• 10.09.2006 20:35

  • von Inga Stracke

Wurz: "Kitschiger hätte es nicht sein können"

Der Williams-Testfahrer im 'F1Total.com'-Interview über den Schumacher-Rücktritt, Alonsos Gefühlsleben und Kliens Entscheidungen

(Motorsport-Total.com) - Frage: "Michael Schumacher hat seinen Rücktritt verkündet. Hattest du es so erwartet und bist du vielleicht trotzdem erstaunt?"
Alexander Wurz: "Nö, heute muss man sagen, es war eine Hollywood-Inszenierung schlechthin. Für alle Verschwörungstheoretiker: Das ist heute wirklich passiert, das ist nicht aufgezeichnet oder gestellt worden. Schumacher hat gewonnen, Sieg in Italien, wo er sich wieder ganz stark in das Weltmeisterschaftsgeschehen hineingebremst hat, den Rücktritt bekannt gegeben, die Sonne scheint, alle sind happy. Kitschiger hätte es nicht sein können."

Titel-Bild zur News: Alexander Wurz

Alexander Wurz kann die Aufregung von Fernando Alonso sehr gut verstehen

Frage: "Auf Fernando Alonso müssen wir auch kurz eingehen. Er war ziemlich verärgert über die Strafe und er sagte, die Formel 1 sei für ihn kein Sport mehr."
Wurz: "Ich verstehe hundertprozentig, was Fernando da sagt. Er kämpft in diesem Augenblick in seinem Kopf gegen die ganze Welt, er glaubt, alle stehen gegen ihn, die FIA hätte etwas gegen ihn. Darüber kann man viel diskutieren. Aber es ist völlig logisch, dass er das sagt. Er ist stinksauer. Er fährt fehlerfrei, heute fuhr er ein Rennen vom zehnten Platz weg, wie wenige es machen könnten. Das war eigentlich perfekt, bis sich seine Hoffnungen in den blauen Rauch seines Renault-Motors auflösten."#w1#

"Es wird für ihn der absolute Luxus sein"

Frage: "Es wird der Formel 1 ohne Michael Schumacher sicher einiges fehlen, denn es geht eine Ära zu Ende. Wie siehst du das?"
Wurz: "Ja und nein. Alle müssen irgendwann einmal aufhören. Die schwierigste Entscheidung für Sportler ist natürlich der Rücktritt. Er lebt fast 30 Jahre, jeden Tag, fast jede Sekunde für den Motorsport. Bis auf die Familie dreht sich alles um das, und auf einmal steht man vor der Situation, ich steig aus diesem gewohnten Umfeld raus und bin in einer Welt, die total neu ist. Es sind simple Dinge. Irgendwann einmal nach seinem Rücktritt wird er aufwachen und braucht nicht mehr daran zu denken, wann er jetzt den Koffer packen muss, um zum nächsten Event zu fahren. Das ist aber 30 Jahre lang nicht so gewesen. Das ist das erste Mal in seinem Leben. Das hört sich für den Normalverbraucher verrückt an, aber das ist so. Es wird für ihn der absolute Luxus sein, es wird ihm drei Monate oder auch drei Jahre lang Spaß machen. Und dann wird es ihm wieder fehlen, dann kommt er zurück, als Sportlicher Leiter oder als Testfahrer, völlig egal."

Frage: "So wie Gerhard Berger zum Beispiel."
Wurz: "Ja, da gibt es hunderte Beispiele dafür. Aber jetzt ist er erstmal draußen und das wird ihn auch sehr erleichtern."

Frage: "Jetzt wird ja ein Job als TV-Experte frei, denn du fährst im nächsten Jahr ja wieder Rennen."
Wurz: "Ob er in meine Fußstapfen als Fernsehspezialist tritt, weiß ich nicht. Er lässt große Fußstapfen zurück, lange Schatten hat er mit sieben oder vielleicht sogar acht Titeln auf die Formel 1 geworfen. Es war glaub ich sein 90. Sieg in der Formel 1. Ob das je wieder einer schaffen kann, weiß ich nicht. Es braucht sicherlich lange, bis einer wieder in die Nähe von dem kommt, wie Schumacher die Formel 1 in den letzten Jahren dominiert hat."

Christian Klien "ist ein Kämpfer"

Frage: "Dein Landsmann Christian Klien hat an diesem Wochenende mit seiner Entscheidung einige überrascht. Er hat das ChampCar-Angebot von Red Bull abgelehnt, er hat die DTM angelehnt. Er möchte nun auf eigene Faust versuchen, etwas in der Formel 1 zu finden. Was ist dein Eindruck der Geschehnisse?"
Wurz: "Mutige Entscheidung. Es wäre sicher eine einfache Sache gewesen, und auch eine lässige Geschichte. Er wäre nach Amerika gegangen, hätte einen gut bezahlten ChampCar-Platz gehabt. Aber ich hab das in meiner eigenen Karriere auch schon gehabt, und ich muss ihm sagen, dass er zeigt, dass er in Kämpfer ist. Er glaubt an sich und möchte eigentlich gegen den Strom schwimmen. Auch ähnlich wie bei mir, auch von der Zeit her. Da war es auch nach drei Jahren. Er ist ein Kämpfer, ganz klar."

Frage: "Zum Schluss noch ein Ausblick auf das nächste Rennen. Was kann man in Shanghai erwarten?"
Wurz: "Wir haben zwei Punkte Unterschied in der WM, das gibt einen Showdown. Shanghai ist eine Strecke, die Michael bisher noch nicht so gut bewältigen konnte wie Alonso. Ich glaube, dass es dort von den Autos her auch wieder ausgeglichener wird. Renault dürfte sie ein bisschen entgegenkommen. Auch bei den Reifen wird ausgeglichener sein. Also das kann schon sehr spannend werden."