• 10.05.2011 12:55

  • von Sven Haidinger & Dieter Rencken

Wie sich der Strategiepoker 2011 verändert hat

Warum die Strategen 2011 so gefordert sind wie sonst nur bei Safety-Car-Phasen oder Regen und wie man den richtigen Kompromiss zwischen Qualifying und Rennen findet

(Motorsport-Total.com) - Die Bedeutung der Strategie ist dieses Jahr deutlich größer als im Vorjahr: Während es 2011 an die vier Boxenstopps pro Fahrer gibt, kam man 2010 oft mit nur einem Pflichtstopp durch - wenn der erste direkte Konkurrent die Box ansteuerte und sich frische und damit schnellere Reifen abholte, musste man reagieren.

Titel-Bild zur News: Jenson Button

Wie Button mit den Reifen hauszuhalten, muss sich nicht zwangsläufig rentieren

Dieses Jahr wird den Strategen und Piloten deutlich mehr abverlangt: Kommt man rasch an die Box, hat man zwar einen kurzfristigen Vorteil, muss aber gegen Rennende womöglich einen zusätzlichen Boxenstopp einlegen oder wird mit verbrauchten Gummis durchgereicht. "Die Szenarien sind fast endlos", bestätigt McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh. "Wenn du einen Fahrer draußen lässt, obwohl sich seine Reifen der letzten Phase des Verschleißes nähern, dann ist sein Rennen zerstört. Du musst sehr schnell auf die Entwicklung der Bedingungen reagieren können."

Kompromiss zwischen Qualifying und Rennen

Der Druck, der nun auf den Strategen lastet, ist Whitmarsh nicht fremd, die dauernde Belastung ist hingegen neu: Früher gab es sie nur, "wenn es geregnet hat oder das Safety-Car draußen war". Für den Briten macht aber genau diese Belastung die Faszination der Formel 1 aus: "Genau das ruft das Adrenalin hervor, weshalb manche von uns diesen Sport so genießen, denn die Fahrer können eine fantastische Leistung bringen, aber wir können das ganz schnell und einfach zunichte machen. Das ist einem während des Rennens sehr, sehr bewusst, also versucht man, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Manchmal gelingt das, manchmal nicht. Das liegt in der Natur des Motorsports."

"Die Fahrer können eine fantastische Leistung bringen, aber wir können das ganz schnell und einfach zunichte machen." Martin Whitmarsh

In dieser Saison ist es entscheidend, den richtigen Kompromiss aus einer guten Platzierung im Qualifying und ausreichend frischen Reifen für das Rennen zu finden. Wer sich zu stark auf den Kampf um die Startplätze konzentriert, kann sich im Kampf um WM-Punkte nicht behaupten, wer allerdings zu weit hinten steht, nimmt das Risiko einer Kollision in Kauf oder könnte hinter einem Rivalen hängen bleiben und viel Zeit verlieren.

Dieser Meinung ist auch Mercedes-Teamchef Ross Brawn, der sich vor allem in seiner Ferrari-Vergangenheit den Ruf eines Topstrategen erarbeitet hatte: "Wenn du all deine Reifen im Qualifying verbrennst, wird das das Rennen beeinträchtigen. Da ist ein guter Kompromiss erforderlich, wie viele frische Reifen dich im Qualifying wie weit voranbringen und was dann die Auswirkungen auf das Rennen sind."

Webbers Schanghai-Rennen verblüfft immer noch

Der Brite verweist auf Mark Webbers Rennen in China, als der Australier durch einen taktischen Fehler in der ersten Session ausgeschieden war, im Rennen frische Reifensätze zur Verfügung hatte und von Platz 18 auf Platz drei nach vorne schoss. "Marks Fahrt in China war ziemlich außergewöhnlich", sagt Brawn. "Niemand würde sich absichtlich so weit hinten qualifizieren, nur um neue Reifen zu haben. Aber es zwingt uns alle dazu, in Q1 die harten Reifen zu verwenden, wenn es irgendwie geht."

"Erst nach ein paar Rennen wird sich herauskristallisieren, was der richtige Kompromiss ist." Ross Brawn

Der Weisheit letzter Schluss ist in dieser Angelegenheit aber noch nicht erreicht. "Erst nach ein paar Rennen wird sich wohl herauskristallisieren, was der richtige Kompromiss ist", meint der Mercedes-Teamchef. Zudem werden sich die Prioritäten von Rennen zu Rennen verschieben: "Überholmanöver gehen dieses Jahr etwas leichter von der Hand. Das ist auch ein Faktor. Wenn du zum Beispiel in Monaco einen langsameren Gegner vor dir hast, wird es sehr schwierig sein, ihn zu überholen. Dann ist das Qualifying viel wichtiger als auf einer Strecke wie China, wo das Überholen relativ leicht geht."