• 04.11.2013 21:55

  • von Dominik Sharaf

Zwischen Verschwendungssucht und Wirtschaftsdarwinismus

Sind Pleiten von Teams nur Folge einer natürlichen Auslese, wie der Red-Bull-Patron glaubt? Eine Herausforderung? Oder doch Folge von "Müll und Extravaganz"?

(Motorsport-Total.com) - In den VIP-Logen fließt Champagner und es knacken die Hummerscheren. Filmsternchen und Blaublüter geben sich im Paddock-Club die Klinke in die Hand. Alle fünf Meter prangen die Logos einer Uhrenmarke, deren Schmuckstücke den Preis eines Gebrauchtwagen haben. Alles schöner Schein: Die Formel 1 ist in Wahrheit nicht nur ein Refugium für Jetset und Geldadel dieses Planeten, sie ist ein Armenhaus. Auf vielen Teams drücken Schulden in Millionenhöhe, es werden keine Gehälter gezahlt.

Titel-Bild zur News: Mechaniker in Abu Dhabi

Bleiben viele Finanzprobleme im Dunkeln, weil Teams sich nicht bekennen können? Zoom

Die Probleme sind nicht neu. Seit Jahren kämpfen die Mannschaften mit leeren Kassen und roten Zahlen. Sie verpflichten mittelmäßige Paydriver, weil sie mit einer dicken Mitgift winken. Noch länger schallen durch das Fahrerlager Forderungen nach einem Eingreifen der Regelhüter, doch bislang ist wenig passiert. Gary Anderson befürchtet, dass die Situation sich weiter zuspitzt, wenn die Königsklasse 2014 in die Turbo- und Hybridära startet: "Die kommende Saison wird ein großer Alptraum, ein absolutes Minenfeld", so der Ex-Konstrukteur und Technikexperte im 'Guardian'.

Anderson vermisst eine Autorität, die radikale Einschnitte ohne Wenn und Aber durchsetzt. Er erkennt sie nicht in einem mittlerweile zahnlosen Zampano namens Ecclestone: "Vor einigen Jahren hätte Bernie auf den Tisch gehauen und es wäre etwas passiert. Aber diese Tage sind vorbei. Ich weiß, dass er an vielen anderen Fronten kämpft, aber nicht, wo seine Führungsrolle hin ist", sagt der Brite über seinen 83-Jährigen Landsmann, der sich gefühlt täglich wegen diverser Machenschaften vor Gericht verantworten muss: "Er kontrolliert das Geschäft nicht mehr, er tut es für die Teilhaber."

Mateschitz radikal: Wer versagt, fliegt

Relativ entspannt sieht die Situation Dietrich Mateschitz: "Wenn es nur finanzielle Probleme sind, lassen sich diese auch nur durch finanzielle Mittel lösen", erklärt der Red-Bull-Patron im Gespräch mit der 'Welt am Sonntag' und nennt Sponsoren sowie Eigenmittel als Schlüssel zum Überleben. Der Rest sei natürliche Auslese: "Ist ein Team nicht imstande, das Problem zu lösen, ist die Richtigkeit des Engagements infrage zu stellen. Es gibt vielleicht andere, die an der Lizenz interessiert sind", so Mateschitz weiter. Ein Mechanismus, der auf lange Sicht der letzte Sargnagel für die Privatiers der Szene wäre.

Konzernen und Herstellern würde das Monopol auf dem Silbertablett serviert. McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh erinnert sich daran, dass es eine Zeit gab, in der Renault, Honda, Toyota, BMW, Jaguar und Co. aktiv waren. Übrig geblieben sind nur Ferrari und Mercedes, weil der Rest seinen Aktionären Baldrian verabreichte, indem man sich aus dem teuren Business zurückzog. "Dann kam die Wirtschaftskrise und man tendiert dazu, in solchen Zeiten besser zu arbeiten. Es wäre aber intelligent, wenn man auch sonst gut arbeitet. Daraus müssen wir noch lernen", so Whitmarsh.


