• 10.09.2006 17:21

Das Interview zum Rücktritt mit Michael Schumacher

Michael Schumacher erklärt im ausführlichen Interview, wie es zu seiner Entscheidung gekommen ist und was ihn zu seinem Rücktritt veranlasst hat

(Motorsport-Total.com) - Nach der emotionellen Siegerehrung versammelte Michael Schumacher im Fahrerlager in Monza wie nach jedem Rennen diverse Journalisten um sich. Naturgemäß hatte diese Plauderstunde heute einen etwas anderen Charakter als sonst, denn unmittelbar zuvor hatte der siebenfache Weltmeister im Rahmen der FIA-Pressekonferenz seinen Rücktritt erklärt.

Titel-Bild zur News: Michael Schumacher

Michael Schumacher erklärte in Monza die Beweggründe für seine Entscheidung

Frage: "Michael, deine ersten Worte nach der Bekanntgabe der Entscheidung?"
Michael Schumacher: "Ich möchte mich bei all jenen bedanken, die mir vom Kart angefangen bis zur Formel 1 zur Seite gestanden haben, die mich unterstützt haben und inspiriert, die mir die Möglichkeit gegeben haben, das zu machen, was ich machen wollte. Meiner Familie gilt ein Riesendankeschön, natürlich meinem Vater, meiner Frau, meinen Kindern, die mich riesig unterstützt haben, mir den Rücken freigehalten haben."#w1#

Schumacher möchte am Höhepunkt abtreten

"Irgendwann kommt einfach der Zeitpunkt, wo man sich um die Zukunft Gedanken machen muss. Für die Zukunft habe ich einfach nicht mehr die Möglichkeit gesehen, die Energie und Kraft aufzuwenden, um weitere Jahre konkurrenzfähig zu sein. Ein bisschen rumfahren kann ja nicht das Motiv sein, sondern wenn, dann habe ich den Anspruch, auf höchstem Niveau zu fahren. Das kann ich jetzt noch, aber ich stelle mir die Frage, ob ich das in Zukunft noch könnte. Daher ist es besser, jetzt diese Entscheidung zu treffen."

Frage: "Wie emotionell war die Schlussphase des Rennens für dich?"
Schumacher: "Die Runde zurück an die Box natürlich schon sehr. Ich habe am Funk mit dem Team geredet und alle über meine Entscheidung informiert, was vielleicht am emotionellsten war. Am Podium wusste ich dann, dass das meine letzte Siegerehrung in Monza bleiben würde. Die Zuschauer haben mir so viel gegeben, haben gejubelt. Das war überwältigend!"

"Ich habe am Funk mit dem Team geredet und alle über meine Entscheidung informiert." Michael Schumacher

Frage: "Wann war dir klar, dass 2006 dein letztes Formel-1-Jahr werden würde?"
Schumacher: "Die Entscheidung ist im Prinzip nach Indianapolis gefallen. Der Grund lag darin, dass das für Felipe (Massa; Anm. d. Red.) der Zeitpunkt war, für ihn zu entscheiden, in welche Richtung es geht. Die Natur der Dinge war natürlich, dass Ferrari auf meine Entscheidung gewartet hat, ob man mit Felipe verhandeln soll oder auch nicht. Ich bin der Meinung, ich habe so viele schöne Momente und so viel Erfolg gehabt, da muss man nicht einem jungen Piloten, der ein klasse Typ ist und Talent hat, im Wege stehen. Nach Indianapolis habe ich entschieden, dass der Weg für Felipe frei sein soll."

Frage: "Hat dich Ferrari zur Entscheidung gedrängt?"
Schumacher: "Nein, in keiner Hinsicht, im Gegenteil. Ich hatte schon die Zeit und Möglichkeiten, die ich in all den Jahren hatte, und das liegt sicherlich daran, dass Jean (Todt; Anm. d. Red.) in jeder Hinsicht zu mir gestanden hat, aber nicht nur Jean, sondern auch unser Präsident, Luca di Montezemolo. Er hat jederzeit gesagt: 'Egal wann, egal wie - und wenn du dir nicht sicher bist, hast du die Zeit, die du brauchst!' Ich hatte also alle Freiheiten, die ich mir hätte denken können, und das zeigt ganz einfach die Atmosphäre und Freundschaft, die wir hier bei Ferrari haben."

