Wird Montoya zum Zünglein an der Waage?
Im WM-Kampf könnte am Ende sogar Juan-Pablo Montoya eine entscheidende Rolle einnehmen - Fahrstilanalyse von Marc Surer
(Motorsport-Total.com) - Mit seinem ersten McLaren-Mercedes-Sieg im elften Saisonrennen hat sich Juan-Pablo Montoya in Silverstone eindrucksvoll zurückgemeldet. Der Kolumbianer liegt zwar in der Weltmeisterschaft 25 Punkte hinter seinem Teamkollegen Kimi Räikkönen und 51 hinter Spitzenreiter Fernando Alonso, doch selbst wenn das Titelrennen für ihn selbst wahrscheinlich schon gelaufen ist, könnte er in den verbleibenden acht Grands Prix eine entscheidende Rolle einnehmen.

© xpb.cc
Juan-Pablo Montoya traut sich noch 2005 weitere Siege wie in Silverstone zu
Wenn es nämlich Räikkönen endlich einmal gelingen sollte, das Potenzial seines MP4-20 voll auszuschöpfen und keine technischen Defekte zu erleiden, dann würde der Finne wahrscheinlich von Sieg zu Sieg eilen - und Montoya könnte mit zweiten Plätzen einen wertvollen Beitrag dazu leisten, den Abstand zwischen dem "Iceman" und seinem spanischen Renault-Widersacher schneller schmelzen zu lassen.#w1#
Montoya: "Die Weltmeisterschaft hängt noch in der Luft"
"Die Weltmeisterschaft hängt noch in der Luft", zitiert die 'Marca' die Nummer zwei bei den "Silberpfeilen". "Fernando hat zwar einen großen Vorsprung, aber es sind noch viele Punkte zu vergeben. Ich bin mir sicher, dass wir ihm einen heißen Tanz liefern können. Man muss auch bedenken, dass zwischen Fernando und Kimi am Ende meine Resultate den Ausschlag geben könnten. Der Titelkampf hängt daher auch von mir ab."
Um seinem Team wirklich helfen zu können, muss Montoya aber an Konstanz zulegen und sich regelmäßig vor den Renaults klassieren. Dies ist ihm bisher nicht beziehungsweise zu selten gelungen, weil der aktuelle McLaren-Mercedes zwar schnell ist, aber nicht zu seinem aggressiven Fahrstil passt. Räikkönen, der das Auto geschmeidig durch die Kurven gleiten lässt, kommt mit dem MP4-20 nach wie vor besser zurecht als sein Teamkollege.
"Kimi hat einen extrem feinen Fahrstil", weiß 'F1Total.com'-Experte Marc Surer. "Er fährt auch zum Beispiel deutlich weicher als ein Alonso. Man hat in der Vergangenheit schon oft gesehen, dass ein Fahrer einen gewissen Vorteil hat, wenn ein Auto zu seinem Fahrstil passt. Ich erinnere zum Beispiel an Ferrari: Wenn das Auto untersteuert, kommt Barrichello damit zurecht, aber Michael Schumacher hasst das. Als Ferrari das dann im Griff hatte, setzte sich Michael wieder durch."
Viele Beispiele für unterschiedliche Fahrstile bei Teamkollegen
Der Schweizer nennt diesbezüglich noch weitere Beispiele: "Man sieht das auch ein bisschen bei Toyota: Anfang des Jahres, als das Auto schlecht war, konnte Trulli damit fahren, Ralf Schumacher aber nicht. Je besser das Auto wird, desto besser wird auch Ralf. Er ist jetzt näher an Trulli dran. Trulli und Alonso letztes Jahr bei Renault sind auch ein gutes Beispiel: Als das Auto zu Saisonbeginn untersteuerte, kam Alonso damit nicht klar. Diese Problematik gibt es also wirklich", sagt er.
"Was mir von außen auffällt: Montoyas Lenkbewegungen sind fast doppelt so groß", so Surer. "Das heißt, er sägt viel mehr am Lenkrad und fährt viel gröber als Kimi. Er fährt das Auto übersteuernd - ob er das so braucht, weiß ich nicht. Er provoziert das einfach, während Kimi das Auto mit ganz kleinen Lenkbewegungen durch die Kurven rollen lässt. Kimi pflegt einen sehr weichen Fahrstil. Er ist auch immer am Limit, aber seine Lenkbewegungen sind viel kleiner. Er lässt das Auto gar nicht erst ausbrechen."
Montoya muss versuchen, über das Setup schneller zu werden
Allerdings sind die unterschiedlichen Fahrstile aus Sicht des 53-Jährigen keine ausreichende Erklärung für 25 Punkte Unterschied in der Weltmeisterschaft, zumal er Räikkönen insgesamt ohnehin für den kompletteren Rennfahrer als Montoya hält. Surer findet, dass ein Spitzenfahrer mit dem schnellsten Auto der Formel 1 immer schnell sein muss - und legt Montoya nahe, über das Setup das Maximum aus dem MP4-20 herauszuholen.
"Wenn das Auto gut ist, genügt oft, dass einer einen etwas härteren Stabilisator fährt oder die Federn vorne oder hinten etwas härter einstellt", denn "wenn die Basis stimmt, können auch zwei unterschiedliche Fahrer in der Feinabstimmung auf ihren Fahrstil eingehen", erklärt der 82-fache Grand-Prix-Teilnehmer. "Diesen kleinen Unterschied vom Fahrstil her kann man normalerweise über die Abstimmung finden, wenn das Auto nicht grundsätzlich eine Tendenz zum Über- oder Untersteuern hat."
Surer sieht Parallel zu seiner eigenen Formel-1-Zeit
"Ich hatte das mit Nelson Piquet, als ich zu Brabham kam: So, wie Nelson fuhr, konnte ich nicht fahren", erinnert er sich an seine eigene Karriere. "Sehr bald kristallisierte sich heraus, dass ich um 50 Pfund härtere Federn brauchte. Dann war ich zufrieden - und er hat gesagt: 'Wenn ich so fahren würde, hätte ich ein Problem.' Für mich war das aber die einzige Lösung. Ich habe damals etwas mehr in die Kurve hineingebremst, während Nelson immer eher gerade bremste und erst dann einlenkte."
Unabhängig von den Diskussionen um seinen aggressiven Fahrstil hat Montoya zuletzt in Silverstone so viel Selbstvertrauen getankt, dass er noch nicht einmal ausschließen will, selbst noch einmal auf den WM-Titel 2005 loszugehen. Tatsächlich könnte der erste Sieg einen psychologischen Knoten gelöst haben, denn dass der 29-Jährige an seinen guten Tagen nur schwer zu schlagen ist, gilt in Formel-1-Kreisen nicht unbedingt als Geheimnis.
"Ich sage euch: Dieses Jahr ist noch nicht ganz vorbei", gab sich Montoya zuletzt kämpferisch. "Kimi und Fernando fighten gegeneinander. Sie könnten sich einmal in zwei Rennen von der Bahn schießen - und schon wäre ich wieder dran. Andererseits ist es in Silverstone gut für mich gelaufen, aber beim nächsten Rennen kann das schon wieder ganz anders sein. Ich weiß es also nicht. Wir müssen sicherstellen, dass ich nun keine Probleme mehr habe, dann können wir immer so viele Punkte wie möglich sammeln."

