momentan nicht sehr klar."

"Abgesehen davon birgt das auch Probleme mit den unterschiedlichen Sponsoren, den Kameras und so weiter. Es wäre also ein ziemlich kompliziertes Projekt. Und es gibt auch nur wenige Rennstrecken, die beiden Rennserien austragen könnten. Es ist also ein Projekt, das nicht ausgeschlossen ist, aber auch keines, an dem wir arbeiten."

Frage: "Wie stehen die Chancen auf ein gemeinsames MotoGP-/WSBK-Rennwochenende?"

Ezpeleta: "Das ist etwas, worüber schon lange gesprochen wird. Um es ganz direkt zu sagen: Ich wüsste nicht, welchen Nutzen man davon hätte. Natürlich würde es die Präsenz der Superbike-WM stärken, aber ich glaube nicht, dass MotoGP viel damit zu tun hätte."

"Es gibt eine ziemlich große Schnittmenge an Fans. Die Leute, die zur Superbike-WM nach Montmelo (Barcelona; Anm. d. Red.) fahren, die fahren meiner Meinung nach auch für MotoGP dorthin. Also ergibt es nicht viel Sinn, beides zusammenzulegen, weil man nicht mehr Leute anziehen wird und man für beides bezahlen muss."

Aktueller und zukünftiger Status von Moto2 und Moto3

Frage: "Und wie sieht es mit einer Ausgliederung von Moto2 und Moto3 an einigen der MotoGP-Wochenenden aus?"

Ezpeleta: "Das ist nichts, was wir sehen. Ich weiß wirklich nicht, wo diese Gerüchte herkommen. Die Realität ist, dass die Moto2- und Moto3-Teams im Moment glücklich sind, bei allen Events der Weltmeisterschaft dabei zu sein. Das ist etwas, was für uns in jeglicher Hinsicht sehr wichtig ist: ein Event aufzubauen, das am Sonntag so viele Rennen auf einem so hohen Niveau hat."

Moto2-Action in Portimao 2024

Moto2 (Foto) und Moto3 sind für die Dorna von entscheidender Bedeutung Zoom

"Man kann deutlich sehen, welch große Bedeutung die Fahrer der Moto2- und Moto3-Klasse für das Wochenende haben. Die Fans kennen sie und ich glaube nicht, dass es irgendwelche anderen unterstützenden Rennserien gibt, wo man das in dieser Form findet. Pedro Acosta ist ein Phänomen aus Moto3 und Moto2 und die Leute fragen ihn nach Autogrammen. Die Fahrer dieser Klassen sind ein wesentlicher Teil der Weltmeisterschaft."

Frage: "Besteht nicht die Gefahr, dass die kleinen Klassen mit dem Liberty-Einstieg an Bedeutung verlieren, so wie es in der Formel-1-Szene geschehen ist?"

Ezpeleta: "Nun, ich glaube, das ist wie alles im Leben eine Grauzone. Man passt sich ein wenig an die Zeit an. Wir kommen aus einer Zeit, in der es, sagen wir mal vor 20 oder 30 Jahren, noch 500er-Teams ohne Box gab, weil ein 80er-Team eine Box hatte..."

"Wir kommen aus einer Zeit, in der 125er, 250er und 500er zahlenmäßig gesprochen fast gleichauf waren. Das hat sich verändert, weil es global gesehen einfach Sinn ergibt, nicht wahr? Dass wir das noch weiter treiben werden, würde ich aber nicht sagen. Denn selbstverständlich gibt es einige Dinge, bei denen es nicht möglich ist, noch weiter zu gehen."

"Die Formel 1 hat Rennen von fast zwei Stunden, um die sich alles dreht. Die Formel 2 und die Formel 3 sind nicht bei allen Events dabei. Sie haben eine andere Relevanz, haben eher den Charakter von Nachwuchsklassen."

"Wir haben sehr relevante Meisterschaften, die bei all unseren Veranstaltungen dabei sind. Wir brauchen sie, weil unser Hauptprodukt 45 Minuten dauert. Also müssen wir so viel wie möglich ausfüllen, sowohl für die Zuschauer vor Ort als auch zu Hause. Wir sehen daher nicht, dass es einen direkten Wechsel von einem System zum anderen geben wird. Vielmehr sehen wir, dass wir etwas tun, was wir schon seit Jahren tun."

Künftig weniger Überschneidungen mit der Formel 1?

Frage: "Wird es mit Liberty als Eigentümer von Formel 1 und MotoGP möglich sein, die Koexistenz von Grands Prix an ein und demselben Wochenende zu verbessern, also direkte Überschneidungen zu vermeiden?"

Ezpeleta: "Mit Blick auf die Zukunft und sobald der Deal abgeschlossen ist sehe ich ein oder zwei [Überschneidungen], die verbessert werden können. Es ist aber einfach ein mathematisches Problem. Es geht um 35 Wochenenden, seit wir angefangen haben. Sie haben 24 Rennen, wir haben 21."

"Sie fahren kein Rennen an Ostern, wir normalerweise auch nicht. Sie machen drei Wochen Pause im Sommer, wir machen auch drei Wochen Pause im Sommer. Es ist also wirklich kompliziert. Mit anderen Worten: nein. Es ist, was es ist, das Wunder von Lourdes."

Frage: "Und wie wäre es, wenn man einen Kalender wie im Fußball hätte?"

Ezpeleta: "Ein akademischer Kalender wäre wahrscheinlich noch komplizierter als das, was wir jetzt haben. Wir haben sechs oder sieben, vielleicht sogar acht, Grands Prix, die nur in sehr begrenzten Monaten möglich sind, nicht wahr? Wir sprechen hier von Juni, Juli, August und September, wegen des Wetters."

"Es ist möglich, ja. Aber was es sehr kompliziert machen würde, das wäre der Übergang von einem Kalender zum anderen, wegen all der neuen Motorräder, der Entwicklungen. Es wäre vielleicht möglich, den Saisonauftakt Jahr für Jahr eine Woche nach vorn zu ziehen, weil es ein sehr langfristiges Projekt wäre. Alles in allem sind diese Änderungen aber sehr kompliziert."