Corinna half in der Entscheidungsfindung

Frage: "Wie wichtig war deine Ehefrau Corinna in der Entscheidungsfindung?"
Schumacher: "Das ist selbstverständlich, dass Corinna mir nicht nur in der Entscheidungsfindung geholfen hat, sondern auch in schwierigen Momenten und in Momenten wie diesem. Da zeigt sich dann der Charakter, und an den habe ich mich bei Corinna jederzeit stützen können. Sie hat mich auch in der Entscheidung völlig unterstützt, hat mir ihre Pros und Contras dargelegt, die mir immer sehr wichtig waren - auch in anderen Momenten schon. Insofern war die Entscheidung dann gar nicht mehr so schwierig."

Frage: "Hast du deine Karriere in den vergangenen Tagen schon mal Revue passieren lassen?"
Schumacher: "Nein. Dafür bin ich zu sehr beschäftigt, als dass ich dafür Zeit hätte. Das passiert sicher irgendwann, wenn ich in Ruhe in meinem berühmten Schaukelstuhl sitze. Dann habe ich Zeit, darüber nachzudenken und vielleicht darüber zu reden, aber jetzt nicht."

"Das passiert sicher irgendwann, wenn ich in Ruhe in meinem berühmten Schaukelstuhl sitze." Michael Schumacher

Frage: "Welcher Konkurrent bleibt dir aus all den Jahren am schönsten in Erinnerung?"
Schumacher: "Wenn ich es mir so überlege, hatte ich meine besten Kämpfe mit Mika (Häkkinen; Anm. d. Red.). Das hat damals auf einem hohen Niveau stattgefunden, aber ohne irgendwelche Spannungen zwischen uns."

Frage: "Gibt es irgendetwas, was du bereust?"
Schumacher: "Sicher, aber ich bin jetzt nicht in der Stimmung, darüber zu sprechen."

Frage: "Viele Kinder, die bei deinem Einstieg in die Formel 1 zehn Jahre alt waren, sind heute selbst Autofahrer oder sogar Motorsportler. Da ist eine ganze Generation mit dir aufgewachsen, eine echte Ära, nicht wahr?"
Schumacher: "Okay, das ist richtig und das freut mich, dass ich im Motorsport so viel bewegen könnte, vor allem in Deutschland und mit Ferrari, aber auch woanders und zu Benetton-Zeiten. Das ist schon ein Privileg und macht mich stolz. Ich hoffe, dass man versteht und nachvollziehen kann, warum und weshalb, aber irgendwann ist halt einfach mal der Zeitpunkt, wo er kommt."

Heidfeld und Vettel als mögliche Nachfolger?

Frage: "Wer könnte in Deutschland in deine Fußstapfen treten?"
Schumacher: "Ich glaube, wir haben sehr viele und gute deutsche Rennfahrer. Nick (Heidfeld; Anm. d. Red.) zeigt ja gerade, was er mit einem guten Auto leisten kann. Wir haben mit Sebastian Vettel einen neuen Nachwuchsfahrer. Habe ich einen vergessen, der als Deutscher noch drin ist? Das sind die zwei wichtigsten Namen, die man im Moment nennen könnte."

Frage: "Wie erging es dir in dem Moment, als du deinen Rücktritt im Rahmen der Pressekonferenz bekannt gegeben hast?"
Schumacher: "Ich muss ehrlich gesagt sagen, dass ich in dem Moment sehr gefasst war. Wenn ich es auf dem Podium erklären hätte müssen, wäre wahrscheinlich nicht viel dabei rausgekommen..."