Fotostrecke: Die wertvollsten Paydriver

Trotzdem glaubt der 55-Jährige, der Geschäftsführer der McLaren-Motorsport-Gruppe und auch Vorsitzender der Teamvereinigung FOTA ist, dass die finanzielle Herausforderung in der Formel 1 ihre Daseinsberechtigung hat: "Es sollte nicht einfach sein, hier zu sein. Es handelt sich um die Königsdisziplin. McLaren ist schon lange dabei, während über 100 Teams zusperren mussten." Also alles hausgemacht und kein Problem im System? Whitmarsh beteuert, sich der Situation anderer Mannschaften bewusst zu sein und verantwortungsvoll zu handeln - schon aus Eigeninteresse.

McLaren vollführt den Drahtseilakt

Denn McLaren verdient sein Geld nicht mit der defizitären Sportwagen-Sparte, sondern mit der Formel 1. Sind die Spielkameraden abgesoffen, geht auch Woking unter. Der goldene Mittelweg der "Chrompfeile" muss daher sein, die finanzielle Situation anspruchsvoll zu gestalten, um die gute Ausgangsposition im Wettrüsten nicht zu verspielen. Dabei darf es aber nicht so eskalieren, dass andernorts die Schotten dicht gemacht werden. "Wir sollten davor keine Angst haben", meint Whitmarsh. "Gleichzeitig müssen wir für eine stabile Meisterschaft tun, was wir können."

Martin Whitmarsh

Martin Whitmarsh ist auch ein ausgefuchtster Geschäftsmann Zoom

Was das nicht ist, weiß Anderson ganz genau: "Das Schlimmste wäre, die Führung an die Teams abzutreten. Jemand muss die Strippen ziehen, weil sich elf oder zwölf Parteien nie einigen", befürchtet der 'BBC'-Fachmann einen Gridlock, sieht aber noch eine weitere Problematik: Wer Schwierigkeiten einräumt, verliert sein Gesicht. "Als Team kann man Bernie nicht sagen, dass man mehr Geld will. Man kann nicht erklären, nicht in der Lage zu sein, sich um seine eigenen Belange zu kümmern." Denn dann muss man sich laut Mateschitz "leichtere Rennserien" suchen.

Verschwendungssucht der Teams?

Anderson fordert daher eine strikte Ausgabenkontrolle, wie sie etwa auch Sauber-Teamchefin Monisha Kaltenborn immer wieder einfordert. "Es würde die Teams nicht davon abhalten, zu entwickeln, aber es würde dabei wesentlich weniger Müll produziert", skizziert Anderson und glaubt, dass dank einer Zusatzregel mit mehr Bedacht gearbeitet und nicht ein Sammelsurium an Komponenten entwickelt würde, von dem nur ein Bruchteil zum Einsatz kommt. Die Novelle müsste verfügen, dass der Einsatz von neuen Teilen nur bei jedem sechsten Rennen erlaubt ist.

Dann würde der Stand der Technik wieder eingefroren. Anderson nennt den Heckflügel als Beispiel, der im Gegensatz zu anderen Teilen - etwa dem Getriebe - nach Lust und Laune verwendet werden darf: "Es gibt wahrscheinlich unterschiedliche für jeden Kurs. Das ist dumm", findet der ehemalige Designer von Jordan sowie Stewart und erkennte eine Verschwendung von Mitteln auch bei Reifen und Rädern. Die Teams nutzen bei strahlendem Sonnenschein Regenpneus, um die Boliden in der Box hin und her zu schieben. Laut Anderson gehen rund 13 Millionen Euro für "Müll und Extravaganz" drauf. Da waren Hummer und Champagner für David Hasselhoff ja ein Schnäppchen.

"Das ist einfach dumm." Gary Anderson über die Finanzpolitik defizitärer Teams