Michael Schumacher

Den Tränen nahe: Michael Schumacher während der deutschen Bundeshymne Zoom

Frage: "Was ging dir durch den Kopf, als du nach dem Sieg deine riesige Ferrari-Familie unter dir jubeln sahst?"
Schumacher: "Das Ganze in der Mischung des Wissens, wie meine Entscheidung ausgeht, dass ich das das letzte Mal erleben darf, diese ganze Atmosphäre - einfach einzigartig! Monza ist einfach unglaublich. Es war schon immer etwas Besonderes, speziell wenn die Fans mit uns feiern können. Aufgrund der speziellen Umstände hatte ich heute natürlich ein außergewöhnliches Gefühl."

Frage: "Eine Formel 1 ohne Michael Schumacher ist für viele nicht vorstellbar. Was kommt danach?"
Schumacher: "Die Formel 1 hat vor mir existiert, die wird nach mir existieren. Die Michael-Schumacher-Fans werden vielleicht traurig sein, aber auf der anderen Seite glaube ich, dass Ferrari eine ganz tolle Entscheidung für die Zukunft auf der Fahrerseite getroffen hat, von der ich auch schon länger informiert bin, was mich in meiner Entscheidung in keiner Hinsicht beeinflusst hat."

Frage: "Wie kam deine Entscheidung - in kurzen Worten - zustande?"
Schumacher: "Dass ich mir schwer vorstellen kann, die Energie, die Motivation und den Aufwand, den man betreiben muss, um erfolgreich zu sein, noch aufzubringen."

Schumacher wird erst einmal gar nichts machen

Frage: "Wie willst du deinen Rennfahrerinstinkt eigentlich loswerden?"
Schumacher: "Das werden wir sehen. Ich habe immer gesagt, dass ich nach meinem Rücktritt eine Zeit lang gar nichts machen werde. Dann werde ich sehen, wie ich mich fühle und was passieren soll. Ich werde jedenfalls immer ein Teil der Ferrari-Familie bleiben."

Frage: "Du wirst also der Ferrari-Familie erhalten bleiben. Wie?"
Schumacher: "Ich weiß es nicht. Wir werden uns jetzt sicher auf die letzten drei Rennen konzentrieren und versuchen, darüber zu reden. Alles andere wird irgendwann später entschieden. Da haben wir ja Zeit genug."

Frage: "Comebacks sind im Sport gerade groß in Mode. Wird es einen Rücktritt vom Rücktritt geben?"
Schumacher: "Ich würde nicht jetzt eine Entscheidung treffen, wenn ich wüsste, dass ich nächsten Monat wieder einsteigen werde. Insofern ist die Frage zwar berechtigt, aber da gibt es keine Gedanken in der Hinsicht."

"Ich würde nicht jetzt eine Entscheidung treffen, wenn ich wüsste, dass ich nächsten Monat wieder einsteigen werde." Michael Schumacher

Frage: "Fühlst du dich nicht dazu in der Lage, noch ein Jahr anzuhängen?"
Schumacher: "Jetzt habe ich keine Probleme, wie man sieht, aber je älter man wird, desto schwieriger wird es auch, die Energie und Motivation beizubehalten. Es ist einfach schöner, wenn man so abtreten kann als am anderen Ende..."

Frage: "Glaubst du, dass Ferrari auch in der Zeit nach dir bestehen kann?"
Schumacher: "Ferrari hat es vor mir gegeben und Ferrari wird es auch nach mir geben."

Frage: "Die WM ist greifbar nahe. Wie groß ist dein Ehrgeiz, es noch zu schaffen?"
Schumacher: "Der Ehrgeiz hat mich schon vorher nicht verlassen. Ich kann nicht sagen, dass er noch größer sein kann. Darauf werden wir uns jetzt in erster Linie konzentrieren."

Frage: "Wie schwierig werden nun die letzten drei Rennen nach deiner Entscheidung?"
Schumacher: "Ich glaube, das hier war am schwierigsten. Mir fehlt ja nichts. Das ist genau der Grund: Ich möchte gehen, solange ich noch konkurrenzfähig bin."